Gegen das Vergessen
In "Polarfeuer" lebt der Kanadier John Mac Lennan bei den Tschuktschen am nordöstlichsten Zipfel der früheren UdSSR. Dort hatte ihn eine Schamanin nach einem Unfall gerettet und behandelt. Mac Lennan heiratet und beginnt ein völlig neues Leben, bis ihn die Umwälzungen der Russischen Revolution erfassen.
Die Halbinsel Tschukota ist der nordöstlichste Zipfel der ehemaligen UdSSR und grenzt an Alaska. Hier leben heute noch etwa 12 bis 15.000 Tschutschuken, eher in Betonsilos als in den traditionellen Zelten, die mit Walrosshäuten bespannt wurden. Der Fernseher mit Satellitenschüssel und die unvermeidliche Schnapsflasche bestimmen den tristen Alltag. Ein kleines Volk, das dem Untergang geweiht ist. Gegen das Vergessen anzuschreiben und die Erinnerung zu bewahren an die alten Traditionen der Tschuktschen als Renntierzüchter, Pelztier- und Waljäger, die in den langen Polarnächten in ihrer Jaranga sitzen und sich Geschichten erzählen, hat sich Juri Rytscheu als Aufgabe gestellt.
Er wurde 1930 auf Tschukota als Sohn eines Jägers geboren und wuchs mit deren Traditionen auf. Mitte der 50er Jahre ging er zum Studium nach Leningrad und begann zu schreiben. Zuerst in Tschuktschisch, später in Russisch. All seine Erzählungen und Romane handeln von seinem Volk, seinen Traditionen und Glaubensvorstellungen, aber auch häufig von den Brüchen und Veränderungen.
In "Polarfeuer" steht erneut der Kanadier John Mac Lennan im Mittelpunkt. Anfang des letzten Jahrhunderts hatte es ihn in das Polareis verschlagen, wo er nach einem Unfall auf seinem Walfischfänger schwer verletzt von einer Schamanin behandelt wurde und wider Erwarten überlebt hat. Doch als er zu seinem Schiff zurückkehren will, ist es bereits aus dem Eis befreit und abgefahren. John Mac Lennan bleibt bei den Tschuktschen, heiratet dort und beginnt ein völlig neues Leben. Nicht einmal seine Mutter, die aus Kanada anreist, kann ihn zur Rückkehr bewegen. Stattdessen ist sein einziger Wunsch, dass die Tschuktschen von den anreisenden Wissenschaftlern wie dem Polarforscher Roald Amundsen endlich als Menschen und nicht wie exotische Tiere betrachtet werden.
Doch während sich der Kanadier noch Gedanken über eine Eingabe beim Völkerbund macht, um die Kultur der Polarvölker zu bewahren, stürmt die politische Entwicklung auch über diesen entlegenen Zipfel der Welt hinweg. Die russische Oktoberrevolution hat ihre Auswirkungen bis zur Behringsee. Junge Kommunisten kommen zum Polareis und wollen die Welt verändern. John Mac Lennan sieht seine Welt bedroht und stellt sich gegen die neuen Ideen, was er mit einer Inhaftierung bezahlen muss. Doch mit der Zeit stimmt er mit dem jungen enthusiastischen russischen Lehrer überein, dass der Fortschritt nicht aufzuhalten ist und die Veränderungen gar nicht so groß sind, zumal die Vorstellung von Gemeinschaftseigentum und Verantwortung keine neue kommunistische Idee, sondern zutiefst in der Tradition der Tschuktschen verwurzelt ist. Dass John Mac Lennan von den neuen Machthabern mal als Ratgeber und Vermittler und mal als verdächtiger Ausländer eingestuft wird, macht sein Leben nicht einfacher.
