Gefühltes Wissen

06.10.2009
Die Autorin Jana Hensel versucht in einer Fortsetzung der "Zonenkinder" zu erklären, warum die Ostdeutschen erst nach der friedlichen Revolution zu sich selbst fanden. Sie scheitert grandios.
Die Erwatungen sind groß. Es ist immerhin der Nachfolgeband des viel gelesenen und heftig diskutierten "Zonenkinder", in dem Jana Hensel im Jahr 2002 darüber schrieb, wie wenig sich der Westen für die Biografien junger Ostdeutscher interessiert. Natürlich will man diesmal wissen, warum die Ostdeutschen "anders bleiben sollten", was sie besonders macht, wie sie Selbstbewusstsein aus ihrer Geschichte schöpfen können. Man erwartet ein spannendes Buch, eine Selbstvergewisserung der Ost-Leser und eine Entdeckung für West-Leser. Dann liest man es, legt es weg und bleibt enttäuscht zurück.

Jana Hensel hat damals mit "Zonenkinder" offenbar alles gesagt, was sie zu sagen hat. Sie zeigt allerdings darin Talent, einen gut vermarktbaren Hensel-Sound fortzuschreiben, der aus einer stilistisch perfekten Nöligkeit besteht. Dabei ist Jana Hensels Unbehagen an der gesamtdeutschen Gegenwart menschlich vielleicht nachvollziehbar, aber für ein diskussionswürdiges Buch ist dieses Gefühl zu wenig.

Hensel schreibt darüber, im Grunde nur eine Variation der "Zonenkinder", dass der Westen die DDR nur als eine Abfolge von Aufständen ansieht, alles was dazwischen war, würde ihn wenig interessieren. 1953 der "Bauarbeiteraufstand", wie sie ihn nennt, 1968 der Prager Frühling, 1980 die Gründung der Solidarnosz, 1989 der Mauerfall. Damit sei für den Westen die Ostgeschichte schon zu Ende. Dabei hätte sich das wahre Selbstbewusstsein der Ostdeutschen erst nach der Wende herausgebildet, denn das Erbe der friedlichen Revolution sei nur noch für Sonntagsreden gut, "das ahnen auch die Bürgerrechtler", meint sie ganz jovial.

Das Danach zählt: die Proteste gegen die Schließung des Kalibergwerks in Bischofferode, als Kumpel sich fast zu Tode hungerten oder die Demonstrationen gegen Hartz IV in Leipzig, die vom Westen und einigen Bürgerrechtlern diffamiert worden seien, da sich die Protestler trauten, ihre Aktionen als "Montagsdemo" zu deklarieren. Um ihre These zu beweisen, fährt sie nach Bischofferode, spricht mit Kumpeln, die dort ein Heimatmuseum eingerichtet haben und fügt diesem Thema nichts hinzu. Und so geht es weiter.

Die Ostdeutschen sind für sie immer die Opfer, die unverstandenen, vom Westen ungeliebten Brüder und Schwestern, die um ihr Recht kämpfen müssen, vor allem um das Recht auf ihre eigene Geschichte. Eine Art landsmannschaftliche Selbstbehauptung. Dabei hätte man doch tatsächlich gern gewusst, "warum wir Ostdeutschen anders bleiben sollten", wie der Titel fordert. Man findet aber nichts darüber in diesem Buch, sondern nur Wiedergekäutes und Klischeehaftes. Das ist schade, denn es wäre ein willkommener Beitrag zum Jubiläums-Herbst 2009 gewesen, etwas darüber zu erfahren, was denn die Ostdeutschen nun anders macht. Viele fühlen es, nur wenige können es formulieren. Dafür wären Bücher da - dies nachzuholen. Nur nicht dieses.

Besprochen von Vladimir Balzer

Jana Hensel: Achtung Zone. Warum wir Ostdeutschen anders bleiben sollten.
Piper Verlag, München 2009
176 Seiten, 14,95 Euro