Gegen den Verfall der Kommunen

Von Peter Döge |
Straßen werden nur mehr notdürftig gerichtet, im Winter fällt der Streudienst aus, Hallenbäder verkommen - die Liste der Mängel der kommunalen Infrastruktur ließe sich unendlich fortschreiben. Wenn er über diesen desolaten Zustand nachdenkt, fragt sich der Politikwissenschaftler sofort, wie es eigentlich dazu kommen konnte.
In der öffentlichen Debatte scheint die Lage ganz klar: Die Kommunen bluten aus, weil die Bundespolitik den Kommunen immer mehr Lasten aufbürdet. Aber so einfach funktioniert Politik nun doch nicht. Denn die Bundespolitik ist keinesfalls verantwortlich für viele der Probleme.

Sie haben sich vielmehr als soziale Prozesse selbst gestaltet auf kommunaler Ebene gebündelt und hier die Ausgaben steigen lassen: Ausgaben für den demografischen Wandel und die gestiegene Lebenserwartung der Menschen, Ausgaben infolge eines veränderten Erwerbsverhaltens von Frauen, Ausgaben für mehr sozial gefährdete und prekäre Familienkonstellationen.

Sicherlich hat die Bundespolitik mit nicht durchdachten Gesetzesvorhaben wie Hartz IV einen nicht unerheblichen Anteil an der desolaten Finanzlage einiger Kommunen. Aber auf der anderen Seite machen die Sozialausgaben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes eben nur ein Viertel der gesamten bereinigten Aufwendungen der Gemeinden aus – und liegen damit in etwa so hoch wie deren Personalausgaben.

Muss man die Verantwortung für den "Verfall der Kommunen" dann nicht doch bei den lokalen Politikerinnen und Politikern suchen? Haben diese in der globalisierten Welt unter Umständen den Bezug zu ihrem Ort verloren und keine gute Vorsorge mehr getroffen?
Denn der demografische Wandel fiel ebenso wenig vom Himmel wie die Veränderungen in den Familienstrukturen einhergehend mit einem gestiegenen Bedarf an öffentlicher Kinderbetreuung. Ganz zu schweigen von der Aufgabe der Integration der Migrantinnen und Migranten.

Wurde in Gemeinden, Städten und Kreisen - wie in der Politik insgesamt - zu wenig vom realen Alltagsleben her gedacht, Lebensqualität zu eindimensional mit Wirtschaftskraft gleichgesetzt? Braucht es denn wirklich all die hoch subventionierten Gewerbegebiete, Industrieparks, Technologie- und Einkaufszentren? Gerade mit diesen sind auf lange Sicht mancherorts Kosten verbunden, die dann nur über die sogenannten "Kassenkredite" aufgefangen werden können.

In diesem Zusammenhang erweist es sich meines Erachtens als fatal, dass die Haupteinnahmequelle der Kommunen aus der Gewerbsteuer besteht und auf diese Weise ökonomisch verengte Politikstrategien geradezu erzwungen werden.

Wäre es da nicht viel besser, die Gewerbesteuer den Kommunen gänzlich zu streichen und die kommunalen Einnahmen an die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner - und dabei insbesondere an die Zahl von Familien mit Kindern - zu binden? Mit Sicherheit könnte auf diese Weise ein ganz anderer Wettbewerb in Gang gesetzt werden - nämlich ein Wettbewerb um lebenswerte Städte und Gemeinden.

Für wen aber sollen diese eigentlich lebenswert gemacht werden? Für die Bürgerinnen und Bürger, deren Beteiligung an Kommunalwahlen kontinuierlich rückläufig ist und von denen nur eine geringe Zahl an Bürgerentscheiden und am kommunalen politischen Leben teilnimmt?

Handlung ist bekanntermaßen immer Kommunikation. Was sagen uns also die sich verweigernden Bürger?

Sie drücken mitunter ein Desinteresse aus, signalisieren aber den Politikern zugleich eine vermeintliche Zufriedenheit mit dem Istzustand. Vielleicht haben auch sie schon längst den Kontakt zu Ihrem Ort verloren und bewegen sie sich lieber - oder auch bequemer – via Internet durch virtuelle Räume.

Wer ist nun verantwortlich für den Verfall der Kommunen? Niemand und alle zugleich. Und in diesem Sinne bleibt die Lokalpolitik nach wie vor die "Schule der Demokratie". Denn sie macht uns tagtäglich deutlich, dass der Zustand eines Gemeinwesens immer von den Menschen abhängt, die das Gemeinwesen mit ihren Vorstellungen vom guten Leben auf unterschiedlichen Ebenen gestalten. Politik hat immer viele Orte und Akteure.

Dr. Peter Döge, Politikwissenschaftler, geboren 1961, betreibt in Kassel das Büro für Strategiebildung DenkRaumGestaltung. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Politikanalyse, Strategieentwicklung, Politische Ethik. Er war Lehrbeauftragter an zahlreichen Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz und zudem in zahlreichen staatlichen wie nicht-staatlichen Organisationen politikberatend tätig. Sein neuestes Buch: "Politik neu denken. Politiktheorie, Politikanalyse und Politische Ethik jenseits von Newton und Descartes. Eine nichtduale Perspektive" (Verlag Peter Lang, Frankfurt 2012).

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