Gegen fast alles
Die Münchener Gruppe Spur gehört mit ihren revolutionären Projekten zu den wichtigsten deutschen Künstlergemeinschaften der Nachkriegszeit. Ihre provokanten kunstpolitischen Aktionen, Malereien, Skulpturen und Manifeste sorgten im Deutschland der 60er Jahre für große Aufbruchsstimmung. Jetzt erinnert eine umfassende Ausstellung in der Münchener Villa Stuck an die Geschichte und die Entwicklung der Künstlergruppe.
Manifest 1961: "Wer in Politik, Staat, Kirche, Wirtschaft, Militär, Parteien, soz. Organisationen keine Gaudi sieht, hat mit uns nichts zu tun."
Öffentliches Leben als Gaudi - der programmatische Satz, der aus dem Manifest der Spur-Gruppe von 1961 stammt, steht heute in Großbuchstaben über den ausgestellten Spur-Werken in der Münchener Villa Stuck.
Nichts anderes wollten die vier Künstler, die sich schon 1952 bei den Aufnahmeprüfungen an der Akademie der Künste in München kennen gelernt hatten: Heikle politische und öffentliche Themen in der Kunst zu verarbeiten. Nur selten ernst, meistens mit Humor – Gaudi wollten sie eben haben, der Bildhauer Lothar Fischer und die drei Maler Heimrad Prem, Helmut Sturm und Hans Peter Zimmer. Wie bei der Ölmalerei "Der Kardinal" von 1960 von Helmut Sturm. Ein Werk, in dem der Maler die Wiederbewaffnung Deutschlands aufgreift.
Zu sehen ein Kardinal, der die deutschen Truppen vor ihrem Einsatz segnet. Sturm klebte ein Papierfragment mitten auf das Bild, darauf steht: "Einberufung 1960". Es brauchte damals wenig Fantasie, um darauf zu kommen, wer da wohin einberufen werden sollte – der Kardinal zu Gott in den Himmel nämlich. Bissige Ironie, die in München damals nicht gut ankam, erinnert sich Helmut Sturm, der einzige überlebende der Spur-Gruppe.
Sturm: "Man muss vorausgehen, dass es die Nachkriegszeit war. Man war froh, dass manches zugedeckt war, wobei man aber den Gestank noch durchaus riechen konnte. Man hatte Angst vor jedem, der den Deckel aufgemacht hat. Und das haben wir sicher gemacht. Das war schon schlimm genug. Aber man musste das riskieren."
Es ging gegen fast alles: Gegen die gutbürgerliche Gesellschaft, die Unterwerfung gegenüber dem Staat und die Religion und auch den Kunstbetrieb selbst. Am 21. April 1959 erscheint in München ihr Manifest, das Flugblatt Ein kultureller Putsch während Ihr schlaft!.
Darin fordert die Gruppe: "Wer Kultur schaffen will, muß Kultur zerstören" und nennt die abstrakte Malerei einen "hundertfach abgelutschten Kaugummi". Das Konzept einer kollektiven Kunst-Opposition ging auf, meint Ausstellungskuratorin Pia Dornacher.
Dornacher: "Die Gruppenbildung war in den 60er Jahren ein wichtiges Thema, um seine Interessen durchzusetzen, die man als einzelner vielleicht nicht hätte durchbringen können. Eine Gruppe macht einen stark. Man hatte ein gewisses revolutionäres Potential in einer Gemeinschaft."
Nicht nur thematisch setzte die Gruppe Akzente, sondern hinterließ auch in der Kunst, die sie so sehr verachtete, ihre Spuren. Sie orientierte sich dabei an der damals gängigen informellen Bildsprache – und überwand sie gleichzeitig, um eine eigene Bildsprache zu entwickeln.
Pia Dornacher: "Informelle Kunst ist gegenstandslos, es ist keine Farbe und keine Form. Man hat mit der Spur-Gruppe eine Wiederbelebung; der Mut zur Farbe und zur Figur war sehr wichtig. Aus diesen beiden Aspekten, der Farbe und der Figur, hat man eine neue figurative Malerei geschaffen.""
Im Laufe der Jahre werden die Linien immer prägnanter, die gemalten Gegenstände bekommen immer deutlichere Konturen. Und die Farben werden im Laufe der 60er Jahre immer greller. Bis zu den geometrischen Linien von Werken wie "Er und Sie" von Heimrad Prem und "Volvo" von Helmut Sturm aus dem Jahre 1965.
