Gegen die Europessimisten

Vorgestellt von Ernst Rommeney |
Selbstbewusster und aktiver solle die Europäische Union auftreten, das hat der Bundespräsident der EU zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge empfohlen. Der britische Politologe Mark Leonard geht noch weiter. Europa könnte die dominierende Macht des 21. Jahrhunderts werden, sein "way of life" weltweit geschätzt und nachgeahmt werden.
Er will die Fehler der Europäischen Union nicht entschuldigen, nicht die absurde Agrarpolitik, nicht die schäbige Einwanderungspraxis, nicht die Brüsseler Bürokratie. Außerdem trete die EU international viel zu zaghaft auf, ihr fehle der gemeinsame Außenminister. Nein, beschönigen will Mark Leonard nicht, sondern die Union der 27 verteidigen - gegen die Europessimisten.

"Das Problem ist in Wahrheit nicht Europa, sondern unsere überholte Auffassung von Macht."

Überholt ist für ihn das amerikanische Imperium, die Rolle der einsamen Supermacht USA. Nicht zukunftsfähig sei deren Methode, mit harten Bandagen - militärisch oder diplomatisch - den eigenen Willen durchzusetzen. So schaffe sich Washington nur Feinde und löse auf Dauer keine Konflikte.

"Europas Macht liegt in der Transformation."

Seit einem halben Jahrhundert baue die EU dagegen an einer demokratischen Gemeinschaft – und das auf eine stille Art. Darin liege ihre Stärke. Aus ihr die Vereinigten Staaten von Europa formen zu wollen, hielte Mark Leonard für völlig falsch.

"Sie ist ein Netz, kein Staat."

Über dieses partnerschaftliche Netz, nicht über eine Brüssler Zentralgewalt oder einen europäischen Präsidenten übe die Union ihren Einfluss aus.

"Für die überwältigende Mehrheit der EU-Beschlüsse gilt, dass es Sache der Mitgliedsstaaten ist, sie umzusetzen und ihre Einhaltung zu überwachen."

Wirklich wichtige Entscheidungen überlasse die EU den nationalen Politikern.

"Sie setzen die Steuertarife fest. Sie gestalten die Haushalte. Sie befinden über das Ausmaß der Umverteilung von Einkommen."

Natürlich unterwerfen sie sich einer gemeinschaftlichen Politik, aber sie wirken ja auch an ihr mit, setzen via Europa sogar weltweit Standards.

"Es wahrt den Ländern Kompetenzen, die längst auf die globale Ebene abgewandert wären, wenn es keine EU gäbe."

Mark Leonard reist viel – nicht nur durch Europa, sondern auch durch Amerika, Russland, den Mittleren Osten. Derzeit schreibt er ein Buch über China. Er vergleicht und beschreibt, was die Welt am europäischen "way of life" schätzt oder schätzen lernen könnte. Erstens sind es die Prinzipien.

"Multilateralität, Demokratie, Schutz der Menschenrechte und die Herrschaft des Völkerrechts, dazu Diplomatie und taktisches Verhandeln statt militärischer Gewalt."

Zweitens überzeugt der Erfolg der regionalen Integration Europas, in dem Mark Leonhard gleichermaßen amerikanische wie asiatische Ideale verwirklicht sieht.

"Dynamik des Wirtschaftsliberalismus, Stabilität, wohlfahrtsstaatliche Arrangements sozialer Demokratie"

Drittens schließlich beeindruckt die Partnerschaft.

"Der Schlüssel zu ihrem Erfolg, das haben die Europäer begriffen, liegt darin, dass die Überwachung, die sie praktizieren, eine gegenseitige und beiderseits gebilligte ist."

Ob in der Rüstungskontrolle, bei der Erweiterung der EU oder in der Entwicklungshilfe mehrfach hat Europa sein Konzept erfolgreich angewandt. Mark Leonard meint, es sollte so weitermachen, sich nicht scheuen, weitere Mitgliedsstaaten aufzunehmen, vielleicht bis zu fünfzig.

"Unerfüllbare Erwartungen zu wecken ist bedenklich, aber noch bedenklicher ist es, eine Mitgliedschaft kategorisch auszuschließen. Solange noch Hoffnung auf den Beitritt besteht, der Weg, der zu ihm führt, klar vorgezeichnet ist, solange besteht auch der Anreiz zu Veränderung."

Eine Eurosphäre zu schaffen, die Nachbarschaft im Osten und rund ums Mittelmeer positiv zu beeinflussen, daran müsse Europa um der eigenen Sicherheit willen interessiert sein. Mehr noch: mit seinem Politikstil sollte es auch China, Indien, Südafrika und Brasilien umwerben, um sie als Partner gemeinsamer Politik zu gewinnen.

"Das Gebot der Stunde lautet, diese aufstrebenden neuen Mächte in ein System internationaler Beziehungen zu integrieren."

Früher oder später würden sich auch die USA wieder aktiv beteiligen. Und die Europäer sollten sie darin unterstützen. Allerdings empfiehlt Mark Leonard den atlantischen Partnern, sich neuen Themen zu widmen.

"Die Invasion von Armeen haben wir heute weit weniger zu fürchten als Terroranschläge, die globale Erwärmung, die Ausbreitung von Krankheiten wie Aids oder durch ethnische Säuberungen ausgelöste Massenmigrationen."

Schließlich sollte sich die EU für eine Union der Unionen, der regionalen Bündnisse, einsetzen, in der ASEAN und APEC, Arabische und Afrikanische Union, Mercosur und NAFTA zusammenarbeiten.

"Die Welt, die da im Werden ist, wird sich nicht um ein Zentrum drehen, weder um die Vereinigten Staaten noch um die Vereinten Nationen, sondern sie wird eine Gemeinschaft von interdependenten regionalen Staatenverbänden sein.

Europa verstehe es, Staaten demokratisch umzugestalten und in eine regionale Gemeinschaft zu integrieren. Diese Fähigkeit begründe seinen Einfluss und seine Macht in der Zukunft. Mark Leonard bietet uns eine typisch angelsächsische Sicht. Er begründet sie gut und aufmunternd. Die EU sollte nicht die Nationalstaaten zu ersetzen suchen und ihre Grenzen eher weiter, denn enger ziehen – diplomatisch, mit helfender Hand, aber prinzipientreu.


Mark Leonard: Warum Europa die Zukunft gehört
Deutscher Taschenbuch Verlag 2006