Den Konflikt zwischen Tradition und neuer Entwicklung, der in diesem Fall durch die politischen Veränderungen noch verschärft wird, beschreibt Juri Rytcheu sehr klar und nachvollziehbar. Dass die Kommunisten dabei nicht immer eine glorreiche Rolle spielen, hat dazu geführt, dass der Roman nur in gekürzter Fassung in der UdSSR erscheinen durfte. Für die deutsche Übersetzung hat Juri Rytcheu die ursprüngliche Fassung wiederhergestellt. Auch wenn die Zeit längst über diese Geschichte hinweggegangen ist, hat die Frage nach Werten und Veränderungen in menschlichen Gesellschaften nichts an Aktualität verloren. Zumal es dem Autor gelingt, seine Leser in eine fremde eiskalte, aber durchaus interessante Welt zu entführen.
Rezensiert von Birgit Koß
Juri Rytcheu: Polarfeuer
Aus dem Russischen von Antje Leetz
Unionsverlag 2007, 352 Seiten, 19,90 Euro.
Er wurde 1930 auf Tschukota als Sohn eines Jägers geboren und wuchs mit deren Traditionen auf. Mitte der 50er Jahre ging er zum Studium nach Leningrad und begann zu schreiben. Zuerst in Tschuktschisch, später in Russisch. All seine Erzählungen und Romane handeln von seinem Volk, seinen Traditionen und Glaubensvorstellungen, aber auch häufig von den Brüchen und Veränderungen.
In "Polarfeuer" steht erneut der Kanadier John Mac Lennan im Mittelpunkt. Anfang des letzten Jahrhunderts hatte es ihn in das Polareis verschlagen, wo er nach einem Unfall auf seinem Walfischfänger schwer verletzt von einer Schamanin behandelt wurde und wider Erwarten überlebt hat. Doch als er zu seinem Schiff zurückkehren will, ist es bereits aus dem Eis befreit und abgefahren. John Mac Lennan bleibt bei den Tschuktschen, heiratet dort und beginnt ein völlig neues Leben. Nicht einmal seine Mutter, die aus Kanada anreist, kann ihn zur Rückkehr bewegen. Stattdessen ist sein einziger Wunsch, dass die Tschuktschen von den anreisenden Wissenschaftlern wie dem Polarforscher Roald Amundsen endlich als Menschen und nicht wie exotische Tiere betrachtet werden.
Doch während sich der Kanadier noch Gedanken über eine Eingabe beim Völkerbund macht, um die Kultur der Polarvölker zu bewahren, stürmt die politische Entwicklung auch über diesen entlegenen Zipfel der Welt hinweg. Die russische Oktoberrevolution hat ihre Auswirkungen bis zur Behringsee. Junge Kommunisten kommen zum Polareis und wollen die Welt verändern. John Mac Lennan sieht seine Welt bedroht und stellt sich gegen die neuen Ideen, was er mit einer Inhaftierung bezahlen muss. Doch mit der Zeit stimmt er mit dem jungen enthusiastischen russischen Lehrer überein, dass der Fortschritt nicht aufzuhalten ist und die Veränderungen gar nicht so groß sind, zumal die Vorstellung von Gemeinschaftseigentum und Verantwortung keine neue kommunistische Idee, sondern zutiefst in der Tradition der Tschuktschen verwurzelt ist. Dass John Mac Lennan von den neuen Machthabern mal als Ratgeber und Vermittler und mal als verdächtiger Ausländer eingestuft wird, macht sein Leben nicht einfacher.
Den Konflikt zwischen Tradition und neuer Entwicklung, der in diesem Fall durch die politischen Veränderungen noch verschärft wird, beschreibt Juri Rytcheu sehr klar und nachvollziehbar. Dass die Kommunisten dabei nicht immer eine glorreiche Rolle spielen, hat dazu geführt, dass der Roman nur in gekürzter Fassung in der UdSSR erscheinen durfte. Für die deutsche Übersetzung hat Juri Rytcheu die ursprüngliche Fassung wiederhergestellt. Auch wenn die Zeit längst über diese Geschichte hinweggegangen ist, hat die Frage nach Werten und Veränderungen in menschlichen Gesellschaften nichts an Aktualität verloren. Zumal es dem Autor gelingt, seine Leser in eine fremde eiskalte, aber durchaus interessante Welt zu entführen.
Rezensiert von Birgit Koß
Juri Rytcheu: Polarfeuer
Aus dem Russischen von Antje Leetz
Unionsverlag 2007, 352 Seiten, 19,90 Euro.