Gegen den müden Mainstream

Von Herbert A. Gornik |
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat unter dem Titel „Gerechte Teilhabe. Befähigung zu Eigenverantwortung und Solidarität“ eine Denkschrift zur Armut veröffentlicht. „Armut in einem reichen Land ist ein Skandal“, lautet der Haupttenor. Zur Veränderung kommt nach Meinung der Kirche dem Bildungssystem eine Schlüsselrolle zu.
Die Denkschrift ist ein kluger und konkreter Aufruf zum Meinungswandel – gegen die verbreitete Haltung: „Mit Armut muss man sich abfinden“ oder: „Es reicht halt nicht für alle“ oder :"Es gibt nichts zu verteilen“ oder: Wir müssen als Gesellschaft nur die Minimalversorgung leisten.“ Armut in einen reichen Land ist ein Skandal.
Über jeder siebten Person hierzulande schwebt das Armutsrisiko wie ein Schwert am seidenen Faden.

Von „Gerechter Teilhabe“ spricht die Denkschrift und meint damit „die umfassende Beteiligung aller an Bildung und Ausbildung sowie an den wirtschaftlichen, sozialen und solidarischen Prozessen in der Gesellschaft.“

Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wird aber für Arme immer schwieriger bis unmöglich. Denn Armut geht einher mit Arbeitslosigkeit. Mit der schwinden die Sozialkontakte, Ein- und Aufstiegsmöglichkeiten werden schwieriger, Menschen werden ausgegrenzt und fühlen sich abgeschoben und vereinsamen.

Die EKD setzt Bildung gegen Armut. Nicht nur, aber besonders. Denn Bildung schafft die Voraussetzung, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Bildung vermittelt Nähe, Armut ist Partizipationsferne. Besonders Kinderarmut ist ein Superskandal in einem immer noch reichen Land, das zu den Globalisierungs-Gewinnern zählt. Welch’ eine Schande: In keinem anderen Land Europas werden Bildung und Wohlstand so sehr vererbt wie in Deutschland. Der Ratsvorsitzende der EKD, der Berliner Bischof Wolfgang Huber rief zurecht bei der Vorstellung der Denkschrift den großen Theologen Friedrich Schleiermacher ins Gedächtnis. Der hatte , in Berlin am Anfang des 19.Jahrhunderts lehrend, formuliert: „Soweit man Menschen nur Bildung gewährt, insofern ein gesellschaftlicher Bedarf besteht, handelt man gänzlich unchristlich.“ In der Tradition dieser Haltung steht die EKD heute.

Im Blick auf die Kinder ist das Armutsrisiko noch verschärft und gänzlich unethisch. Die Bildungsferne der Kinder aus mit Armutsrisiko belasteten Familien muss überwunden werden, sonst gehen diese Kinder durchs Leben wie in einen Sumpf und versinken früher oder später. Wer Bildungsferne in Teilhabe und Gesellschaftsnähe ändern will, muss diesen Kindern und ihren Eltern freien Zugang zu den Bildungsorganisationen verschaffen. Also lautet e i n e Forderung der Denkschrift: Beitragsfreiheit für die Kindertagesstätten.

Natürlich weiß die EKD, dass zur Teilhabegerechtigkeit durch Bildung auch die Verteilungsgerechtigkeit kommen muss, also auch die Möglichkeit, mit auskömmlicher Erwerbsarbeit am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Auf eine Minimalversorgung, auf einen Sozialstaat auf „Wasser- und-Brot-Niveau“ will sich die evangelische Sozialethik aber zu Recht nicht einlassen und fordert deshalb, den unverzichtbaren Niedriglohnsektor eher zu verkleinern statt ich auszubauen. Vielleicht hört so mancher Manager in der Denkschrift Nachdenkenswertes und münzt seinen fröhlichen Party-Patriotismus jetzt um – in einen Arbeits-Patriotismus: Hurra Deutschland, wir schaffen Arbeitsplätze im Land. Und wir vererben statt Armut und Bildungsferne jetzt Optimismus und Kompetenzen. Danke EKD für die Denk-Nachhilfe.