Gedenken an Rostock-Lichtenhagen

"Den Menschen nach dem Menschsein befragen"

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Fünf Stelen des Künstlerkollektivs "Der Schaum" erinnern an die ausländerfeindliche Gewalt in Rostock-Lichtenhagen vor 25 Jahren. © Der Schaum
Alexandra Lotz im Gespräch mit Ute Welty · 22.08.2017
Fünf Stelen erinnern ab heute an Akteure der fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen: Polizei, Politiker, Täter, Gesellschaft und Medien. Es gehe dabei auch um die Frage, wie werde ich mich in Zukunft verhalten, sagt Künstlerin Alexandra Lotz.
Bis vor Kurzem erinnerte in Rostock-Lichtenhagen so gut wie nichts an die ausländerfeindlichen Ausschreitungen vom August 1992. Jetzt haben Alexandra Lotz und Tim Kellner vom Künstlerkollektiv "Der Schaum" zum Gedenken an das Pogrom fünf Marmorstelen geschaffen, die auf maßgebliche Orte und maßgebliche Akteure im Zusammenhang mit den Ereignissen von 1992 hinweisen.
"Wir haben also eine Stele direkt als Politikstele vor dem Rathaus, um die Rolle der Stadt in dem Zusammenhang zu befragen", sagte Alexandra Lotz im Deutschlandfunk Kultur. "Also, was ist 1992 aktiv oder inaktiv die Rolle der Stadt gewesen, welche Entscheidungen hätte sie treffen müssen, welche hat sie nicht getroffen, welches ist einfach passiert durch Unterlassung?"

Auch die Medien waren beteiligt

Auch zur Rolle der Polizei, der Täter und der Zivilgesellschaft gebe es Stelen. Außerdem eine vor dem Redaktionsgebäude der "Ostsee-Zeitung": "Was man nie vergessen darf, die Rolle der Medien, heutzutage als vierte Stele und vierte Säule der Gesellschaft", betont Lotz. "Also, was ist passiert im Vorfeld an Panikmache? Und letztendlich auch das Vokabular von 1992 war ganz negativ und hat auch maßgeblich dazu beigetragen, dass sich dort so viele Menschen getroffen haben."
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Vor dem Redaktionsgebäude der Ostsee-Zeitung erinnert eine Stele an die Rolle der Medien im Zusammenhang mit dem Pogrom© Der Schaum
Im kommenden Jahr werde es dann auch eine sechste Stele geben, die den Opfern gewidmet sei.

Mehr als Gedenken an die Vergangenheit

Insgesamt geht es den Künstlern um mehr als nur Gedenken an ein vergangenes Ereignis: "Unser Projekt heißt 'Gestern, heute, morgen', also, es ist nicht nur die Frage, verdammt, wie war das vor 25 Jahren, wo war ich da und warum war ich wie ich war, sondern wie bin ich heute – wir haben das aktuelle Problem, wir haben es –, und wie werde ich mich auch in Zukunft verhalten?", so Lotz. "Insofern sind das ganz generelle menschliche Fragen, die da besprochen werden, die nicht unbedingt immer eine Schuld zeigen sollen, sondern die eigentlich den Menschen nach dem Menschsein befragen."
(uko)

