Gefälschtes Wissen

Journalist fordert mehr Transparenz bei Wikipedia

Moderation: Liane von Billerbeck · 13.01.2014
Es gibt "viele Fälle, in denen Unternehmen Wikipedia-Einträge ändern, um sich in ein besseres Licht zu rücken", sagt der Journalist Marvin Oppong. Er hat in einer Studie die Manipulationsversuche bei der Online-Enzyklopädie untersucht.
Liane von Billerbeck: Fast immer, wenn man im Internet etwas sucht, eine Person, ein Ereignis, einen Ort, geht man zuallererst auf eine Seite, die von Wikipedia. Das Online-Lexikon, das von vielen klugen Menschen gefüttert wird, gilt als unabhängig, transparent, unbestechlich und schnell. Mehr als 70 Prozent der Internetnutzer informieren sich dort.
Schnell und gewieft sind aber auch jene Autoren, die Namen und Produkte von Konkurrenten aus Wikipedia-Artikeln ebenso eliminieren wie historisch unliebsame Fakten aus einer Unternehmensgeschichte oder unbemerkt Werbung in Wikipedia-Artikeln unterbringen.
Der Journalist Marvin Oppong, freier Journalist aus Bonn, hat für die Otto-Brenner-Stiftung zur Wissenschaftsförderung eine Studie über verdeckte PR bei Wikipedia verfasst. Oppong arbeitet als freier Journalist und wurde für viele seiner investigativen Recherchen ausgezeichnet. Er hat bis dahin unbekannte Verbindungen aufgedeckt, die der WDR-Gremienvorsitzenden zur WDR mediagroup beispielsweise, was zur Änderung des WDR-Gesetzes führte letztlich, und auch die verleugneten Verbindungen der katholischen Pax-Bank zu einem Rüstungskonzern.
Jetzt hat er sich Wikipedia vorgenommen und die verdeckte PR bei Wikipedia aufgedeckt. Herr Oppong, ich grüße Sie!
Marvin Oppong: Hallo!
von Billerbeck: Manipulation und PR bei Wikipedia, was haben Sie da gefunden?
Oppong: Ja, jede Menge. Da gibt es viele Fälle, in denen Unternehmen Wikipedia-Einträge ändern, um sich in ein besseres Licht zu rücken. Da sind auch einige Fälle an die Tagesoberfläche gekommen über die Presse, von verschiedenen Medien, ich selber habe auch neue Fälle entdeckt, wo es zum Beispiel um Daimler geht, habe zum Beispiel herausgefunden, dass von einer IP-Adresse aus, die zu Daimler führte, Dinge gelöscht wurden im Wikipedia-Artikel über Daimler, die Beschäftigung von NS-Zwangsarbeitern durch Daimler betreffen, um nur ein Beispiel zu nennen.
von Billerbeck: Ach, zählen Sie doch noch mal mehr auf, das war jetzt ein Beispiel! Da fragt man sich auch, es hat ja eine Menge so Veröffentlichungen gegeben, wo es um die eigene Unternehmensgeschichte ging. Man arbeitet ja auch, damit man sagt, wir machen das alles transparent. Wieso versucht man, im Internet das dann so zu vertuschen?
Oppong: Ja, also, Wikipedia ist halt eine sehr wichtige Wissensquelle, wo sich sehr viele Leute informieren. Und für Unternehmen ist es einfach eine sehr wichtige Komponente in der PR-Arbeit geworden, auch sich Wikipedia vorzunehmen, um da eben gut dazustehen. Und da gibt es zum Beispiel den bekannten Fall Bell Pottinger, das ist eine Agentur aus dem englischsprachigen Raum, und da haben eben Reporter herausgefunden, dass diese Agentur Wikipedia-Einträge manipuliert hat, der Fall ging sehr durch die Medien. Und Unternehmen versuchen einfach, da Einträge zu ändern, kritische Dinge herauszulöschen, vielleicht auch was über die Konkurrenz zu verändern oder zum Beispiel auch in Diskussionen mitzumischen.
von Billerbeck: Nun könnte man ja sagen, das ist nicht schön und kritikwürdig, und Sie decken es ja auch auf, aber das gleicht doch irgendwann wieder die sogenannte Schwarmintelligenz aller Nutzer von Wikipedia aus. Stimmt das nicht?
