"Gegner werden kriminalisiert und dämonisiert"

Magdalena Marsovszky im Gespräch mit Susanne Burg · 06.01.2012
Die deutsch-ungarische Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky beklagt die Anfeindungen gegen Andersdenkende in Ungarn - und eine zunehmend dehumanisierende, biologistische Sprache. Sie selbst werde seit vielen Jahren angegriffen, sagt Marsovzsky.
Susanne Burg: Sie musste sich im letzten Jahr als Mistkäfer beschimpfen lassen, als Ausbund an menschlicher Verruchtheit, der aus der ungarischen Volksgemeinschaft ausgerottet gehört: die deutsch-ungarische Kulturwissenschaftlerin und Publizistin Magdalena Marsovszky. Sie ist Lehrbeauftragte an der Hochschule in Fulda, schreibt über Antisemitismus, über völkische Traditionen in Ungarn und Rechtsextremismus. Und sie hat einer linken ungarischen Zeitung ein Interview gegeben. Das war der Auslöser für diese Tirade eines Kolumnisten einer der beiden großen Zeitungen, die der Fidesz-Partei nahestehen. Mit Magdalena Marsovszky will ich jetzt ein Stimmungsbild Ungarns zeichnen, mit ihr bin ich telefonisch verbunden. Guten Morgen!

Magdalena Marsovszky: Guten Morgen!

Burg: Frau Marsovszky, was um Himmels Willen haben Sie denn gesagt, dass es zu solchen Anfeindungen gekommen ist?

Marsovszky: Im Grunde habe ich mich wissenschaftlich geäußert. Beschimpft habe ich niemanden. Ich bin Wissenschaftlerin und versuche trotz dieser Beschimpfungen meinen wissenschaftlichen Abstand zu wahren, ich hoffe, dass es mir auch gelingt. Also ich habe mich wissenschaftlich ausgedrückt. Das Problem ist, dass bei den völkischen - und ich sage absichtlich das Wort völkisch, weil ich die Regierung und die Rechtsradikalen als völkische Parteien bezeichne -, dass sie diejenigen, die über das Land, über Antisemitismus oder über rechte Tendenzen schreiben, das empfinden sie als einen Angriff gegen die Volksgemeinschaft, gegen die Nation, und deswegen wurde ich, denke ich mal, angegriffen. Und tatsächlich wurde ich auch als entartet bezeichnet, aber nicht nur ich. Also ich bin nur ein Beispiel. Es sind ja sehr viele andere, vor allem die sogenannten Linksliberalen, oder die als solche bezeichnet werden, Sozialdemokraten, Liberale, die werden eben so bezeichnet oft.

Burg: Kam die Heftigkeit dieses Angriffes für Sie überraschend?

Marsovszky: Nein, überhaupt nicht. Ich werde seit vielen Jahren angegriffen, seit mindestens zehn Jahren, seitdem ich über Ungarn schreibe und über dieses Thema eigentlich forsche. Aber wie gesagt nicht nur ich, das ist also alltäglich in Ungarn, und diese Beschimpfungen sind so heftig, dass dabei der Gegner, der vermeintliche Gegner auch dehumanisiert wird, kriminalisiert, dämonisiert, und diese Anfeindungen laufen oft auch so, dass da diese biologistische und eigentlich hygienistische Sprache zum Ausdruck kommt.

Burg: Das klingt extrem. Welche Leute sind das denn, was für Kräfte, die Sie da angreifen?

Marsovszky: Das sind führende Regierungsmitglieder oder zum Beispiel - wenn ich mal zitieren darf - der Europaabgeordnete Tamás Deutsch hat den politischen Gegner Ferenc Gyurcsány, der war Ministerpräsident vor 2009, folgendermaßen beschrieben, wenn Sie mir erlauben, dann zitiere ich, ...

Burg: Gerne!