Die Gruppe begann, mit Materialien zu experimentieren. Vor allem Prem, der vor seiner Zeit an der Akademie der Künste eine Lehre als Dekorator absolviert hatte, ging seinem Hang zu Materialien nach. In seinem bunten Werk "Zuckerinsel" von 1963 streute er nicht nur Farbpigmente direkt auf die Leinwand - er dekorierte sie gleich auch noch mit Eierschalen und Sandstücken. Kult ist inzwischen eines der Hauptwerke der Spur-Gruppe: der so gennante "Spur-Bau" von 1963.
Die Toninstallation mit pilzartigen Türmen, die eine utopische Stadt der Zukunft darstellt, zeigt die fließenden Übergänge von Skulptur, Zeichnung und Malerei. Die kreativen Kräfte der vier Spur-Künstler waren hier am besten vereinigt. Dabei war es nicht immer so leicht, in einer Gruppe zu arbeiten, gibt Helmut Sturm heute zu:
Sturm: ""Wir waren eigentlich sehr unterschiedlich. Das war eine Bereicherung, aber oft auch sehr mühsam errungen. Es gab ja auch Streit. Es gab unterschiedliche Motivationen. Man hat immer versucht, etwas Gemeinsames, Tragendes zu finden. Und das war so, dass nicht jeder sich da drin gut geborgen gefühlt hat."
Seit 1960 publizierten die vier in ihrer Spur-Zeitschrift Zeichnungen und satirische Schriften, die der bayerischen Staatsanwaltschaft zu weit gingen. 1962 wurden alle sieben Zeitschriftenausgaben beschlagnahmt. Die Spur-Gruppe stand bis 1975 wegen Pornographie und Gotteslästerung vor Gericht. Die Künstler waren für ihre Zeit einen Schritt zu weit gegangen - mit der Studentenbewegung war die Zeit erst einige Jahre später reif für das Kunst-Konzept der Gruppe geworden. Helmut Sturm über die harten Jahre vor Gericht:
Sturm: "Wir waren einerseits noch mehr motiviert – jetzt erst recht! Andererseits hatten wir natürlich starke Beeinträchtigungen: Man wurde nicht mehr zu Ausstellungen eingeladen, usw."
Die Gruppe zerfiel an ihren juristischen Problemen. 1965 löste sie sich auf. Heimrad Prem, dessen Professur an der Akademie in München wegen des Spur-Prozesses abgelehnt wurde, nahm sich 1978 das Leben. München, die ästhetische, die konservative Stadt, die ihre nihilistische Künstler abgewiesen hatte, hat ihnen nie verzeihen: Das seit Jahrzehnten geltende Ausstellungsverbot für die Spur-Gruppe im Haus der Kunst, dem damaligen Forum für Nachwuchskünstler, wurde offiziell nie aufgehoben.
Öffentliches Leben als Gaudi - der programmatische Satz, der aus dem Manifest der Spur-Gruppe von 1961 stammt, steht heute in Großbuchstaben über den ausgestellten Spur-Werken in der Münchener Villa Stuck.
Nichts anderes wollten die vier Künstler, die sich schon 1952 bei den Aufnahmeprüfungen an der Akademie der Künste in München kennen gelernt hatten: Heikle politische und öffentliche Themen in der Kunst zu verarbeiten. Nur selten ernst, meistens mit Humor – Gaudi wollten sie eben haben, der Bildhauer Lothar Fischer und die drei Maler Heimrad Prem, Helmut Sturm und Hans Peter Zimmer. Wie bei der Ölmalerei "Der Kardinal" von 1960 von Helmut Sturm. Ein Werk, in dem der Maler die Wiederbewaffnung Deutschlands aufgreift.
Zu sehen ein Kardinal, der die deutschen Truppen vor ihrem Einsatz segnet. Sturm klebte ein Papierfragment mitten auf das Bild, darauf steht: "Einberufung 1960". Es brauchte damals wenig Fantasie, um darauf zu kommen, wer da wohin einberufen werden sollte – der Kardinal zu Gott in den Himmel nämlich. Bissige Ironie, die in München damals nicht gut ankam, erinnert sich Helmut Sturm, der einzige überlebende der Spur-Gruppe.
Sturm: "Man muss vorausgehen, dass es die Nachkriegszeit war. Man war froh, dass manches zugedeckt war, wobei man aber den Gestank noch durchaus riechen konnte. Man hatte Angst vor jedem, der den Deckel aufgemacht hat. Und das haben wir sicher gemacht. Das war schon schlimm genug. Aber man musste das riskieren."
Es ging gegen fast alles: Gegen die gutbürgerliche Gesellschaft, die Unterwerfung gegenüber dem Staat und die Religion und auch den Kunstbetrieb selbst. Am 21. April 1959 erscheint in München ihr Manifest, das Flugblatt Ein kultureller Putsch während Ihr schlaft!.
