Gedenkkonzert

Ein verdammtes Datum

Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt
Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt © Tobias Tanzyna
09.11.2014
Freud und Leid liegen an keinem Tag so dicht beeinander - mit einem Blick in die "Heldenstadt" Leipzig begeht das Brandenburgische Staatsorchester den Schicksalstag unseres Landes, den 25. Jahrestag des Mauerfalls und den 76. Jahrestag der Novemberpogrome. Musik mit eindeutigem Bezug zur deutschen Musikmetropole Leipzig stehen dabei auf dem Programm.
Der berühmteste Sohn Leipzigs kommt heute Abend nicht zu Gehör: Richard Wagner. Obwohl er in seiner Person und seiner Kunst vielleicht am besten dieses Datum "Neunter November" symbolisiert. Mit der Janusköpfigkeit aus Freiheitsdrang, künstlerischer Genialität und moralisch-politischem Versagen. Steht der 9. November 1918 für die Gründung der Republik, die der Anarchist Wagner in jungen Jahren erträumt haben mag, steht der 9. November 1938 für den Abgrund an Hass und Gewalt und staatlicher Verkommenheit, den Wagner in seinen antisemitischen Pamphleten vorweggenommen und befeuert hat (sein persönlicher Hass auf seine Konkurrenten Mendelssohn und Meyerbeer, in deren Musik er sich schamlos bedient hat, wird zudem durch den 9. November 1935 symbolisiert, als die Nazis und ihre Helfer das Mendelssohn-Denkmal in Leipzig zerstörten), gab der 9. November 1989 schließlich den Deutschen und Europa dank der demokratischen Vorkämpfer in Polen, Tschechien und anderswo eine dritte Chance, das Beste zu betonen und das Schlechte zu erinnern und zu überwinden, wie es schon die vielen jüdischen und demokratischen Wagnerianer zu dessen Lebzeiten versucht und letztlich nicht geschafft hatten.
Das Brandenburgische Staatsorchester spielt heute Abend eine der "Sinfonischen Dichtungen" Felix Mendelssohn Bartholdys, die bei ihm noch Ouvertüren hießen. Die "Hebriden" hat er damals mit seinem Gewandhausorchester in Leipzig erarbeitet und aufgeführt. Schließlich ein unvollendetes Werk eines weiteren bekannten Komponisten, der ebenfalls in Leipzig geboren wurde. Hanns Eisler hat seiner Heimatstadt, die er allerdings bald verlassen und nie mehr als Wohnort aufgesucht hat, eine Sinfonie gewidmet, die jedoch Fragment blieb. Der aus der DDR in den Westen gegangene Komponist Tilo Medek vollendete sie und brachte sie 1998 in Leipzig zur Uraufführung.
Im Leipziger und im gesamtdeutschen Musikleben spielte schließlich Salomon Jadassohn am Ende des 19.Jahrhunderts eine wichtige Rolle - vor allem als Lehrer und Theoretiker. Seine vielen Musikwerke sind leider vergessen. Nicht zuletzt weil sein künstlerisches Schaffen als das eines jüdischen Deutschen nach 1933 auf dem Index stand. An diesem Abend spielt das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt Jadassohns vierte Sinfonie.
Es ist schon eine gute Tradition in der Oderstadt, auf die vielschichtige Bedeutung des 9. November hinzuweisen und auch musikalisch die gemischte Gefühlslage auszudrücken. Der Berliner Dirigent Jürgen Bruns ist als Spezialist für unbekannte und verfemte Musik ein gern gesehener Gast bei dieser Veranstaltung. Der Gedenkabend beginnt in der Konzerthalle "Carl Philipp Emanuel Bach" stets mit einer Rede eines Prominenten. Nach Bundespräsident Joachim Gauck 2013 ist es dieses Mal der erste Ministerpräsident Brandenburgs und DDR-Kirchenjurist Manfred Stolpe.
Live aus der Konzerthalle "Carl Philipp Emanuel Bach" in Frankfurt/Oder
Gedenkkonzert 25 Jahre Mauerfall - 76 Jahre Novemberpogrome
Ansprache von Manfred Stolpe, ehemaliger Ministerpräsident Brandenburgs
Felix Mendelssohn Bartholdy
"Die Hebriden" Konzertouvertüre h-Moll op. 26
Hanns Eisler/Tilo Medek
Leipziger Symphonie (1998)
Salomon Jadassohn
Sinfonie Nr. 4 c-Moll op. 101
Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt
Leitung: Jürgen Bruns
Im Anschluss
Konzerthalle Carl Philipp Emanuel Bach in Frankfurt/Oder
Aufzeichnung vom 23.02 2009
Alexandre Tansman
Stele in memoriam Igor Strawinsky
Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt
Leitung: Howard Griffiths