Marsovszky: ... das ist also auf keinen Fall mein Wortschatz. Zitat: "Es gibt hinterhältige Verrückte, es gibt eklige Spermien, es gibt widerlich Verfaulte, und dann gibt es dort noch den Ferenc Gyurcsány. Dieser erbärmliche Eiweißklumpen könnte sich ein für alle Mal verdrücken zurück in Mutters Fotze."

Das ist also die Art, der Stil, und diese Biologisierung, und diese - eigentlich ist es eine hygienistische Sprache, die aber in Ungarn so verbreitet ist, dass man sich dessen gar nicht bewusst ist, muss ich sagen. Und diese Hassrede wird nicht nur nicht eingedämmt, sondern zum Teil sogar gefördert, eben dieser antisemitische, antiziganistische Starjournalist Zsolt Bayer, ein Starjournalist der Rechten und sehr guter Freund des Ministerpräsidenten, wurde gerade 2011 ausgezeichnet. Er hat den Madách--Preis verliehen bekommen, und auch andere antisemitische Schriftsteller, Journalisten, wurden in der letzten Zeit ausgezeichnet.

Burg: Was die Angriffe gegen Sie angeht, wie gehen sie denn damit um? Wie haben die Ihr Verhalten in der Öffentlichkeit beeinflusst?

Marsovszky: Ich versuche, mich auf jeden Fall sehr korrekt auszudrücken, mich immer wieder auf Zitate zu berufen, was sehr, sehr wichtig ist. Das ist natürlich, das sehe ich auch ein, sehr schwer zu glauben. Und ich versuche auf jeden Fall, überhaupt nicht zu polemisieren - das ist auch nicht meine Art übrigens -, sondern den wissenschaftlichen Abstand zu wahren, und mehr kann ich nicht tun. Also das ist nun mal mein Gebiet und übrigens ist es halt sehr spannend auch.

Burg: In dem Angriff, den ich eingangs erwähnt habe, fragte der Kolumnist auch, ob die ungarische Akademie der Wissenschaften mittlerweile "entartet", so der Wortlaut oder "jüdisch unterwandert" sei. Sie haben mal gesagt, Antisemitismus ist in Ungarn zum kulturellen Code geworden. Was heißt denn das konkret? Wie zeigt sich das im Alltag?

Marsovszky: Das zeigt sich im Alltag so, dass es - das ist auch nicht mein Begriff, sondern stammt von Adorno und von der Frankfurter Schule -, wir haben eigentlich mit einer kollektiven Paranoia zu tun, die zu einem kollektiven Narzissmus mutiert ist. Und dieser kollektive Narzissmus geht natürlich einher mit einem ständig kommunizierten Opfermythos, das heißt, die Ungarn, die Magyaren, sind Opfer der Geschichte, Opfer der äußeren Feinde und Opfer der inneren Feinde, und das gehört also zum kulturellen Code, zum kulturellen Ausdruck der ungarischen Gesellschaft, und im Moment auch vor allem - nicht nur im Moment, seit vielen Jahren - von Fidesz und KDNP, also der christlich-demokratischen Volkspartei, und im Moment gehört es zum Code beziehungsweise zum kulturellen Ausdruck, zu der Rhetorik der Regierung. Neulich sagte zum Beispiel - oder nicht lange her, sagte zum Beispiel der stellvertretende Ministerpräsident Zsolt Semjén: "in Trianon" - und das ist ja die Parallelgeschichte zum Versailler Vertrag in Deutschland, also der Vertrag von Trianon - "in Trianon", ich zitiere, "wurden wir nicht vom äußeren Feind besiegt, sondern vom inneren Feind, von hinten niedergestochen." Das ist jetzt wieder ein Zitat, das ist also eine Art ungarische Dolchstoßlegende, die man in Deutschland kennt, so ähnlich ist die Rhetorik in Ungarn, und genau das meine ich eben mit einem kulturellen Code, dass es gang und gäbe ist. Die Zitate liegen wirklich auf dem Boden, man muss sie nur übersetzen und niederschreiben. Man braucht sie gar nicht eigentlich zu deuten oder halt, man muss sie natürlich deuten, aber dann weiß man also, woher die Feindbildkonstruktionen stammen.