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Fröhliche Sonnenblumen sind zum Symbol geworden für die hässliche Seite der Wiedervereinigung. Heute vor 25 Jahren beginnen die Ausschreitungen gegen Asylbewerber und Vietnamesen, und am Ende brennt das Sonnenblumenhaus in der Mecklenburger Allee. Die Bewohner müssen um ihr Leben fürchten. Die Bilder gehen damals um die Welt, und sie haben bis heute nichts von ihrem Schrecken verloren. Als die Künstlerin Alexandra Lotz nach Rostock zieht, muss sie feststellen, dass nichts an die Ereignisse aus dem Jahr 1992 erinnert, und zusammen mit Tim Kellner macht sie sich daran, das zu ändern. Jetzt ist Alexandra Lotz am "Studio 9"-Telefon. Guten Morgen nach Rostock!
Alexandra Lotz: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Sie haben fünf Marmorstelen geschaffen, die an markanten Orten in Rostock aufgestellt wurden und dann ab heute schrittweise zu sehen sind. Warum haben Sie sich für ein solch mehrteiliges Mahnmal entschieden?
Lotz: Das Konzept des dezentralen Erinnerns ist im Wettbewerb vorgegeben worden, und wir stellten dann fest bei der Bearbeitung der Thematik, dass das extrem wichtig ist, nicht einen einzigen Schuldigen oder Verantwortlichen ermitteln zu wollen in einem sehr diffusen Ereigniswulst, der 1992 ja entstand, sondern es gab viele Protagonisten, und die Hauptprotagonisten haben jetzt also ein Mahnmal bekommen oder einen Erinnerungsort, sodass die Fragen an mehrere Stellen in der Stadt gerichtet werden können.

Zivilgesellschaft 1992 noch nicht so entwickelt

Welty: Welche sind das, welche Stellen sind das?
Lotz: Ganz eklatant natürlich … Wir haben das ein bisschen aufgeteilt, muss ich sagen. So wie die Stelen – es ist genannt wie die Säulen der Demokratie. Wir haben also eine Stele direkt als Politikstele vor dem Rathaus, um die Rolle der Stadt in dem Zusammenhang zu befragen, also was ist 1992 aktiv oder inaktiv die Rolle der Stadt gewesen, welche Entscheidungen hätte sie treffen müssen, welche hat sie nicht getroffen, welches ist einfach passiert durch Unterlassung, und insofern musste die Stadt als Hauptverantwortliche natürlich eine Stele bekommen. Des Weiteren natürlich die Staatsgewalt, die Polizei, also auch dort steht eine Stele zur Rolle der Polizei in diesen Tagen, warum sie nicht ausgerückt ist, warum sie nicht vorbereitet war und so weiter.
Natürlich die Stelle selbst, Lichtenhagen, ganz klar, der Moment des Pogroms dort, bei uns eben auch Selbstjustiz genannt in dem Falle, wenn sich das Volk also die Macht herausnimmt, zu entscheiden, wer leben soll und wer nicht. Also schon auch eine durchaus harte Frage an dieser Stelle. Und was man nie vergessen darf, die Rolle der Medien, heutzutage als vierte Stele und vierte Säule der Gesellschaft, also was ist passiert im Vorfeld an Panikmache, und letztendlich auch das Vokabular von 1992 war ganz negativ und hat auch maßgeblich dazu beigetragen, dass sich dort so viele Menschen getroffen haben.
Der fünfte Aspekt ist natürlich die Zivilgesellschaft, die Gesellschaft. Auch die hat eine Stele bekommen, die sozusagen die Frage stellt, was hätten wir tun können, und was haben wir nicht getan, warum war die Zivilgesellschaft 1992 kurz nach dem Fall der Mauer noch nicht so entwickelt, wie wir uns das gewünscht hätten.

