Gegenwartsroman

Postmoderne Unterhaltung

Ed King - King Ed - König Ödipus. David Guterson hat mit seinem neuen Roman den antiken Stoff des griechischen Tragödiendichters Sophokles auf pfiffige Weise in das heutige Amerika übertragen.
Der Versicherungsmathematiker Walter Cousins schläft 1962 mit dem minderjährigen Au-Pair-Mädchen Diane Burroughs. Das Baby, das aus dieser Verbindung entsteht, wird von der Mutter in einer wohlhabenden Gegend ausgesetzt. Der Junge wächst zum hochintelligenten Ed King heran, von seiner Herkunft weiß er nichts.

Eine zufällige Begegnung Walters mit seinem erwachsenen Sohn verläuft für den Vater tödlich, Diane und Ed kommen Jahre später zusammen, wobei ihnen natürlich nicht klar ist, mit wem sie sich jeweils einlassen.

Ed King ist ein geschäftstüchtiger Tycoon und "König der Internet-Suchmaschinen", weil er immer und überall jedes verfügbare Wissen abrufen kann. Doch das schützt ihn am Ende nicht vor dem tragischen Untergang.

Seine Mutter Diane ist eine äußerst spannende Figur: Jeder Abschnitt in ihrem Leben endet für sich genommen schon tragisch, doch immer wieder gelingt es ihr, wie Phönix aus der Asche zu steigen. Dabei hilft ihr ein kolossaler Egoismus - der sie für den Leser aber keineswegs unsympathisch macht. Sie ist die treibende Kraft im Roman.

Während es in Ed Kings Leben erfolgreich bergauf geht, fährt das Leben mit Diane Achterbahn. Am Ende schlägt sie sich als Edel-Prostituierte durch, heiratet in die Oberschicht und leistet sich jede medizinisch mögliche Schönheitsoperation. Dann stolpert sie über ihre Vergangenheit und muss wieder von vorn anfangen. Sie wird zu einer erfolgreichen Drogendealerin und plant das Geschäft ihres Lebens. Aber sie hat die Rechnung ohne ihren Bruder gemacht, der sie übers Ohr haut. Zufällig trifft sie auf Ed King, verliebt sich und lebt mit ihm - bis zur finalen Katastrophe.

Gutersons Erzählung reicht von 1962 über das Jahr 2012 sogar bis in die Zukunft. Kleine Computer sind allgegenwärtig - und mit ihnen alle Daten, Querverbindungen und Zusammenhänge. Den damit verbundenen gesellschaftlichen Wandel schildert Guterson sehr plastisch, zum Beispiel als Ed auf dem Flug nach Europa wie besessen die Menschen-Datenbank über seine Frau ausfragt.

Ironischerweise heißt die virtuelle Figur, die ihm aus dem Computer antwortet, Pythia. Und sogar an die Politik traut sich Guterson heran: Deutschlands Wiedervereinigung bleibt nicht unerwähnt, ebenso wenig der Zerfall des Ostblocks. Wichtige Daten der Weltgeschichte versetzen den Leser schlaglichtartig in die jeweilige Epoche.

Ein einziges Mal erhebt Guterson den Zeigefinger allzu deutlich: Kurz vor dem ersten Liebesakt zwischen Mutter und Sohn spricht er seine Leser direkt an, um ihnen zu sagen, was ohnehin jeder schon weiß: dass der Ödipus-Mythos das zentrale Thema ist. Ed muss erkennen, dass er der Tragödie nicht mehr entrinnen kann.

Aber vielleicht hebt er gerade dadurch den Roman aus der Fülle der Gegenwartsromane heraus. Der Autor durchbricht die bis dahin lineare Erzählung und erschafft durch diesen Schritt ein postmodernes Stück spannende Unterhaltungsliteratur.

Besprochen von Roland Krüger

David Guterson: Ed King
Roman, 382 Seiten
Hoffmann und Campe, Hamburg 2012
382 Seiten, 22,99 Euro