Gedanken zur Reinkarnation

Kater Adolf an der Klagemauer

Menschen stehen am 15.1.2012 in der Altstadt Jerusalems vor der Klagemauer
Die Klagemauer in der Altstadt von Jerusalem: Hier begegnete unserem Autor ein Kater mit schwarzem Fellfleck unter der Schnauze. © picture alliance / imageBROKER
Von Florian Goldberg · 06.11.2018
Ausgelöst durch die Begegnung mit einem mageren Kater in Jerusalem: Der Autor Florian Goldberg betrachtet den rauer werdenden politischen Diskurs einmal ganz anders. Was würde sich ändern, wenn alle wüssten, dass sie wiedergeboren werden?
Als ich letztes Jahr durch Jerusalem schlenderte, begegnete ich kurz vor der Klagemauer einem mageren, räudigen Kater. Fell und Kopf waren schmuddelig weiß, nur hier und da hatte er ein paar schwarze Flecken. Einer davon prangte genau unter der Schnauze, sodass das arme Tier an einen grämlichen Adolf Hitler erinnerte. Ich stellte mir vor, wie der nun tagaus, tagein die Klagemauer auf und ab rennt, Touristen wie Gläubige um etwas Essbares anbettelt und dabei sein Schicksal verflucht: "So ein verdammter Dreck! - Das hätte mir vielleicht mal einer sagen können mit der Reinkarnation, dann hätte ich mir die ganze Sache noch einmal überlegt!"
Natürlich war das eine unangemessene Albernheit, in die ich mich auch noch übertrieben heftig hineinsteigerte. So was passiert. Was in diesem Fall allerdings nicht meine, sondern die Schuld dieses taktlos getigerten Katers war. Das versteht sich. Aber die Ausgangsidee hat doch etwas Zwingendes: Was, wenn wir mit dem Tod weder ins Nichts fielen, noch ein Gott uns zur Rechenschaft zöge? Was wenn wir aufgrund eines geheimnisvollen Naturgesetzes immer wieder in eine nächste Runde geschickt würden, bis wir's endlich kapiert haben?

Kommt nach dem Tod die nächste Runde?

Übrigens ist der Reinkarnationsgedanke, denn um diesen handelt es sich, mitnichten den östlichen Religionen oder ein paar esoterischen Spinnern vorbehalten. Von den Kirchen beargwöhnt und bekämpft, zieht er sich von Platon über Giordano Bruno bis zu Lessing, Schopenhauer und anderen auch durchs Abendland. Ob er nun stimmt, ist ein ganz anderer Punkt. Was nach dem Tod ist, wissen wir naturgemäß erst nach dem Tod. Nur sind wir dann leider tot und können es niemandem mehr sagen.
"Falsch" oder "richtig" sind daher keine hilfreichen Kriterien, wenn wir die Vorstellungen der verschiedenen Denker und Propheten über unser menschliches Woher und Wohin beurteilen wollen.
Interessanter wird es, wenn wir nach der Wirkung fragen, die sie bestenfalls auf uns haben können: Was verändert sich, wenn ich mein Leben durch die jeweilige Brille betrachte? Hier entfaltet der Reinkarnationsgedanke eine ganz eigene ethische Schönheit. Ob ich Mann, Frau oder Transgender, arm oder reich, hell- oder dunkelhäutig bin, wird ebenso unerheblich wie die Frage nach meiner Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierung. Jede immanente Identität wird in seinem Licht transzendiert. Ich könnte in diesem Leben ein gut situierter, erzkatholischer Bayer sein, um mich im nächsten als dunkelhäutige Muslima im Jemen wiederzufinden. Oder ein narzisstischer Präsident, der sich dann als Inuit hilflos dem Schmelzen des ewigen Eises als Folge der Klimaerwärmung ausgeliefert sieht.

Idee der Wiedergeburt verbindet alle Lebewesen

Mit anderen Worten: Alle sind mit allen verbunden. Ich kann dir nicht schaden, ohne mir selbst zu schaden, dich nicht verachten, ohne mich selbst zu verachten. Zugleich sind die Achtsamkeit und der Respekt, die ich dir entgegen bringe, ein Geschenk, das ich mir selbst mache - denn ich bin du. Wir sind als Einzelne Teil einer geheimnisvollen Einheit, die es zu erkennen und zu ehren gilt.
Die Menschheit ist eins - nicht abstrakt philosophisch, sondern ganz konkret. Noch wilder wird es, wenn wir die Möglichkeit einbeziehen, uns im Körper eines Tiers wiederzufinden. Platon macht dazu einige fröhliche Vorschläge, die Upanishaden, uralte philosophische Schriften Indiens, sowieso.
Was mich zu dem eingangs erwähnten Kater zurückbringt. Nein, nicht weil ich tatsächlich glaubte, er sei die Wiedergeburt Hitlers, sondern um mich bei ihm in aller Form zu entschuldigen: Er hat den Spott nicht verdient, für die Ähnlichkeit kann er nichts, wirklich! Ich will mir mit dem Kater schließlich kein schlechtes Karma einhandeln. Wer weiß, sonst finde am Ende ich mich an der Klagemauer wieder - als Maus!

Florian Goldberg hat in Tübingen und Köln Philosophie, Germanistik und Anglistik studiert und lebt als freier Autor, Coach und philosophischer Berater für Menschen aus Wirtschaft, Politik und Medien in Berlin. Er hat Essays, Hörspiele und mehrere Bücher veröffentlicht. Für Deutschlanfunk Kultur hat er zahlreiche politische Feuilletons verfasst.

Der Autor, Coach und philosophische Berater Florian Goldberg.
© privat
Der von von Florian Goldberg erwähnte Kater ist kein Einzelfall: Die Webseite Cats That Look Like Hitler widmet sich diesem Phänomen satirisch.
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