Gefährliches Versteck

06.05.2010
Als Hitler 1933 an die Macht kam, waren Valentin Senger und seine Familie doppelt gefährdet: zum einen wegen ihres kommunistischen Engagements, zum anderen wegen ihrer jüdischen Herkunft. Sie bleiben in Frankfurt wohnen - und zwar unentdeckt.
Frankfurt am Main in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: In der Kaiserhofstraße lebt die jüdische Familie Senger. Auch als Adolf Hitler 1933 die Macht ergriffen hat, bleibt die Familie in Frankfurt wohnen; den Nazi-Schergen bleiben auf wundersame Weise sowohl das kommunistische Engagement als auch die jüdische Herkunft der Sengers verborgen.

Als der Vater von Valentin Senger 1911 nach Frankfurt zog, hatte er auf das Ende einer Odyssee gehofft: Aus Russland musste er vor der zaristischen Geheimpolizei fliehen und hatte sich mit gefälschten Pässen über die Schweiz nach Deutschland abgesetzt. Hier wuchsen Valentin Senger und seine beiden Geschwister auf. Als die Nazis 1933 die Macht übernahmen, war die Familie wegen ihres kommunistischen Engagements und ihrer jüdischen Herkunft doppelt gefährdet. Doch mit Hilfe von Freunden, Nachbarn und Helfern wie mutigen Behördenmitarbeitern und einer großen Portion Glück überlebten sie zwölf Jahre von SS und SA unentdeckt in ihrer Wohnung.

"Kaiserhofstraße 12" ist ein schier unglaublicher Überlebensbericht. Valentin Senger schildert sympathisch und eindrucksvoll, wie es der Familie zwölf lange Jahre gelang, unentdeckt zu bleiben – Angst war ein ständiger Begleiter. Valentins Mutter Olga – vor Sorge schwer herzkrank – führt in der Kaiserhofstraße ein strenges Regiment. Noch Jahre nach dem Krieg, schreibt der Autor, habe er seine Meinung stets nur ängstlich äußern können, denn die Mutter hatte allen eingeprägt, jedes Auffallen zu vermeiden. Jede Freundschaft und erst recht jede Liebschaft wurden beargwöhnt, ein normales Leben fand nicht statt. Dabei brachte der junge Valentin die Familie so manches Mal in große Gefahr: Beim Ankleben von Plakaten, die zum Widerstand gegen die Nazis aufriefen, als er sich mit einer bulgarischen Studentin einließ oder als er eine Verehrerin abblitzen ließ, deren Mann strammer Parteigenosse war.

Das Buch lebt von der Unmittelbarkeit des Geschilderten. Angemessene Trauer und der nötige Humor, um den Mut nicht zu verlieren, wechseln einander ab. Auch wenn der Leser durch den Klappentext ja längst weiß, dass für die Familie alles gut ausgegangen ist, denkt er doch unwillkürlich immer wieder, gleich könne alles herauskommen. Spätestens bei Valentin Sengers Musterung kurz vor Kriegsende, während der ein Stabsarzt seinen rituell beschnittenen Penis untersucht, glaubt man, die Tarnung der Familie müsse jeden Moment auffliegen, doch der Arzt winkt ihn durch, und wieder bleiben alle unbehelligt. Der Begriff Wunder ist hier tatsächlich angebracht.

Bis 1981 blieb Valentin Senger die deutsche Staatsbürgerschaft verwehrt. Obwohl er in Deutschland geboren war, verweigerte man ihm wegen seiner Vergangenheit als Kommunist deutsche Papiere. "Kaiserhofstraße 12" erschien erstmals 1978, wurde verfilmt und erschien auch als Hörbuch. Der Schöffling-Verlag entschied sich im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Frankfurt liest ein Buch" zu einer Neuauflage. Dazu passt es wie kein zweites, denn der Bericht vermittelt eine Menge Frankfurter Lokalkolorit aus schwärzesten Zeiten.

Besprochen von Roland Krüger

Valentin Senger: Kaiserhofstraße 12
Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2010
320 Seiten, 19,90 Euro