Geburtsstunde des deutschen Kinos

30.05.2013
Der Berliner Regisseur Gerhard Lamprecht ist für seine Kästner-Verfilmung "Emil und die Detektive" bekannt - von der Wissenschaft wird er aber als zu betulich verschmäht. Dennoch bietet die dreibändige Edition über ihn einen lebendigen Blick auf die Anfänge des deutschen Kinos.
Wozu denn über Gerhard Lamprecht eine Edition, könnte man sich fragen und würde doch nur Unverständnis ernten. Gerhard wer? "Neben Ernst Lubitsch ist Gerhard Lamprecht einer der wichtigsten Berliner Filmschaffenden dieser Generation von internationaler Bedeutung", schreibt Wolfgang Jacobsen im zweiten Band dieser Edition, der dem Regisseur Lamprecht gilt. Um im nächsten Satz etwas zerknirscht zurückzurudern: "Kaum ein Filmhistoriker oder Filmwissenschaftler von heute würde eine solche Aussage unterstützen. De facto gelten die Filme Lamprechts nichts."

Das merkt man schon daran, dass man kaum welche kennt, obwohl der 1897 geborene Lamprecht zwischen 1918 und 1958 kontinuierlich gearbeitet hat. Am geläufigsten sind die Kästner-Verfilmung "Emil und die Detektive" von 1931 nach dem Drehbuch von Billy Wilder, und der Trümmerfilm "Irgendwo in Berlin" von 1946, den Lamprecht im Auftrag der Defa realisierte.

Als Filmemacher ist Lamprecht leicht zu übersehen, weil er seine Geschichten "behutsam" entwickelt, "negativ formuliert: betulich", wie Jacobsen sofort einzugestehen bereit ist. Die Langsamkeit von Lamprecht bringt der Autor in Verbindung mit dem "gedehnten Blick" des Schriftstellers Wilhelm Genazino, was eine interessante Beobachtung ist. Sie führt zu dem Paradox, das die Bedeutung Lamprechts ausmacht: Seine Filme mögen nicht so aufregend sein, weil sie immer auch versucht haben, Zeit aufzubewahren in einem fast kulturwissenschaftlichen Sinne. Lamprecht musste ein durchschnittlicher Filmemacher bleiben, damit aus ihm eine Kinemathek werden konnte.

Lamprechts Filmsammlung begründete die Deutsche Kinemathek
Denn der Grund für die Edition, verantwortet von Jacobsen und Rolf Aurich von der Deutschen Kinemathek in Berlin, ist der 50. Geburtstag der Institution. Lamprecht war ihr erster Direktor, vor allem aber bildete seine private Filmsammlung das Fundament der Einrichtung. Aus der dreibändigen "Edition Gerhard Lamprecht", zu der Aurich das Porträt des Filmsammlers Lamprecht beisteuert und Eva Orbanz die Gespräche, die er mit Zeitgenossen geführt hat, ist nun weder eine eitle Festschrift auf die eigene Größe geworden noch ein insideristisches Wissensgehuber.

Vielmehr bieten die drei Bände dem interessierten Leser, der nicht zurückschreckt beim ersten ihm unbekannten Namen, einen unverstellten, lebendigen Blick auf die Anfänge des deutschen Kinos und einem Nachdenken darüber. Lamprecht ist, gerade in den Darlegungen Aurichs, nur der Anlass für mediengeschichtliche Detailansichten, Skizzen der untergegangenen Berliner Kinolandschaft oder Beschreibungen der merkwürdigen Umstände, unter denen kulturpolitisch erfolgreich gehandelt werden kann.

Eine Sozialgeschichte der Industrialisierung
In dem Gesprächsband scheint, etwa im Interview mit der Filmkleberin Julie Steinbacher, eine Sozialgeschichte der Industrialisierung auf, wenn sich die Tochter einer bayerischen Magd zur Filmvorführerin in München emanzipiert. Vor allem aber wird Lamprechts Schaffen getragen von einer unbedingten Liebe zum Film als Material, was die drei Bücher so aktuell macht für eine Gegenwart, in der sich das Kinobild in Pixel auflöst.

Lamprechts Sinn für das Haptische der künstlerischen Beschäftigung spiegelt nicht zuletzt die Aufmachung der Edition wider: Man nimmt die vom Büro Otto Sauhaus gestalteten Bände gern in die Hand, die trotz der scheinbar einfachen Pappdeckel etwas Kostbares verströmen durch ihren eleganten Satz. Und die dem langweiligen Lamprecht mit silberglänzenden Titeln sogar ein wenig Glamour verleihen.

Besprochen von Matthias Dell

Rolf Aurich, Wolfgang Jacobsen, Eva Orbanz: Edition Gerhard Lamprecht
edition text und kritik, München 2013
3 Bände: 212 Seiten, 152 Seiten und 208 Seiten, zusammen 67 Euro
Mehr zum Thema