Gedenkbild für eine Verstorbene

Wiewohl erzählend, gehört dieses Buch keiner literarischen Gattung an, auch nicht der klassischen Autobiografie, denn Georg Diez, der 1969 geborene deutsche Journalist und Publizist, erzählt nur einen bestimmten Ausschnitt aus seinem Leben: Die Jahre, in denen seine Mutter an Krebs erkrankt war, immer schwächer, immer abhängiger und pflegebedürftiger wurde und schließlich im Jahr 2005 starb.
Diese Erfahrung beschreibt Georg Diez ohne fiktionalisierende Verhüllung, seine Mutter hat in diesem Text den Namen, den sie auch im Leben hatte: Hannelore Diez, geboren 1935, von Beruf Familientherapeutin und Familienmediatorin. Sie lebte, arbeitete und starb in München.

Dort wuchs der Sohn auch als einziges Kind allein mit der Mutter auf, nachdem sie sich als junge Frau von ihrem Ehemann getrennt und ein neues Leben, das prototypische Leben einer unabhängigen, erfolgreichen, emanzipierten Frau begonnen hatte. Im Kern ist der Text von Georg Diez ein Gedenkbild für diese Frau, ein Porträt aus unmittelbarer und trauernder Erinnerung, zugleich ein zeitgenössischer Krankheitsbericht. Aber Kapitel für Kapitel spannen sich die Erinnerungen an die Besuche des vielbeschäftigten, viel reisenden Sohnes bei der kranken Mutter, die Erinnerungen an letzte Spaziergänge, letzte Restaurantbesuche in einen weiteren Kontext; sie dehnen sich zum Doppelporträt zweier Generationen der Nachkriegszeit, der Generation der 68er mit ihrem antibürgerlichen Impetus und der sorgenfreien Generation Golf.

Ohne Polemik, ohne Aggression, auch ohne Abrechnungswut stellt Georg Diez zwei Lebenskonzepte einander gegenüber - und erzählt gleichzeitig davon, dass Leben sich in seinen Konzepten nicht erfüllt, dass es neben allen Generations- und Bewusstseinsunterschieden existentielle Unveränderlichkeit gibt: Zur Welt kommen und sterben. Denn der Sohn, der seine Mutter an die Krankheit Krebs verliert, wird zur gleichen Zeit zum ersten Mal Vater. Einige Wochen nach dem Tod der Mutter kommt sein Kind zur Welt. Einfühlsam, innig, zugleich nüchtern analytisch, aber nie pathetisch berichtet Georg Diez von einer Zeit seines Lebens, in der sich dieses auf schmerzvolle und beglückende Weise verdichtete.

Besprochen von Ursula März

Georg Diez: Der Tod meiner Mutter
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009
199 Seiten, 16,95 Euro