Gedenkkonzert in Babyn Jar

Mit Musik wider das Vergessen

Nach dem Zerfall der UdSSR errichteten Jüdische Organisationen ein großes Menora-Denkmal zwischen den Bäumen der Parkanlage.
Die Gedenkstätte Babyn Yar ist eine große Parkanlage, in der Gräberanlagen und Denkmäler an den Wegen liegen. © imago / EST&OST / Martin Fejer
Moderation: Volker Michael · 06.10.2021
Zum 80. Jahrestag des deutschen Massakers an Jüdinnen und Juden Kiews in der Schlucht Babyn Jar spielt das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin vor Ort die gleichnamige Sinfonie von Dmitrij Schostakowitsch. Auch Überlebende werden im Publikum sein.
Vor 80 Jahren fand in der Schlucht von Babyn Jar bei Kiew ein grausames Massaker statt. Einsatzgruppen der SS und Mitglieder der Wehrmacht erschossen innerhalb von zwei Tagen mehr als 33.700 Menschen jüdischen Glaubens, Männer, Frauen und Kinder jeden Alters. Heute ist die Schlucht ein großer Gedenkstätten-Park mit mahnenden Erinnerungsskulpturen und Brunnen.
Dies ist der Ort der großen Gedenkveranstaltung, zu der auch der Bundespräsident Steinmeier angereist ist. Gleich zu Beginn wird das Deutsche-Symphonieorchester Berlin die 13. Sinfonie von Dmitrij Schostakowitsch spielen, ein groß angelegtes, chorsinfonisches Werk aus dem Jahr 1962. Er benutzte dafür Gedichte von Jewgenij Jewtuschenkow, die der Dichter selbst als eine Mischung aus "Requiem, Satire und trauriger Lyrik".

Erinnerungs-Sinfonie

Die 13. Sinfonie behandelt im ersten Satz das Verbrechen an den jüdischen Menschen von Kiew. Damit brachte sich Schostakowitsch wieder einmal ins Fadenkreuz der Zensur. Denn der Mord an der jüdischen Bevölkerung war in der Sowjetunion ein Tabu.
Der erste Satz ist, wie eines der Gedicht, nach dem Ort des Geschehens benannt: "Babi Jar" in russischer Schreibweise. Vor dem Erscheinen der Gedichte und vor der Uraufführung der Sinfonie waren die Ereignisse in Babyn Jar verschwiegen und vergessen worden. Über Nacht wurden diese Erinnerungen wieder wachgerüttelt.

Uneingeschüchtert

Der zweite Satz, mit "Humor" überschrieben, ist ein derb kurioser Satz. Er zeigt: Witze entstehen, um die Mächtigen lächerlich zu machen. Und auch wenn man diese verbietet, verfolgt und anprangert, der Witz wird immer die Oberhand behalten.
Dmitry Schostakowitsch sitzt mit zurückgeworfenem Kopf auf einem Sofa. 
Dmitry Schostakowitsch 1962 bei der Premiere seiner 13. Sinfonie.© imago / ITAR-TASS
"Im Laden", der dritte Satz, ist ein Tribut an die russischen Frauen, die in langen Schlangen warten, während ihre leeren Töpfe hörbar klappern. Dieses Scheppern steigert sich in den zwei letzten Sätzen, "Ängste" und "Karriere", zu einem bedrohlichen Klopfen. Dieses Geräusch löste in Schostakowitsch ein Leben lang Beklemmung aus. Diese macht sich in der Sinfonie mit aufschreienden Passagen Luft. Das Pochen, mit dem Stalinistische Handlanger die Bewohner für Verhaftungen wachrüttelten, hatte sich traumatisch in Schostakowitschs Musik und Leben eingraviert.

Authentischer Dirigent

Thomas Sanderling dirigiert dieses Gedenkkonzert. Er war lange mit Dmitry Schostakowitsch persönlich befreundet. Der Komponist bat ihn einst, die russischen Texte für die deutsche Erstaufführung zu übersetzen. Zudem leitete Sanderling damals die deutsche Erstaufführung.
Heute ist er Teil einer wichtigen Geste, denn hier musiziert ein deutsches Orchester mit Mitgliedern des Städtischen Kammerchors Kiew.
Volker Michael berichtete vorab in der Sendung Tonart von dem Konzertereignis [AUDIO] .
Gedenkstätte Babyn Jar, Kiew
Aufzeichnung vom Nachmittag
Dmitrij Schostakowitsch
Symphonie Nr. 13 b-Moll op. 113 "Babi Jar"

Albert Dohmen, Bassbariton
Herren des Städtischen Kammerchors Kiew
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Leitung: Thomas Sanderling

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