"Gefahr für die demokratische Struktur"

Jürgen Roth im Gespräch mit Marietta Schwarz · 06.06.2011
Geldwäsche, Korruption und Menschenhandel, Hunderte Milliarden US-Dollar werden alljährlich mit illegalen Geschäften verdient. Der Journalist Jürgen Roth warnt anlässlich einer Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung vor den Gefahren für unsere Demokratie, denn die Routen der organisierten Kriminalität führen auch durch Deutschland.
Marietta Schwarz: Eine Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin widmet sich ab heute diesem Thema und fragt, wie sehr ist unsere Demokratie durch globale kriminelle Netzwerke gefährdet. Und ein Konferenzteilnehmer ist uns jetzt telefonisch zugeschaltet: der Journalist und Autor Jürgen Roth. Guten Morgen, Herr Roth.

Jürgen Roth: Guten Morgen, Frau Schwarz.

Schwarz: Russenmafia, Camorra, Drogenmafia, da denkt man jetzt nicht unbedingt an Deutschland. Falsch gedacht?

Roth: Na ja, ganz sicher falsch gedacht, weil all diese kriminellen, international operierenden Organisationen auch a) ihre Stützpunkte in Deutschland haben und b) natürlich auch ihre entsprechenden Partner haben, also über Anwaltskanzleien, über Notare, über Banker. Das heißt, sie könnten im Grunde genommen nicht so aktiv sein hier in Deutschland, gäbe es nicht die entsprechenden Unterstützer, die eben von diesen Aktivitäten profitieren. Und man muss eines bedenken: es geht ja wirklich nicht nur um Raub, um Erpressung, um den Drogenhandel, der natürlich eine ganz zentrale Rolle spielt, sondern es gibt ja inzwischen kriminelle Organisationen, kriminelle Syndikate, die den gesamten Rohstoffbereich teilweise besetzen, ein Monopol haben. Das betrifft insbesondere Russland beziehungsweise die Länder der ehemaligen UdSSR. Die haben alle ihre Repräsentanten hier und so gesehen ist Deutschland Teil dieses globalen Netzwerkes.

Schwarz: Welchen Rang nimmt denn da Deutschland, sage ich mal, EU-weit oder auch weltweit ein? Es gibt ja Länder, die verbindet man eher mit solcher Form von Kriminalität als Deutschland.

Roth: Na ja, klar: man kann Deutschland nicht mit Italien vergleichen, beispielsweise was die italienische Mafia betrifft. Da haben wir eine andere Situation. Das bedeutet aber nicht, dass italienische kriminelle Organisationen auch nicht flächendeckend in Deutschland vertreten sind. Wenn man es vergleicht, spielt Deutschland in Bezug auf organisierte Kriminalität, insbesondere auf diese transnationale organisierte Kriminalität, in Europa sicher die wichtigste Rolle überhaupt. Unvergleichbar viele dieser kriminellen Organisationen arbeiten auch von Deutschland aus, arbeiten in Deutschland, was natürlich daran liegt, also verständlicherweise, Deutschland ist in der Mitte Europas, Deutschland ist die stärkste Wirtschaftsmacht, ist am attraktivsten. Geldwäsche ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern immer noch sehr leicht. Das hat ja die OECD erst vor Kurzem festgehalten, mahnend. Also so gesehen ist Deutschland kein schlechtes Gebiet für diese kriminellen Syndikate.

Schwarz: Sie vertreten die These, Herr Roth, dass organisierte Kriminalität mit dem Wirtschaftssystem immer eng verflochten ist. Sie haben sich damit ja auch schon mehrfach unbeliebt gemacht bei Politikern etwa wie Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Wie sehen denn diese Verflechtungen aus und wo funktionieren sie besonders gut? Anscheinend in Deutschland!

Roth: Na ja, weil wir hier politisch, sagen wir mal, naiv – bei Gerhard Schröder weiß ich das nicht, ob es nur naiv ist – man Verbindungen eingeht mit Strukturen, die durch und durch kriminell sind. Gazprom ist nicht nur eben ein Energiekonzern wie jeder andere Energiekonzern auch, Gazprom hat Tochtergesellschaften, wo bekanntermaßen führende kriminelle Autoritäten Aktienmehrheiten haben, und Gazprom ist ein Unternehmen, das das Instrument der Erpressung bestens einsetzt, um seine Monopolstellung durchzusetzen. Die Aluminium-Industrie, müssen Sie bedenken, in Russland ist in den Händen eines Oligarchen. Da hat vor Kurzem, das heißt jetzt vor einem Jahr, das Stuttgarter Landgericht festgestellt, dass dieser Oligarch Mitglied einer kriminellen Organisation ist, der Ismailowskaja. Das waren diejenigen, die übrigens bereit waren, Opel aufzukaufen. Also da sehen Sie die Verstrickungen von Personen und Netzwerken hier mit der hiesigen Wirtschaft.

Schwarz: Ist diese internationale organisierte Kriminalität dann auch eine Gefahr für demokratische Strukturen, zum Beispiel in Deutschland?

Roth: Sie ist ganz sicher eine Gefahr für die demokratische Struktur, insbesondere ist sie eine Gefahr für den freien Wettbewerb. Der freie Wettbewerb wird ausgeschaltet, weil enorme Kapitalmengen kriminell erwirtschafteten Geldes auch hier in Deutschland investiert werden. Das ist konkurrenzloses Kapital, das hat der normale Unternehmer nicht zur Verfügung. Und die Demokratie wird dadurch ausgehöhlt, weil die Machenschaften, die kriminellen, korruptiven Machenschaften, die in diesen Ländern ja erst das Entstehen dieser großen kriminellen Organisationen ermöglicht haben, dann auch nach Deutschland greifen, oder nach Europa, muss man ja immer sagen, weil sie hier dann eben auch handgreifen, und das ist eine Gefahr für die Demokratie.

Schwarz: Der Journalist und Autor Jürgen Roth, Teilnehmer an der heute beginnenden Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung über organisierte internationale Kriminalität. In Berlin findet diese Konferenz statt. Herr Roth, vielen Dank für das Gespräch.

Roth: Bitte sehr, Frau Schwarz.
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