Gefallenen-Gedenkstätte

"Soldaten sind Vertreter dieser Gesellschaft"

Holzkreuze stehen in einem Ehrenhain der neuen Gedenkstätte "Wald der Erinnerung" in Geltow (Brandenburg)
Holzkreuze stehen in einem Ehrenhain der neuen Gedenkstätte "Wald der Erinnerung" in Geltow (Brandenburg) © picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger
Oberst-Arzt Andreas Lison im Gespräch mit Julius Stucke · 15.11.2014
Die Bundeswehr weiht heute mit dem "Wald der Erinnerung" bei Potsdam einen Gedenkort für gefallene Soldaten ein. Oberst-Arzt Andreas Lison sagt: Angehörige brauchen einen Ort der Trauer. Soldaten, betont der Mediziner, sollten als Vertreter unserer Gesellschaft betrachtet werden.
Oberst-Arzt Andreas Lison, Leiter des Sportmedizinischen Instituts der Bundeswehr in Warendorf, wünscht sich einen unverkrampfteren Umgang mit Gedenkstätten für gefallene Bundeswehrsoldaten. Ein gutes Beispiel für einen gelungene Ort des Gedenkens ist für ihn der neue "Wald der Erinnerung" bei Potsdam.
Lison, der selbst unter anderem in Afghanistan im Einsatz war, sagte, es gebe aufgrund der deutschen Geschichte und einer unrühmlichen militärischen Vergangenheit große Berührungsängste mit diesem Thema.
"Andererseits (...) sind die Soldaten der Bundeswehr, sind die Familien, die daran hängen, Vertreter dieser Gesellschaft: Sie gehen in Einsätze, die von der Politik bestimmt worden sind. Und die Politiker und die Parteien, die das tun, sind letztlich von der Gesellschaft gewählt. Insofern würde ich mir schon wünschen, dass wir ein etwas unverkrampfteres Verhältnis dazu mit der Zeit entwickeln."
Aus seiner Erfahrung als behandelnder Arzt wisse er, wie wichtig diese Wertschätzung auch für aus Auslands- oder gar Kampfeinsätzen heimgekehrte Soldaten sei. Diese bräuchten Begleitung auf dem Weg zurück in die Normalität nach dem Einsatz. Es sei eine schwierige Situation auch für die Familienangehörigen und Freunde – denn diese könnten die belastenden Erlebnisse natürlich kaum nachvollziehen.
Lison sagte weiter, Öffentlichkeitsarbeit sei für die Bundeswehr sehr wichtig, um Berührungsängste zu Orten wie dem "Wald der Erinnerung" abzubauen. Er könne sich darüber hinaus auch andere, öffentlichere Gedenkorte vorstellen, an denen die Gesellschaft noch mehr teilhaben könne.
Das Interview im Wortlaut:
Julius Stucke: Wir brauchen einen angemessenen Ort, um uns an gefallene Bundeswehrsoldaten zu erinnern, um diese zu würdigen. Dieser Wunsch war der Anfang. Familienangehörige und Kameraden der mehr als 100 Bundeswehrsoldaten, die bei Einsätzen im Ausland gestorben sind, hatten diesen Wunsch und riefen damit vor zwei Jahren ins Leben, was heute feierlich eingeweiht wird: Der Wald der Erinnerung in der Nähe von Potsdam. Ein Ort, um gefallene Soldaten zu würdigen. Brauchen wir einen solchen Ort? Und wenn ja, ist es nun ein angemessener Ort geworden?
Der Wald der Erinnerung als Ort, um gefallene Bundeswehrsoldaten zu würdigen. Warum brauchen wir einen solchen Ort und wie gelungen ist dieser oder auch nicht? Darüber spreche ich mit Andreas Lison, der als Bundeswehrarzt bei Auslandseinsätzen war, der dort und der danach hier im Land viele verletzte und traumatisierte Soldaten betreut hat. Heute leitet er das Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr in Warendorf. Ich grüße Sie, Herr Lison!
Andreas Lison: Guten Tag!
Stucke: Es gab vor dieser heutigen Einweihung deutliche Kritik am Wald der Erinnerung. Beschämend nannte es der frühere Wehrbeauftragte des Bundestages Reinhold Robbe, den Standort, versteckt bei Potsdam statt zentral an einem prominenten Platz. Hat er recht?