Burg: Über die persönlichen Angriffe, die sie erleben muss, und über die politische Stimmung in Ungarn spreche ich hier im Deutschlandradio Kultur mit der deutsch-ungarischen Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky. Frau Marsovszky, eine Grundthese der Antisemitismus-Forschung besagt, über die Ethnisierung kommt es zum Rassenwahn. In den letzten Jahren wurden immer wieder vermehrt Roma umgebracht. Da ging es auch um die sogenannte Reinheit der nationalen Identität, so hieß es dann hinterher. Ist Ungarn denn schon im Zustand des Rassenwahns angekommen?

Marsovszky: Ja, man müsste natürlich auch sofort das Wort Rasse definieren. Es gibt ja keine Rassen. Der Begriff Rasse, das ist ja eine Konstruktion, die in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaft entsteht, und wenn wir das so definieren, wenn wir uns also dessen bewusst sind, dass es eine kollektive Paranoia ist, dann muss ich sagen, ist es tatsächlich so, dass diese kollektive Paranoia Ungarn beherrscht, und dass das tatsächlich auch mit diesem Konzept zu tun hat. Man kann hier eigentlich tatsächlich von der Reinheit, von dem Glauben an die Reinheit der Nation sprechen, das ist ja auch ein Glaube. Und man muss sagen, das ist auch ein Konzept eigentlich eines Europas der Ethno-Nationen, das hier als Demokratieverständnis vorherrscht. Man denkt, dass die Selbst-Ethnisierung der Nation oder die ethnisch reine Nation eine demokratische Form ist. Und da muss ich sagen, es muss auch im Westen oder in Deutschland bewusst sein, dass es hier sich nicht lohnt, oder es ist nicht angebracht, Ungarn einfach zu verurteilen, sondern in diesem Zusammenhang zu sehen, dass hier ein absolutes Missverständnis der Demokratieauffassung vorherrscht, dass man denkt, dass diese nationale Reinheit, Homogenität der Ethno-Nationen, dass das eigentlich zur Demokratie gehört. Man hat eigentlich nichts anderes gelernt.

Burg: Nun haben sich Schriftsteller, Ex-Politiker, Intellektuelle zum offenen Brief zusammengetan. Anfang dieser Woche haben Zehntausende gegen die Regierung Orbán demonstriert. Welche Hoffnungen haben Sie denn für Ihr Land? Wie dauerhaft und effektiv werden sich die Demonstranten Orbán entgegenstellen können?

Marsovszky: Im Moment sehe ich noch keine so ausgeprägte - also in diesem Sinne, was ich jetzt vorhin beschrieben habe - demokratische Linie, also keine radikal vertretene demokratische Linie. Aber - und es waren fast Hunderttausende, wenn ich richtig informiert bin, Anfang der Woche, also am 2. Januar, auf der Straße - das erste Mal habe ich gemerkt, dass das Wort Republik, also der Begriff Republik mit dem Begriff Demokratie ganz deutlich verbunden wurde in dieser Demonstration, und das gibt mir Hoffnung. Aber im Moment ist es eher noch diese Art, gegen etwas zu sein, nämlich gegen die Regierung, und weniger für etwas. Aber immerhin habe ich diese Tendenz jetzt das erste Mal auch deutlich gemerkt. Also für die Demokratie, für die Republik und gegen diese im Grunde völkische Verfassung oder völkisches Grundgesetz - wobei ich sagen muss, das Wort völkisch ist ja mein Begriff.

Burg: Über die Stimmung in Ungarn habe ich mit der Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky gesprochen. Frau Marsovszky, vielen Dank für das Gespräch und Ihnen alles Gute!

Marsovszky: Ich bedanke mich, vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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