Geh Deinen eigenen Weg!

16.11.2007
Die Autorin Shamim Sarif hat einen Roman über die Unterdrückung geschrieben - von Frauen durch Männer, von Farbigen durch Weiße. Und den langsamen, mühevollen und schmerzhaften Weg aus dieser Unterdrückung. "Die verborgene Welt" ist ein Werk über Zivilcourage und den Mut, anders zu sein. Trotz der Problemschwere ist es kein düsterer Roman.
Südafrika, 1952: Die junge Inderin Amina, die zehn Jahre zuvor mit ihren Eltern nach Pretoria ausgewandert ist, lebt nicht so, wie es die Regeln (nicht nur) der indischen Kultur in den 1950er Jahren für junge Frauen vorsehen.

Statt ihrer Mutter in der Küche zu helfen, hat sie schon früher lieber ihrem Vater in dessen Werkstatt geholfen. Mittlerweile hat sie ein Café eröffnet und führt es offiziell allein, inoffiziell gemeinsam mit einem Farbigen - und das in einer Kultur, die nicht nur patriarchal ist, sondern zunehmend von Apartheit dominiert wird.

Längst hat ihre resignierte Mutter es aufgegeben, die Tochter zu drängen, sie solle sich endlich verheiraten und Kinder bekommen. Da kommt Aminas Großmutter aus Indien zu Besuch und beschließt, dass der eigenwilligen jungen Frau Zügel angelegt werden müssen ...

Miriam, ebenfalls eine junge Inderin, Ehefrau und Mutter von zwei kleinen Kindern, lebt mit ihrer Familie auf dem flachen Land, wo ihr Mann einen Laden führt. Miriam scheint eine Frau ohne Eigenschaften: angepasst, ohne eigenen Willen, nur der Tradition und dem Willen ihres Mannes beziehungsweise der Familie untergeordnet.

Zufällig begegnen sich Amina und Miriam, als Miriam ausnahmsweise einmal mit ihren Schwägerinnen im Café Aminas einkehrt. Amina, die Unbekannte, ist der erste Mensch seit langem, der Miriam ein Lächeln schenkt.

Dieses Lächeln wird zum Symbol ursprünglichster Zuwendung eines Menschen zu einem anderen. Deshalb vermag Amina das in Miriam zu sehen, was niemand sonst sieht, weil niemand sich die Mühe macht: eine keineswegs farblose, sondern starke, loyale, kluge und zärtliche Frau.

Eine sehr behutsame Freundschaft bahnt sich zwischen den ungleichen Frauen an. Miriam erhält von Amina den Impuls, scheinbar kleine, für sie unendlich große emanzipatorische Schritte zu machen. Sie lässt sich das Autofahren beibringen und setzt schließlich sogar gegenüber ihrem Mann, der sie mit Gewalt davon abzubringen sucht, durch, dass sie, die hervorragende Köchin, einmal pro Woche in Aminas Café kochen darf.

Amina muss die sehr komisch geschilderten Versuche ihrer Familie abwehren, eine Ehe für sie zu arrangieren, und sie verliebt sich in Miriam, obwohl sie weiß, dass diese Liebe (zunächst jedenfalls) nicht lebbar ist.

"Die verborgene Welt" ist ein Roman über Unterdrückung und den langsamen, mühevollen und schmerzhaften Weg aus der Unterdrückung: Unterdrückung von Frauen durch Männer, von Schwarzen, Farbigen und Asiaten durch Weiße, von denen, die anders sind, durch die, die die Norm repräsentieren. Es ist ein Roman über Zivilcourage und den Mut, anders zu sein und einen eigenen Weg zu gehen.

Trotz der Problemschwere ist es kein düsterer Roman, sondern ein sehr gut geschriebener, hervorragend zu lesender, ja unterhaltsamer und oft sogar witziger Roman, der lebendige Charaktere schildert, absurde Situationen und große Gefühle mit der anschaulichen Beschreibung des Lebens in Südafrika zu Beginn der Apartheit verbindet.

Shamim Sarif stammt aus einer indisch-südafrikanischen Familie und lebt in London. "Die verborgene Welt", ihr erster Roman, erschien 2001 in England; er wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, von der Kritik hoch gelobt und mittlerweile auch verfilmt.

Auch in Sarifs zweitem Roman "Despite the Falling Snow" spielt das Leben zwischen Kulturen eine Rolle: Im Rückblick wird aus der Perspektive des alten Alexander Ivanov, der längst in den USA lebt, seine tieftraurige Liebesgeschichte in der Sowjetunion zur Zeit des kalten Krieges 40 Jahre früher erzählt - und das, was totalitäre Regimes aus Menschen machen.


Rezensiert von Gertrud Lehnert


Shamim Sarif: Die verborgene Welt
Aus dem Englischen von Andrea Krug.
Krug und Schadenberg, Berlin 2007, 300 Seiten, 22,90 Euro