Eine sechste Stele für die Opfer

Welty: Bei dem, was Sie beschreiben, vermisse ich die Opfer.
Lotz: Ja, da haben Sie recht. Wir haben irgendwie in dem Zuge überlegt, wie wir ein Konzept machen können, was erst mal selbst bei sich bleibt, was in dem Falle… und das war das, was wir vermisst haben auch in Rostock und auch letztendlich in den Vorgesprächen für den Wettbewerb, dass natürlich sozusagen schon die Verantwortlichen keine Verantwortung übernehmen wollten und dass uns wichtig war, dass für die Reflexion und das Begreifen dieses schrecklichen Ereignisses erst mal ziemlich eindeutige Fragen an die Täterseite gestellt werden müssen. Ich kann Sie beruhigen: Inzwischen werden wir im nächsten Jahr zum gleichen Datum eine sechste Stele eröffnen, die dann für die Opfer sein wird.
Welty: Als zusätzliches Element gibt es noch ein Kunstbuch für Kinder. Wie sind Sie da herangegangen? Wie erklärt man Kindern diesen Hass, der mich ja auch als Erwachsener einigermaßen fassungslos zurücklässt?
Lotz: In der Bearbeitung des Themas – das Kinderbuch war gar nicht Teil des Wettbewerbs – haben wir festgestellt, dass Erinnerungskultur sich immer an ein erwachsenes Publikum richtet und dass Kinder eigentlich mit Stelen oder Erinnerungsorten, Mahnmalen nicht so viel anfangen können, weil es durchaus sich an Erwachsene richtet. Und wir haben überlegt, unser großes Thema, das, was wir am Ende auch bearbeiten wollen im Falle von Lichtenhagen, ist das Thema der Menschlichkeit. Das beginnt im besten Falle bei den Kleinen.
Also haben wir gesagt, wir müssen unbedingt noch ein Element einbringen, was sozusagen den Aspekt der Menschlichkeit, der Empathie den Kindern nahebringt, denn das ist die Gesellschaft von morgen, und in dem Zuge haben wir ein Kunstbuch geschaffen, geschrieben wie eine Fabel, also eine kleine Geschichte, die sich am Ende aber auch auf eine der Stelen im Rostocker Stadtraum bezieht, wo Kinder sozusagen eine Geschichte über Vögel lesen können, die sehr schön bebildert ist, wie die Vögel am Ende sich gegenseitig helfen, obwohl sie anfänglich einen fremden Vogel nicht mit ins Vogelhaus lassen wollen.

Befriedung ist nur über Reflexion möglich

Welty: Wenn jetzt dieser öffentliche Erinnerungsprozess in Rostock beginnt nach 25 Jahren, nach einem Vierteljahrhundert – wie, glauben Sie, werden die Rostocker reagieren, denn nicht jeder und jede wird sich gern daran erinnern, was da in der Stadt passiert ist?
Lotz: Das sind die Menschen sehr eigen. Wissen Sie, wer lässt sich gerne an Dinge erinnern, die nicht gut gelaufen sind, die unschönen Fehler und auch Schuld. Das ist, glaube ich, grundsätzlich schwierig. Man kann immer Dinge aufstellen, die freudvoll sind. Ich hoffe ganz inständig für uns alle – letztendlich auch zeigt es dann, ob die Rostocker Zivilgesellschaft weiterentwickelt hat –, dass diese Stelen hoffentlich auch stark zur Diskussion anregen sollen. Sie müssen nicht gut gefunden werden. Im besten Fall reagiert die Zivilgesellschaft von Rostock anders als 92, nämlich nicht über Zerstörung, sondern streitet sich an diesen Säulen. Ich glaube und ich denke, dass sozusagen nur durch die Reflexion am Ende auch eine Befriedung mit dem Thema stattfinden kann. Nur weil ich es nicht anspreche, habe ich es nicht verarbeitet.
Also, ich muss mich mit Dingen auseinandersetzen, um später dann auch das vergessen zu lassen zu dürfen. Insofern ist es wichtig, dass es physische Orte in der Stadt gibt, die erkannt werden und an denen die Fragen auch sehr genereller Natur sind. Unser Projekt heißt "Gestern, heute, morgen", also es ist nicht nur die Frage, verdammt, wie war das vor 25 Jahren, wo war ich da und warum war ich wie ich war, sondern wie bin ich heute – wir haben das aktuelle Problem, wir haben es –, und wie werde ich mich auch in Zukunft verhalten, und insofern sind das ganz generelle menschliche Fragen, die da besprochen werden, die nicht unbedingt immer eine Schuld zeigen sollen, sondern die eigentlich den Menschen nach dem Menschsein befragen. Ich hoffe, dass es klappt.
Welty: Das hoffe ich mit Ihnen! Alexandra Lotz vom Künstlerkollektiv SCHAUM. Am heute wird ihr Mahnmal in Rostock eingeweiht, wo vor 25 Jahren die massiven ausländerfeindlichen Ausschreitungen begonnen haben. Frau Lotz, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!
Lotz: Ja, danke auch an Sie! Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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