Lison: Das kommt auf die Perspektive an aus meiner Sicht. Zunächst muss man ja wissen, dass dieser Ort auf Initiative von Menschen entstanden ist, die Opfer gebracht haben, die also Angehörige verloren haben in diesen Einsätzen. Und da ist es natürlich auch ein stiller Ort der Trauer. Ich könnte mir vorstellen, dass bei dieser Kritik dahintersteht, dass es nicht immer einfach ist, Trauer öffentlich zu zeigen, und dass dabei der Eindruck entstehen könnte, dass die Bundeswehr und die Angehörigen sich verstecken wollen. Aus meiner persönlichen Sicht und auch im Umgang mit den Patienten glaube ich das eher nicht, sondern ich glaube, dass dieser Wald eigentlich ein geschützter Bereich ist, der den Trauernden eine gute Möglichkeit gibt, in aller Stille daran zu denken.
Ein angemessener Ort der Trauer
Stucke: Das heißt, Sie finden das Konzept des Ortes an sich gelungen und sagen, es ist ein angemessener Ort, um an gefallene Soldaten zu erinnern?
Lison: Es ist aus meiner Sicht ein angemessener Ort, zumal dieser Ort auch nicht in Konkurrenz steht. Es gibt ja auch in Berlin das Ehrenmal, was ganz öffentlich an die Gefallenen erinnert. Und ich finde das eine gute Kombination, wenn man versteht, warum es diesen speziellen Ort gibt.
Stucke: Warum brauchen wir denn Ihrer Ansicht nach noch diesen Ort für die persönliche stille Trauer für gefallene Bundeswehrsoldaten?
Lison: Weil nicht jeder Mensch, glaube ich, in der Lage ist, seine Trauer öffentlich zu zeigen. Und ich glaube, dass es ganz gut ist, da auch eine gewisse Rückzugsmöglichkeit zu geben. Und ich finde natürlich auch die Situation eines Waldes, der ja auch irgendwo ein Stück Leben wieder darstellt und auch die Möglichkeit, hier einen Baum zu pflanzen, eigentlich eine schöne Sache. Natürlich kann man auch darüber nachdenken, dass Gesellschaft auch an einer solchen Trauer teilnehmen kann. Und da stellt sich mir die Frage, ob es vielleicht auch noch andere Möglichkeiten gibt, diese Trauer auch seitens der Gesellschaft auszudrücken.
Stucke: Da klingt ein bisschen heraus, als würden Sie vermissen, dass in der Gesellschaft dieses Thema wirklich stattfindet, diese Trauer!
Lison: Ja, das ist aus meiner Sicht und auch aus der Sicht der Betroffenen – ich führe ja viele Gespräche – sicherlich ein großes Thema. Dabei möchte ich aber auch berücksichtigen, dass der Umgang mit Krieg und Militär natürlich aufgrund unserer Geschichte ein hoch komplexer ist und dass es für viele Menschen auch große Berührungsängste mit diesem Thema gibt. Andererseits ist die Bundeswehr, sind die Soldaten der Bundeswehr, die Familien, die daran hängen, Vertreter dieser Gesellschaft. Sie gehen in Einsätze, die von der Politik bestimmt worden sind, und die Parteien und die Politiker, die das tun, sind letztlich von der Gesellschaft gewählt. Insofern würde ich mir schon wünschen, dass wir da ein etwas unverkrampfteres Verhältnis mit der Zeit entwickeln und Soldaten auch in diesem Bereich Teil der Gesellschaft werden können.
Soldaten sollten sich in die Gesellschaft eingebunden fühlen
Stucke: Sie haben es gesagt, Sie kennen ja die Probleme rückkehrender Soldaten aus der persönlichen Erfahrung, und Sie arbeiten ja auch mit diesen Menschen, behandeln Soldaten, die körperlich und psychisch zu kämpfen haben nach ihrer Rückkehr. Welche Rolle spielt denn für die die Würdigung oder eben auch die fehlende Würdigung durch die Gesellschaft? Macht es das für die Soldaten noch schwieriger?
Lison: Unbedingt, unbedingt. Es ist so, dass Soldaten, die viele Monate im Auslandseinsatz waren – und ich weiß das ja selber aus eigener Erfahrung – ja in eine ganz neue Welt zurückkehren. Also, so nach Hause kommen, das ist gar nicht so einfach, das ist oft ein langer Weg. Und was ich mir wünsche, ist, dass man diesen Weg gemeinsam geht. Man darf aber auch nicht unterschätzen, wie schwierig das für die Daheimgebliebenen ist, nicht nur für die Familien, für die Angehörigen, sondern auch für Nachbarn und Freunde, die sich ja in diese Welt, wie es zum Beispiel in Afghanistan ist oder wie es damals in Kambodscha war, überhaupt nicht mehr hineinversetzen können.