Darin fordert die Gruppe: "Wer Kultur schaffen will, muß Kultur zerstören" und nennt die abstrakte Malerei einen "hundertfach abgelutschten Kaugummi". Das Konzept einer kollektiven Kunst-Opposition ging auf, meint Ausstellungskuratorin Pia Dornacher.
Dornacher: "Die Gruppenbildung war in den 60er Jahren ein wichtiges Thema, um seine Interessen durchzusetzen, die man als einzelner vielleicht nicht hätte durchbringen können. Eine Gruppe macht einen stark. Man hatte ein gewisses revolutionäres Potential in einer Gemeinschaft."
Nicht nur thematisch setzte die Gruppe Akzente, sondern hinterließ auch in der Kunst, die sie so sehr verachtete, ihre Spuren. Sie orientierte sich dabei an der damals gängigen informellen Bildsprache – und überwand sie gleichzeitig, um eine eigene Bildsprache zu entwickeln.
Pia Dornacher: "Informelle Kunst ist gegenstandslos, es ist keine Farbe und keine Form. Man hat mit der Spur-Gruppe eine Wiederbelebung; der Mut zur Farbe und zur Figur war sehr wichtig. Aus diesen beiden Aspekten, der Farbe und der Figur, hat man eine neue figurative Malerei geschaffen.""
Im Laufe der Jahre werden die Linien immer prägnanter, die gemalten Gegenstände bekommen immer deutlichere Konturen. Und die Farben werden im Laufe der 60er Jahre immer greller. Bis zu den geometrischen Linien von Werken wie "Er und Sie" von Heimrad Prem und "Volvo" von Helmut Sturm aus dem Jahre 1965.
Die Gruppe begann, mit Materialien zu experimentieren. Vor allem Prem, der vor seiner Zeit an der Akademie der Künste eine Lehre als Dekorator absolviert hatte, ging seinem Hang zu Materialien nach. In seinem bunten Werk "Zuckerinsel" von 1963 streute er nicht nur Farbpigmente direkt auf die Leinwand - er dekorierte sie gleich auch noch mit Eierschalen und Sandstücken. Kult ist inzwischen eines der Hauptwerke der Spur-Gruppe: der so gennante "Spur-Bau" von 1963.
Die Toninstallation mit pilzartigen Türmen, die eine utopische Stadt der Zukunft darstellt, zeigt die fließenden Übergänge von Skulptur, Zeichnung und Malerei. Die kreativen Kräfte der vier Spur-Künstler waren hier am besten vereinigt. Dabei war es nicht immer so leicht, in einer Gruppe zu arbeiten, gibt Helmut Sturm heute zu:
Sturm: ""Wir waren eigentlich sehr unterschiedlich. Das war eine Bereicherung, aber oft auch sehr mühsam errungen. Es gab ja auch Streit. Es gab unterschiedliche Motivationen. Man hat immer versucht, etwas Gemeinsames, Tragendes zu finden. Und das war so, dass nicht jeder sich da drin gut geborgen gefühlt hat."
Seit 1960 publizierten die vier in ihrer Spur-Zeitschrift Zeichnungen und satirische Schriften, die der bayerischen Staatsanwaltschaft zu weit gingen. 1962 wurden alle sieben Zeitschriftenausgaben beschlagnahmt. Die Spur-Gruppe stand bis 1975 wegen Pornographie und Gotteslästerung vor Gericht. Die Künstler waren für ihre Zeit einen Schritt zu weit gegangen - mit der Studentenbewegung war die Zeit erst einige Jahre später reif für das Kunst-Konzept der Gruppe geworden. Helmut Sturm über die harten Jahre vor Gericht:
Sturm: "Wir waren einerseits noch mehr motiviert – jetzt erst recht! Andererseits hatten wir natürlich starke Beeinträchtigungen: Man wurde nicht mehr zu Ausstellungen eingeladen, usw."
Die Gruppe zerfiel an ihren juristischen Problemen. 1965 löste sie sich auf. Heimrad Prem, dessen Professur an der Akademie in München wegen des Spur-Prozesses abgelehnt wurde, nahm sich 1978 das Leben. München, die ästhetische, die konservative Stadt, die ihre nihilistische Künstler abgewiesen hatte, hat ihnen nie verzeihen: Das seit Jahrzehnten geltende Ausstellungsverbot für die Spur-Gruppe im Haus der Kunst, dem damaligen Forum für Nachwuchskünstler, wurde offiziell nie aufgehoben.