Gefangen in den katalanischen Bergen

01.10.2007
Caterina Albert i Paradís veröffentlichte ihre Werke unter dem Pseudonym Víctor Català. In dem bereits 1905 erschienen Band "Solitud" schildert sie die Geschichte von Mila. Die junge, frisch vermählte Frau versucht, sich aus der Einsamkeit der katalanischen Bergwelt und dem ehelichen Desaster zu befreien.
Wer die Romane der Sardin Grazia Deledda oder der Katalanin Caterina Albert i Paradís (1869-1966) alias Víctor Català liest, die Anfang des 20. Jahrhunderts erschienen, der wird in eine völlig fremde Welt entführt: in die beinahe noch archaischen Gesellschaft Sardiniens oder die katalanische Bergwelt, die gleichermaßen rau wie atemberaubend schön ist.

Über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit weiblicher Emanzipation in jener Zeit legt einerseits das männliche Synonym Víctor Català, unter dem Caterina Albert zeitlebens publizierte, beredtes Zeugnis ab. Doch andererseits gelang beiden Autorinnen eine erfolgreiche literarische Karriere, die Deledda sogar den Nobelpreis einbrachte. Nicht wegen des vergangenen Ruhmes, sondern wegen der Qualität dieser Romane, ist es den Verlagen hoch anzurechnen, dass sie diese jetzt einem deutschsprachigen Publikum zugänglich machen.

Es ist jeweils eine Frau, deren Leben geschildert wird. Bei Deledda die Titelheldin Marianna Sirca, der ein Erbe ein gewisses Maß an Unabhängigkeit verschafft. Dennoch scheitert ihre Liebe zu einem Banditen, wobei in der Schwebe bleibt, ob die gesellschaftlichen Strukturen oder persönliche Konflikte die Schuld daran tragen.

Ganz anders Mila, die Protagonistin von "Solitud". Sie hat einem Mann, ihrem Gatten, sich und ihr Erbe anvertraut, muss aber schnell erkennen, dass er ein Nichtsnutz ist, der sie in eine hoch in den Bergen gelegene Einsiedelei führt, die sie fortan bewirtschaftet. Ängstlich und völlig verunsichert kommt sie dort an. Ein alter Schäfer, der dort sein Sommerquartier hat, ist ihr einziger Trost. Mit Energie und Arbeitseifer gelingt es ihr, ganz ohne Hilfe ihres Mannes, das kleine Anwesen in Schuss zu bringen, doch schon das erste Fest zu Ehren des Ortsheiligen, das in der Einsiedelei stattfindet, wird zum Desaster. Da ihr ob der gänzlichen Untätigkeit ihres Mannes auch der Wunsch nach einem Kind verwehrt bleibt, versinkt sie in eine Depression, aus der wiederum der Schäfer sie zu reißen versteht.

Inhaltlich ist es aus heutiger Perspektive spannend zu sehen, wie eine Frau sich allein durch das Sakrament der Ehe oder die Konvention an einen Mann gefesselt fühlt, mit dem sie nichts verbindet. Und wie sie es gleichwohl schafft, um so mehr Kraft zu entwickeln, je dramatischer die Situation wird.

Catalàs poetische Sprache rückt das Geschehen mitunter in eine noch weitere Ferne, was dem Text aber einen besonderen Reiz verleiht: So erblühte "jedes Heidebüschel, das sie in den Kamin schob, in einem neuen Flammenstrauß". Die materielle Beschränktheit bringt sie in präzisen Miniaturen zum Ausdruck. So heißt es über Mila beim ersten Aufstieg in die Einsiedelei: "Ihr Blick fiel auf ihre Stiefeletten: was für ein Jammer! Die waren für immer hinüber. Und sie dachte, wenn Matias ihr ehrlich gesagt hätte, was sie vor sich hatten, wäre sie in Espardeynes [Espadrillos] gegangen, statt unsinnig ihre Hochzeitsschuhe zu ruinieren – die einzigen guten, die sie besaß." So gelingt es Català, in einem ruinierten Absatz das Bild eines Lebens und einer Ehe aufscheinen zu lassen.

Rezensiert von Carolin Fischer

Víctor Català: Solitud
SchirmerGraf, München 2007
Deutsch von Petra Zickmann
288 Seiten, 18,80 Euro