Wir dürfen dabei nicht unterschätzen, dass in den Zeiten der Weltkriege ja eine ganze Gesellschaft vom Thema Krieg betroffen war, da waren Menschen, die auch in der Heimat Krieg ganz hautnah erlebt haben, mindestens mal im Zweiten Weltkrieg, wir erinnern uns an die furchtbaren Bombennächte und anderes, den Krieg, der auf deutschem Boden stattfand. Es ist gut, dass das nicht der Fall ist und dass es auch hoffentlich nie mehr passieren wird, aber das macht es der Gesellschaft viel, viel schwieriger, sich in die Situation von Soldaten hineinzuversetzen. Und hier kann nur ein ganz direkter Dialog helfen.
Und ich glaube auch, dass gerade die Einbindung von Soldaten in gesellschaftliche Dinge, die ganz im privaten Bereich stattfinden, seien es Vereine, seien es Freundschaften, die sich bilden, ganz wichtig sind, und dazu gehört auch, dass Soldaten nicht ständig innerhalb von kurzer Zeit ihren Standort wechseln müssen und überhaupt eine Chance haben, in eine Gesellschaft wirklich hineinzuwachsen.
Stucke: Aber wie konkret könnte dieser Dialog, den Sie ansprechen, aussehen? Also, wie schaffen wir es, diese Brücke zu schlagen eben zwischen der Gesellschaft, die das aus den Gründen, die Sie erwähnt haben, nicht mehr so leicht würdigen kann, und eben dem Bedürfnis der Soldaten aber, dass ihre Arbeit gewürdigt wird?
Lison: Sie machen gerade so etwas. Sie machen ein Interview mit mir, Sie beschäftigen sich mit dem Thema. Also, ein ganz großer Bereich ist sicherlich die Öffentlichkeitsarbeit, wo auch die Bundeswehr mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit mitwirken kann, aber auch die Medien selbst. Es ist natürlich auch eine Berührungsangst, weil man aufgrund unserer Geschichte, die wir haben, nicht vermitteln möchte, dass wir in alte Zeiten zurückkehren. Das ist ein sensibles Thema und es ist sicherlich sensibler als in anderen Ländern. Und ich bin sicherlich der Letzte, der für einen Hurra-Patriotismus hier die Stimme erheben will, ganz im Gegenteil.
Wir wollen auch als Soldaten nicht beklagte Opfer sein oder bemitleidet werden. Aber wir hätten schon gerne ein besseres Sprachrohr beispielsweise über die Medien, aber insbesondere auch über die Politik, um besser darzustellen, was wir tatsächlich in den Einsätzen machen. Und eine gar nicht schwierige Frage für uns Soldaten ist, dass wir selbst beantworten sollen, wenn uns Mitbürgerinnen und Mitbürger fragen, warum geht ihr eigentlich in diese Einsätze? Diese Frage müsste eigentlich an die gestellt werden, die uns da hinschicken und die sich sicherlich auch darüber Gedanken gemacht haben.
Einsätze mit humanitärer Grundlage
Stucke: Aber was sagen Sie denn dann als Soldat konkret diesem Menschen, der Sie fragt, warum geht ihr in den Einsatz und warum soll ich eure Arbeit würdigen, wenn ich sie eben kritisiere?
Lison: Wir gehen in den Einsatz aufgrund eines parlamentarischen Beschlusses, also im Prinzip als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland, aus Gründen, die ganz vielfältig sein können. Ich als Angehöriger des Sanitätsdienstes habe zum Beispiel hier eine ganz besondere Mission, hier geht es also um humanitäre Dinge. Und auch die Einsätze, die wir bisher gefahren haben, haben ja eine humanitäre Grundlage. Und hier erkläre ich schon sehr gerne, was wir da machen. Und wenn Mitbürger dann häufig hören, dass wir da ein Krankenhaus gebaut haben, dass wir da viele afghanische Bürger und Kinder und Frauen versorgt haben, dass wir dort auch soziale Projekte gemacht haben, dass wir auch Bereiche beschützt haben, damit sich auch da selbstständig was entwickeln kann, dann wird das viel anfassbarer für die Menschen. Aber das ist natürlich immer nur ein Tropfen auf den heißen Stein, denn Sie können ja nicht so viele damit erreichen. Das ist eigentlich unsere Problematik.
Stucke: Der Wald der Erinnerung. Heute wird dieser Ort bei Potsdam eingeweiht, ein Ort für die mehr als 100 im Ausland gefallenen Soldaten der Bundeswehr. Gedanken dazu von Andreas Lison, Mediziner bei der Bundeswehr. Herr Lison, vielen Dank für das Gespräch!
Lison: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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