Gegen die Lust an der Angst

Rezensiert von Cora Stephan |
Matthias Horx weiß, wie man sich gründlich unbeliebt macht: durch das Verkünden unbequemer Wahrheiten. Nein, damit ist nicht gemeint, was unsere berufsmäßigen Querdenker darunter verstehen, nämlich jene Bußpredigten, die zur Umkehr auffordern, zu Einkehr und Einsicht und Askese und an unsere höhere Moral appellieren.
Der renommierte Zukunftsforscher und Bestsellerautor hat sich die wirklich unbequemen Wahrheiten vorgenommen und schickt sich auch in seinem jüngsten Buch wieder an, den Deutschen ihr Liebstes zu nehmen: ihre Angst.

Mit Lust an der Provokation und mit dem dazugehörigen Quantum an Menschenliebe und Zukunftszuversicht bestreitet er ihnen den festen Glauben an den Weltuntergang, jenen Größenwahn der Depressiven, den wir insbesondere hierzulande brauchen wie der Schwamm das Wasser. Die Botschaft des Matthias Horx: es ist alles viel schlimmer, als wir zu befürchten gewohnt sind. Es ist nämlich alles viel besser. Es gibt keinen Anlass zur Selbstgeißelung angesichts des Endes der Welt. Im Gegenteil: es gibt jede Menge Gründe für Zuversicht und Vertrauen. Das ist starker Tobak, nicht war? Schwer auszuhalten, oder? Zumal in einer Zeit wie der unseren, wo die Sonn’ ohn’ Unterlass scheint – übrigens eine alte Forderung der Arbeiterbewegung – was uns indes heute nicht wie das Paradies, sondern als Vorbote der Hölle vorkommt. Die deutsche Öffentlichkeit durchlebt lustvoll eine weitere der vielen Angstepidemien, von denen sie wiederkehrend heimgesucht wird. Aber diesmal ist es ernst, mindestens so ernst wie damals beim Atomtod und beim Waldsterben, bei Seveso und Rinderwahn, bei Aids und Hühnergrippe. Der Sonnenschein wirft finstere Schatten: Was sind schon ein milder Winter und ein warmer Frühling, die uns etliche Kältetote und reichlich Heizkosten ersparten, gegen die Aussichten auf einen schmelzenden Globus? Klimawandel ist Klimakatastrophe, die im Weltuntergang enden muss. Darunter machen wir es nicht.

Matthias Horx kennt sich damit aus. Er gehört schließlich zu jener Generation, die in den späten 70ern und frühen 80er Jahren beim Weltuntergang in der ersten Reihe saß, zu all den ökologisch gutmeinenden jungen Menschen also, die damals das Fundament der Grünen bildeten, jener klassischen Partei der Angst. Erst teilte er deren Einsichten, bald kritisierte er sie und heute neigt er zum selbstironischen Kommentar:

„Wir entdeckten die Ökologie als ultimative rhetorische Waffe. Von nun an ging es (...) um den Untergang, das unvermeidliche Ende der Menschheit. (...) Wir entdeckten schnell, dass sich mit dem schönen, kleinen Wort Angst viel besser Politik machen ließ (...) Gegen Angst konnte kaum jemand etwas einwenden. Wenn wir Angst hatten, dann hatte man uns, verdammt noch mal, zuzuhören. Und das tat man auch. In Fernsehen, Funk und Presse verbreitete sich rasend schnell die Betroffenen-Ästhetik, die Weltretter-Logik. (...) Es war eine wunderbare Zeit. Der unmittelbar bevorstehende Untergang gab dem Leben eine existentialistische Würze.“

Wer so etwas zugibt, weiß auch, warum Ängste soviel verführerischer sind als ruhige Zukunftsgewissheit. Wir haben Lust an der Angst, immer schon. Denn wir brauchen sie: Angst ist der Motor des menschlichen Überlebenswillens, der indes mittlerweile leer dreht. Wir haben mehr Angst, als nötig ist. Und wir haben mächtige Institutionen, die, wie einst der junge Umweltschützer Horx, begriffen haben, welche Waffe die Angst ist im Kampf um die Macht. Die Medienmaschine heizt die Angst an, weil das Auflage und Quote bringt. Die Wissenschaft profitiert, mit dem Vehikel Angst kommt man leichter an Forschungsgelder. Politiker nutzen die Angst zum Kleinhalten von Wählerwünschen. Und die Intellektuellen erweisen sich als besonders gewiefte Krisengewinnler, wenn sie sich mit düsteren Prognosen aufplustern, denn noch heute profitieren sie von ihrer einstigen Rolle im Widerstand des Geistes gegen die Obrigkeit:

„Im Lichte dieser Reputation konnten sich die Intellektuellen nahtlos mit der populistischen Angst- und Besorgnisindustrie verschweißen; wer ‚dagegen’ war, war automatisch geadelt. (...) Intellektuelle sind ideale Gurus der diversen Opferkulte, sie verwandeln Negativität in gedanklichen Glamour.“

Man sieht: der Mann verzichtet auf Bündnisgenossen. Aber tatsächlich gehören Horxens Analysen der Medienmechanismen im Angstbetrieb zu den treffendsten Passagen des Buchs:

„Es geht um den Mechanismus, mit dem Medien bestimmte Phänomene nach dem Muster Selektion – Extremisierung – Kontextualisierung ‚branden’ und in den Hirnen der öffentlichen Meinung verankern. Auf diese Weise entstehen so genannte Faktoide – grassierende Mega-Gerüchte, die ihre Wirksamkeit auch dann nicht verlieren, wenn die Grundlagen, die zu ihrer Diagnose führten, längst obsolet geworden sind. Sie wirken wie ein Wahrnehmungsfilter: alles, was nicht in das jeweils verankerte Schema passt, wird herausgefiltert und aus der Kognition ausgeblendet.“

Beispiele gefällig aus einer nicht enden wollenden Reihe moderner Märchen, die in den letzten Jahren die Runde machten? Horx schlachtet alle heiligen Kühe, an die sich das Publikum gewöhnt hat, das der festen Überzeugung ist, alles werde immer schlimmer: die Schüler dümmer und gewalttätiger, die Armen ärmer, die Reichen reicher, die Arbeitsverhältnisse härter. Und ab 50 kriegt man keinen Job mehr. Ist doch so, oder? Wie man’s nimmt. Ältere Bewerber haben in der Wirtschaft mittlerweile gute Chancen, bei 16.000 Betrieben in Deutschland bekamen einer Umfrage aus dem Sommer 2006 zufolge die älteren Bewerber den Job. Doch auf 60 Prozent der ausgeschriebenen Arbeitsangebote hatten sich gar keine über 50-Jährigen beworben. Weil sie das Märchen von ihrer Wertlosigkeit im Turbokapitalismus glaubten?

Diesem Wirklichkeitscheck unterzieht Horx alle modernen Gewissheiten: Globalisierung. Demografie. Armut. Unters Mikroskop geraten Modethemen wie das „Prekariat“ oder die „Generation Praktikum“ ebenso wie die Gewaltfrage oder der Krieg der Kulturen. Der Befund: Nein, es wird nicht alles schlimmer. Noch nicht einmal die Deutschen sterben aus. Hinter vielen Medienmythen verstecken sich eben so viele gute Botschaften.

„Spätestens an diesem Punkt beginnt sich ein Teil meines Publikums zu langweilen. Good news is no news. Der andere Teil wird wirklich sauer: Dafür haben sie den Eintritt nicht bezahlt! Was wir überhaupt nicht leiden können, ist, wenn unsere Ansichten der Welt, die wir so mühsam und über einen so langen Zeitraum zu einem Weltbild zusammengefügt haben, in irgendeiner Weise erschüttert werden. Wahres Vertrauen hingegen hat Gnade mit den Menschen. Es traut ihnen alles zu. Natürlich das Schlechte, gewiss. Aber eben auch das Gute.“

Das Buch ist ein Vademekum für alle, die gepflegt und gut untermauert widersprechen wollen, wenn wieder mal jemand mit Gruselstories über das Ende der Welt kommt. Die Moralisten erweisen sich als die wahren Zyniker. Matthias Horx hingegen ist ein Aufklärer im alten Sinn: ein Menschenfreund.

Matthias Horx: Anleitung zum Zukunftsoptimismus
Warum die Welt nicht schlechter wird
Campus Verlag, Frankfurt a. M. & New York, 2007
Matthias Horx: Anleitung zum Zukunftsoptimismus
Matthias Horx: Anleitung zum Zukunftsoptimismus© Campus