Oppong: Ja, das könnte man erst mal denken. Allerdings ist es so, dass es einfach sehr, sehr viele Wikipedia-Einträge gibt und die Wikipedia-Community schon sehr viel damit zu tun hat, die bestehenden Einträge überhaupt zu pflegen. Und da kommen jeden Tag 300 neue Artikel hinzu auf Wikipedia und die PR-Leute agieren eben auch sehr geschickt. Also, es ist unter Umständen gar nicht so leicht erkennbar, ob jetzt etwas PR ist oder nicht. Und die Community kann das alles gar nicht handeln, was da an Angriffsversuchen sozusagen es gibt durch die PR-Branche, die ja personell sehr gut bestückt ist und natürlich auch viel Geld dabei in die Hand nimmt.
von Billerbeck: Nun haben Sie sich für diese Studie ganz intensiv damit befasst. Wie kann denn aber nun ein normaler Nutzer erkennen, aus welcher Quelle eine Information stammt?
Oppong: Also, jeder Wikipedia-Artikel hat eine sogenannte Versionsgeschichte. Wenn man oben rechts auf Versionsgeschichte klickt, dann sieht man, wer diesen Wikipedia-Artikel wann geändert hat, da ist die Uhrzeit, Datum, alles festgehalten. Und entweder man sieht dann die IP-Adresse, von der aus eine Änderung vorgenommen wurde, wenn derjenige nicht angemeldet ist, oder, wenn derjenige sich angemeldet hat, dann sieht man dort einen Benutzernamen.
Allerdings sagt der Benutzername nicht viel aus, denn da kann man einen beliebigen Fantasienamen wählen. Und wenn man schlau ist als PR-Mensch, dann gibt man einfach irgendeinen Namen da an und das sieht dann so aus, als ob irgendein Privatmensch da hobbymäßig was geändert hat.
Wikipedia muss transparenter werden
von Billerbeck: Aber wenn ich mir jetzt vorstelle, ich suche bei Wikipedia was, dann brauche ich das ja meistens schnell, stehe unter Zeitdruck und kann jetzt nicht da gucken nach der ganzen Versionsgeschichte. Ist das nicht sehr unrealistisch im normalen Gebrauch dieses Onlinelexikons, dass man da so genau in der Recherche sein kann?
Oppong: Ja, richtig, das ist auf jeden Fall ein Problem. Man kann nicht da auf die Schnelle das alles nachschauen und deswegen bin ich der Auffassung, dass Wikipedia transparenter werden muss. Also, es muss irgendwie einfacher werden für den Nutzer, sich da ein Bild zu machen, um eben die Transparenz zu erhöhen. Und das würde eben Manipulation in Wikipedia erschweren.
von Billerbeck: Wie soll das konkret laufen, was muss Wikipedia ändern?
Unternehmen sollen sich verifizieren
Oppong: Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, dass man eine Verifizierungsmöglichkeit schafft, also dass zum Beispiel derjenige, der das möchte, Unternehmen zum Beispiel, sich verifizieren kann. Und dann würde man zumindest bei diesen Änderungen schon mal sehen, wer da tatsächlich dahintersteckt. Jetzt kann man sich zwar registrieren, aber da muss man keine Information oder so preisgeben, man sieht also nicht, wer dahintersteckt zwischen einer Änderung.
Und was anderes wäre, dass man Unternehmen zwingt, Unternehmensaccounts offenzulegen, also, wenn ein Unternehmen dort agiert in Wikipedia, dass eben man das auch eindeutig sieht. Das wäre wichtig.
von Billerbeck: Aber bitte, wer soll da wen zwingen?
