Geflügeltes Anpassungswunder

Honigbienen liefern Honig und Wachs, meistern eine soziale Organisation in einem hoch entwickelten Staatswesen und sind Architekten beeindruckender Wabenkonstruktionen. Dank ihrer Bestäubungsleistung sind sie für uns unverzichtbar. Seit 30 Millionen Jahren gibt es Bienen auf der Erde und noch immer sind nicht alle ihre Geheimnisse entschlüsselt. Was es zu wissen gibt, das lässt sich in einem Buch des Würzburger Biologen Professor Jürgen Tautz nachlesen.
Seit kurzem wird sehr viel über Bienen gesprochen. Nicht, weil sie zum Frühling gehören wie Vögel und blühende Bäume, sondern weil in den USA ein rätselhaftes Bienensterben zu beobachten ist. 70 Prozent der Bienen an der Ost- wie Westküste der Vereinigten Staaten sind einfach verschwunden, vermutlich ausgestorben. Ein Phänomen, das Bienenexperten mit größter Sorge beobachten.

Immerhin existiert die Biene seit über 30 Millionen Jahren und hat im Laufe ihrer Existenz unglaubliche Anpassungsleistungen erbracht. Ist dieses rätselhafte Bienensterben also der Anfang eines Prozesses, den Albert Einstein ahnte, als er geschrieben haben soll: "Wenn die Biene von der Erde verschwindet, dann hat der Mensch noch vier Jahre zu leben; keine Bienen mehr, keine Bestäubung mehr, keine Pflanze mehr, keine Tiere mehr, keine Menschen mehr."

Ob es tatsächlich nur vier Jahre sind, die der Mensch noch zu leben hat, wenn die Bienen fehlen, weiß man nicht, dass Menschen ohne Bienen aber nicht lebensfähig sind, das ist unumstritten. Alljährlich erbringt die Honigbiene eine Bestäubungsleistung, die fünf Milliarden Euro wert ist. Sie kann darin weder künstlich noch von einem anderen Tier ersetzt werden.

Welche Faszination Bienen über die ökonomische Bedeutung hinaus haben, das beschreibt der Würzburger Biologe und Bienenforscher Professor Jürgen Tautz wunderbar anschaulich in seinem Buch "Phänomen Honigbiene".

Die erste Überraschung bietet Tautz, wenn er ein Volk von Honigbienen zum "Säugetier ehrenhalber" ernennt. Nicht von ungefähr, denn ein Bienenstaat hat entscheidende Erfindungen ebenso gemacht wie sie sonst nur von Säugetieren bekannt sind: Bienen bringen nur wenige Jungköniginnen hervor, sie versorgen ihren Nachwuchs mit "Schwesternmilch", aber wie bei den Säugetieren aus speziellen Drüsen. Bienen bauen einen sozialen Uterus, in dem sie optimale Aufzuchtbedingungen garantieren, sie halten die Puppen - den Säugetieren mit ihren 36 Grad nicht unähnlich - bei einer Körpertemperatur von etwa 35 Grad. Honigbienenstaaten haben hoch entwickelte Veranlagung zum Lernen und kognitive Eigenschaften, "mit denen sie sogar manches Wirbeltier in den Schatten stellen."

All das hat dafür gesorgt, dass die Bienen - bisher zumindest - weitgehend unabhängig von äußeren Umweltbedingungen leben konnten, 30 Millionen Jahre lang. Das Erfolgsrezept dafür ist so einfach wie genial. Bienen entnehmen der Umwelt Materie und Energie und organisieren sie so, dass daraus Töchterkolonien von höchster Qualität entstehen - eine "vermehrte Unsterblichkeit".

Weil Bienen nur wenige Nachkommen hervorbringen, widmen sie der Aufzucht unglaubliche Sorgfalt. Sie bauen, anfangs scheinbar ohne Sinn und Plan, aus Honigklümpchen und Pflanzenharzen, vermengt mit Enzymen, die sie der Masse zufügen, ein exaktes Gitter sechseckiger Waben. Sie haben das übrigens sogar im Weltall geschafft. Die Wabenzellen, die eine Kolonie Honigbienen 1984 an Bord eines Space Shuttle bei "null g", ohne Schwerkraft und Fliehkraft erbaute, waren genauso exakt wie unter irdischen Bedingungen. Mathematiker haben errechnet, dass die Geometrie der Bienenwabe optimal ist, um mit möglichst wenig Wachs möglichst viel Volumen zu umbauen.

Sind die wabenförmigen Kinderstuben fertig, werden sie geputzt und gepflegt, mit Futter gefüllt und von Königin "bestiftet", also mit Eiern belegt.

Neue Königinnen wachsen genau zu dem Zeitpunkt heran, wenn im Schwarm die meisten Tiere und genügend Brut vorhanden ist, um den "Auszug" der alten Kolonie auszugleichen. Ein "Königsweg" der Evolution, denn die Bienen teilen den Schwarm für die Vervielfältigung und haben genügend Geschlechtstiere dabei, um genetisch variabel zu bleiben.

Vieles, was Tautz in seinem Buch so anschaulich und für Laien verständlich beschreibt, kann man auf Fotos von Helga H. Heilmann, bislang unveröffentlicht, auch ansehen. Gezeigt wird auch manches, das sich selbst die Experten nicht ganz erklären können: Warum Bienen "Räuberleitern" bilden, wenn sie Waben bauen. Warum eine Biene ihren Stachel mit Widerhaken aus einer anderen Biene wieder herausziehen kann, aus einem ein Säugetier jedoch nicht. Manches ist noch immer unerforscht. Auch "wie es die Bienen tun" weiß keiner so genau. Als wollten sich die Bienen einen Rest "Privatsphäre" erhalten.

Ungeklärt ist bisher auch das Massensterben der Bienen in den USA. Ob die genmanipulierten, insektenresistenten Pflanzen, mit denen immerhin 40 Prozent der dortigen Maisanbauflächen bestückt sind, eine Ursache dafür sind, ist nicht sicher. Bienenexperten wie Jürgen Tautz vermuten ein Bündel von Stressfaktoren, denen selbst die Bienen nicht mehr gewachsen waren.

Rezensiert von Liane von Billerbeck

Jürgen Tautz: Phänomen Honigbiene
Mit Fotografien von Helga R. Heilmann
Spektrum Akademischer Verlag 2007
gebunden, 278 Seiten, 24.95 Euro