Geburtstagsgruß an Frank Castorf

Von Hartmut Krug · 17.07.2011
Frank Castorfs Beitrag zur Entwicklung des modernen Theaters ist enorm. Zu seinem 60. Geburtstag bleibt die Hoffnung, der Leiter der Berliner Volksbühne möge aus seiner künstlerischen Krise heraus finden.
Wie einem Regisseur zu seinem 60.Geburtstag gratulieren, dem man seit seiner vierten Regiearbeit, damals in Brandenburg an der Havel, mit anfangs wachsender, viel später aber mit schwindender Begeisterung durch die deutschsprachigen Theaterlande gefolgt ist? Vielleicht indem man versucht, seinen künstlerischen Entwicklungsweg zu beschreiben.

Geboren am 17.Juli 1951 in Ost-Berlin als Sohn eines Eisenwarenhändlers, Abitur, Facharbeiterabschluss bei der Reichsbahn, Dienst bei der NVA und Studium der Theaterwissenschaft. Engagement in Senftenberg als Dramaturg, erste Regiearbeiten. Dann Regisseur in Brandenburg an der Havel, es beginnen die Konflikte mit den Kulturverantwortlichen der SED. Von 1981 bis 1985 Oberspielleiter in Anklam. Zu den Premieren reisten Autokolonnen aus Berlin an, bei Brechts "Trommeln in der Nacht" allerdings vergeblich, die Premiere wurde verboten. Dennoch konnte Castorf noch vor der Wende in Karl-Marx-Stadt und Halle, an der Volksbühne und dem Deutschen Theater in Berlin und sogar in München und Hamburg inszenieren.

Ein Buch über Castorf trägt den Untertitel "Provokation als Prinzip". Nichts falscher als das. Castorfs Aufbrechen von Texten, um sie mit biografischen, literarischen oder theoretischen Texten aufzufüllen, ist ein Versuch, eine "einmalige Realität" auf der Bühne herzustellen, bei der die Schauspieler ihr physisches und psychisches Dasein mit einbringen.

"Theater ist für mich natürlich auch Abbildung von Wirklichem, also auch etwas wirklich künstlich, also etwas Nachgemachtes. Auf der anderen Seite aber sind die Menschen, die dort in diesem Augenblick agieren, physische Körper. Und in sofern hat das auch immer einen psychotherapeutischen oder Selbsterfahrungspunkt. Der ist mir wichtig, dass Schauspieler in diesem Augenblick der Produktion einfach zufrieden und glücklich sind."

Es gibt Aufführungen, deren Bilder und Töne für immer haften bleiben. Wie die von Castorfs "Othello", 1982 in Anklam, in dem junge Leutnants am heißen Strand von Zypern ankommen wie Urlauber, sich mit Bier aus dem Kühlschrank bedienen und später mit einer alten Frau, der Platzanweiserin, "Leutnant war ich einst bei den Husaren" singen. Oder, als Castorf die Maurerbrigade aus Müllers "Der Bau" 1986 in Chemnitz , als es noch Karl-Marx-Stadt hieß, mit der roten Fahne und dem Lied "Es gibt kein Bier auf Hawai" lange unter und auf der rotierenden Drehbühne nach den Möglichkeiten einer neuen Gesellschaft suchen ließ.

Castorf geht es nicht um das Zertrümmern von Stücken, sondern um das Einbringen von ästhetischen und gesellschaftlichen Erfahrungen seiner Generation. Sein Feind ist das sogenannte Als-ob-Theater, und seine Schauspieler sollen auch sie selber sein und ihre, unsere Realität auf der Bühne herstellen. Da konnte ein "Clavigo" 1986 in Gera schon mal von einem Rolling-Stones-Zitat bestimmt sein. Doch dann kamen die Wende und 1992 die Intendanz der Ostberliner Volksbühne. Jetzt ging es um viel mehr. Die Volksbühne besetzte ein Vakuum, sie wurde unter der Leitung von Castorf, dem Dramaturgen Matthias Lilienthal und dem Bühnenbildner Bernd Neumann zu einem Integrationsort für Ost-West-Jugendliche und -Künstler. Castorf 1992:

"Die Politik, die ich meine, ist ja immer gebrochen durch Artifizielles. Ich habe natürlich auch immer versucht, eher traurige Märchen über die Existenz des Menschen zu erzählen, und da sicherlich die Existenzphilosophie oder Beckett oder Ionesco immer viel mehr oder Freud, und darüber mich eigentlich der Tagespolitik zu nähern. Und da sind die politischen Einschnitte, sagen wir mal der Maueröffnung, der tatsächlichen, auch sehr gravierenden politischen Veränderung, für mich nicht so von sensationeller Überraschung."

Was an der Volksbühne entstand, war ein oft grandioses politisches Theater aus Trash und Theorie, mit Kartoffelsalat-Slapstick und Boa-Schlange. Und mit Schillers Räubern, die wie Kadett-Fahrer-Spießer dachten, mit den Webern und den Nibelungen als Prolls und einem König Lear als brabbelndem Rentner.

Castorf und seine Volksbühne arbeiteten sich an allerlei, auch totalitären, Utopiemodellen ab. Mit sich verausgabenden, sehr eigenen und eigenwilligen Schauspielern, wie man sie so auf der Bühne noch nicht gesehen hatte, im darstellerischen gruppendynamischem Prozess. Diese große postdramatische Zeit, mit Castorf, Schlingensief, Marthaler, Gotscheff und Kresnik. Sie gehört zur Theatergeschichte. Dann, als die Zuschauer gewonnen waren, aber vor allem konsumieren wollten, kamen die Videokameras auf Castorfs Bühne:

"Es ist sehr voyeuristisch, dass man versucht, mit diesem Medium, was ja mal dafür geeignet war, dass die Nachrichten, die ich in der Tagesschau gesehen habe, auch einen gewissen Grad nicht nur an Information, sondern auch an Wahrheit hatten. Wir haben überall Kameras, wir trauen den Bildern nicht mehr. Es ist eigentlich immer etwas, wo man selbst nicht mehr spielen will, wo man selbst nicht mehr die Meinung sagen will, wo man selbst nicht mehr aktiv ist, sondern wo man es nur noch konsumiert. Deshalb brauchen wir diese Spieler, diesen Voyeurismus, wo man sich eigentlich mit dem befriedigt, was andere tun."

Und die Roman-Adaptionen begannen, vor allem von Dostojewskis Werken. Warum aber immer mehr wichtige Schauspieler das Haus verließen, warum nach Lilienthals Weggang immer neue Dramaturgen mit ihren Konzepten scheiterten, während Castorf in Routine erstarrte, das liegt nicht nur daran, dass Castorf das Haus nun schon fast 20 Jahre leitet.

Sondern auch daran, dass es ihm sein Publikum zu leicht macht. Weil man nicht mehr kritischer Konsument, sondern Mitglied eines Fanclubs ist, der sich im Trend sicher fühlt. Die Volksbühne wurde Kult und kam in die Krise. Mit einem Regisseur Castorf, der keine Ökonomie der Mittel, keine Genauigkeit mehr zeigt. Der sich mittlerweile seiner selbst zu sicher fühlt und alles, was auf der Probe gefunden wird, in überlange Inszenierungen stopft. Die sich mit ihrem konzeptionell unterfütterten, aber ästhetisch und theatralisch enervierendem Toben und Kreischen alle ähneln.

Dennoch: Frank Castorfs Beitrag zur Entwicklung des modernen Theaters ist enorm. Und als Geburtstagsgruß bleibt die Hoffnung zu senden, Frank Castorf möge aus seiner künstlerischen Krise heraus finden.
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