Oppong: Man könnte entsprechende Statute oder Regeln einführen in Wikipedia, es gibt ja schon verschiedenste Regeln in Wikipedia, und da könnte man eine neue Regel schaffen, die eben besagt, dass Unternehmen ihre Unternehmensaccounts offenlegen müssen.
von Billerbeck: Wer müsste das beschließen?
Oppong: Das müsste die Wikipedia-Community beschließen.
von Billerbeck: Die ist doch aber sehr groß und heterogen. Wie soll die darauf kommen, dass dieser Beschluss ... Wie, meinen Sie, kommt dieser Beschluss durch?
Oppong: Das ist natürlich ein Problem. Das war auch ein Grund, warum wir diese Studie gemacht haben, um eine gewisse Sensibilität für dieses Thema zu schaffen. Und das Problem wäre dann auch wiederum der Abstimmungsprozess, der ist nämlich auch sehr problematisch, da in Wikipedia eben Abstimmungen nach sogenannten Meinungsbildern stattfinden. Da wird einfach über den Daumen gepeilt festgestellt, wie die Meinung steht. Da kommt ein Administrator und stellt dann fest, die Abstimmung ist so oder so ausgegangen, und da stimmen dann auch zum Teil Leute mit mehreren Accounts ab.
von Billerbeck: Und der Administrator ist ja auch nicht auf demokratischem Wege gewählt.
Oppong: Richtig.
von Billerbeck: Das heißt doch aber, dass sich da Wikipedia möglicherweise selbst im Weg steht. Denn es ist einerseits das größte Mitmachlexikon, das ist ja auch seine Stärke, dass jeder daran teilhaben kann, das ist ja auch irgendwie so was wie gelebte Demokratie. Wird jetzt aus dieser Stärke von Wikipedia quasi eine Schwäche, wenn Sie uns beschreiben, dass es eben benutzt wird für PR, für Manipulation, für Geschichtsklitterung?
Oppong: Also, ich würde sagen, zum Beispiel die Anonymität bei Wikipedia ist ja erst mal positiv, dass man da nicht Information preisgeben muss, wenn man da irgendwie ein Komma ändert. Aber es bringt eben Probleme mit sich. Und diese Probleme sollte man versuchen, irgendwie zu minimieren.
von Billerbeck: Aber wer sollte die Sanktionsinstanz sein?
Oppong: Ja ...
von Billerbeck: Das wäre ja was wie Medienpolizei?
Oppong: Ja, so was sollte es natürlich nicht geben. Aber es gibt ja den Verein Wikimedia Deutschland, der hinter der deutschen Wikipedia steht. Und der hatte schon die Mittel und Wege, sage ich mal, was in diese Richtung zu tun.
von Billerbeck: Herr Oppong, Sie haben das nun alles untersucht bei Wikipedia. Nutzen Sie Wikipedia überhaupt noch, oder wie nutzen Sie Wikipedia?
"Man sollte in Wikipedia nicht die Dinge für bare Münze nehmen"
Oppong: Ich nutze Wikipedia nach wie vor sehr viel. Ich finde auch Wikipedia eine tolle Sache, eine tolle Wissensquelle. Nur, dadurch, dass ich mich sehr viel mit dem Thema beschäftigt habe, hat sich so ein bisschen meine Einstellung zum Thema Wikipedia geändert. Also, ich betrachte seitdem Wikipedia etwas kritischer und frage mich, wenn ich da was lese, mehr, wer das denn jetzt verfasst hat. Und natürlich bin ich jetzt auch in der Lage nachzuschauen, wer da Dinge geändert hat.
Und man sollte also in Wikipedia nicht die Dinge für bare Münze nehmen und sich immer bewusst machen, dass jedermann da was ändern kann und dass das, was man da jetzt vielleicht gerade über ein Unternehmen zum Beispiel liest, auch aus der Pressestelle dieses Unternehmens kommen kann.
von Billerbeck: Das sagt der freie Journalist Marvin Oppong, dessen Studie "Verdeckte PR bei Wikipedia" im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung zur Wissenschaftsförderung jetzt erschienen ist. Danke Ihnen!
Oppong: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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