Geh 'mer Vernunft vernichten in Rostock!

Von Jörn Florian Fuchs · 15.11.2009
Zurzeit ist in Rostock Georg Kreislers Oper "Das Aquarium oder die Stimme der Vernunft zu sehen". Trotz seiner 87 Jahre, ist es erst die zweite Oper Kreislers. Darin lässt er seine Figuren mit Wortwitz und Wendungen über Leben, Liebe und den abwesenden Gott nachdenken.
Warum in aller Welt ausgerechnet Rostock? Diese Frage beantwortet Georg Kreisler recht lakonisch. Kein anderes Theater habe eben angebissen. Was durchaus verwundert, da die erst zweite Oper des mittlerweile 87-Jährigen ein kleines Wunderwerk ist. Präzise wie seine bittersüßen Chansons schnurren im "Aquarium" nur so die lakonischen Pointen und mal tiefen, mal triefenden philosophischen An- und Einsichten.

Wenn sich in Rostock der samtene Vorhang öffnet, fällt der Blick auf einen kargen Strand, statt Sand gibt es Sägespäne, statt weitem Blick aufs Meer nur bläulich-violettes Bühnenlicht. Auch ein paar Findlinge liegen herum. Rasch begegnen wir dem Strand-Personal, das es sich in teils biederer, teils grellbunter Kostümierung auf einigen Stühlen bequem gemacht hat. Besonders auffällig ist eine Lack- und Leder-Lady namens Camilla, die von den anderen als 'die Wahrheit' tituliert wird und immer dann auftaucht, wenn es zu spät ist. Dabei hat Camilla sowieso keinerlei Antworten zu bieten, sie sucht selbst nach diesem und jenem, vor allem aber nach der Handlung der gerade ablaufenden Oper. Camilla wird nicht fündig und auch sonst bleibt alles an diesem Abend offen, unbeantwortet, in der Schwebe.

Georg Kreisler lässt seine Figuren mit großem Wortwitz und überraschenden Wendungen über Leben, Liebe, das Theater und den abwesenden Gott nachdenken, der sich offenkundig von der langweilig-tristen Erde in andere Gefilde zurückgezogen hat. Ohne einen transzendentalen Fixpunkt jedoch bleibt uns menschlichen Findlingen nur eines: fragen, weiterfragen und sich im Kreis(ler) drehen – und dabei dann ab und an einen Spaß, eine Zote riskieren. Es ist erstaunlich, wie originell Kreisler religiöse Fragen mit Beziehungsproblemen, Quantenphysik mit dadaistischen Sprachspielchen oder in einem Halbsatz die Judenverfolgung mit Operettengesten verknüpft.

Etwas zu simpel wird es vielleicht beim herauskrakelten Dreischritt "Freiheit, Friedhofsruhe, Frauenemanzipation", die vergiftete Hymne auf den Bundeskanzler, den man durch Abwahl vom Amte erlösen und gleichsam sine aspera ad adstra schicken sollte, ist indes vom Allerfeinsten.

Mit viel Gespür für Komik und Melancholie setzt der Leiter des Hamburger Schmidt-Theaters, Corny Littmann, diese Nicht-Handlung in Szene. Aufgedreht, aber nicht überdreht spielt das Ensemble des Rostocker Volktheaters mit Verve und Schmackes. Lisa Mostin darf sich in zauberflötig schwelgerischen Koloraturen ergehen, Olaf Lemme gibt den Leitwolf, der er übrigens nur ist, weil er Anton heißt und dies bekanntlich der erste Buchstabe im Alphabet ist. Auch die weiteren Solisten, die Norddeutsche Philharmonie unter Peter Leonard sowie der sich in ständigem Kleiderwechsel befindliche Chor bringen Kreislers Musik zum Leuchten. Es ist ein Mix aus Wiener Operettenschmäh mit Schostakowitsch-Anklängen, glasklar geführten Gesangslinien und klug amalgamiertem Material vom Barock über Schubert bis zu den Zwölftönern – alles mit einem bissigen Ohrenzwinkern, versteht sich.
Und wenn wir auch letztlich keine Antworten auf das Leben, das Sein oder die Kunst erhalten haben und weiter wie Fische im Aquarium herumirren, eine Wahrheit bietet Kreislers Opus denn doch: 'Das Theater lebt solange, bis das Publikum gestorben ist'.