Gegen Schirrmacher

Rezensiert von Michael Schornstheimer |
Die Methusalem-These ist ein Gespenst das umgeht, aber kein reales Problem, behauptet Nicholas Strange gleich zu Anfang seines Buches. Für ihn ist das ganze eine Gruselgeschichte. Die Debatte darüber erinnert ihn an eine kollektive Hysterie.
"Kardinäle bezeichnen sie als Strafe Gottes für die Abtreibung, dem Deutschen Fußballbund dient sie als Entschuldigung für die Misere der Nationalelf und dem Bundesverband der Deutschen Industrie als Erklärung für die Kapitalflucht ins Ausland."

Man merkt also schon an dem ironischen Tonfall, dass es Strange nicht in erster Linie um eine wissenschaftliche Abhandlung für ein Fachpublikum geht, sondern um einen polemischen, lesbaren Text für die Allgemeinheit. Der Autor verzichtet komplett auf Fußnoten und Literaturverzeichnis. Doch dafür bringt er auf den 135 Seiten sage und schreibe 75 statistische Schaubilder unter, um seine Thesen zu untermauern.

Der Verfasser gibt zu, dass wir in Deutschland ein Problem mit dem Nachwuchs haben. "Gebärfaulheit" nennt er das Phänomen flapsig und verharmlosend.

Klar ist auch für ihn, dass in den nächsten Jahrzehnten der Anteil der 15 bis 64-jährigen an der Gesamtbevölkerung stark zurückgehen wird. Jedem künftigen Rentenempfänger stehen weniger Erwerbstätige gegenüber. Doch wer deshalb mit einer Renten- oder gar Wirtschaftskatastrophe rechnet, sei schon der Methusalem-Hysterie auf den Leim gegangen.
"Um es auf den Punkt zu bringen: Die drastische Verringerung der Anzahl der 15- bis 59-Jährigen wird, wenn alles andere gleich bleibt, dazu führen, dass uns bereits im Jahre 2020 - also in weniger als 15 Jahren - gut eine Million an Erwerbstätigen fehlt."

Und in 30 Jahren fehlen uns sogar vier Millionen. Aber das macht alles gar nichts, versichert Strange seinen Lesern. Denn dank der Schludrigkeiten der vergangenen Jahrzehnte hätten wir genügend verdeckte Reserven aufgebaut, die man leicht zum Ausgleich mobilisieren könnte:

Da wären zunächst einmal die so genannten "jungen Nichterwerbspersonen". Also Kinder, Jugendliche, Studenten ... Ein Deutscher komme mit seinem Diplom sechs Jahre später auf den Arbeitsmarkt als seine Konkurrenten aus anderen Industrieländern. Das dürfe nicht so bleiben:

"Wenn es uns gelänge, unsere Kinder ein Jahr früher einzuschulen, würde dies die Anzahl der 15-bis 65-Jährigen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, um einen ganzen Jahrgang erhöhen. Zum jetzigen Zeitpunkt entspricht dies rund 790 Tausend Erwerbsfähigen."

Auch die gesamte Schulzeit dauere zu lange, rechnet Strange vor. Man könne die Unterrichtsstunden und damit die "Intensität der Beschulung" erhöhen und so die Schulzeit - zumindest für Abiturienten - straffen. Dadurch wäre ein weiteres Jahr einzusparen. Und noch mehr Nachwuchs stünde dem Arbeitsmarkt zu Verfügung
.
Weitere Einsparpotentiale findet er in der Übergangsphase von der Schule zum Hochschulstudium, die in Deutschland fast eineinhalb Jahre dauert. Und bei der Bundeswehr.

"Wenn zum Beispiel im Verhältnis von eins zu eins aus Wehrpflichtigen Berufssoldaten und aus Zivis angestellte Sozialarbeiter werden, erreichen wir dennoch durch die Verringerung von vertrödelten Wartezeiten unterm Strich eine Nettoeinsparung in Höhe von mindestens 100 000 Lebensjahren."

Und so ließe sich die "Erwerbsquote" immer weiter verbessern. Auch bei den "ältere Nichterwerbspersonen", den Vorruheständlern und den Arbeitslosen.

"Die Wiederbeschäftigung von rund drei Vierteln der heutigen Arbeitslosen hätte qualitativ nur positive Auswirkungen für alle Beteiligten, und quantitativ stellt sie den wichtigsten Einzelbetrag zum Exorzieren des Methusalem-Gespensts dar."

Als dritte Kapazitätsreserve predigt der Autor die alte deutsche Tugend Fleiß: Ein Stündchen mehr arbeiten pro Woche und alles werde wieder gut.

Die trockene, kühle Art mit der Nicholas Strange die Statistiken handhabt und Arbeitskräftereserven aufdeckt, wirkt recht wohltuend auf die allzu hysterischen Schirrmacher-Thesen. Trotzdem macht es sich der Autor mit seinem "Antischirrmacher" etwas zu einfach. Denn das Altern der Gesellschaft ist auch für die demographische Forschung nicht das Problem. Die Bevölkerungswissenschaftler schlagen Alarm, weil der Nachwuchs fehlt. Insbesondere der qualifizierte Nachwuchs.

Hierbei deuten sich Langzeit-Kettenreaktionen an: In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts setzte der erste Geburtenrückgang ein. Diese Generation der heute Vierzigjährigen hat wiederum deutlich weniger Kinder bekommen. Und dieses Phänomen führt nicht nur zur "schrumpfenden Gesellschaft", sondern möglicherweise auch zur schrumpfenden Wirtschaft und zu schrumpfenden Zukunftsperspektiven. Darum geht es in der aktuellen Debatte und darauf hat auch Nicholas Strange keine Antworten!


Nicholas Strange: Keine Angst vor Methusalem. Warum wir mit dem Altern unserer Bevölkerung gut leben können
Zu Klampen! Verlag, Springe 2006, 138 Seiten