Gebt mir Macht, ich sorg für Harmonie
Die Ausstellung war mit dem im Mai dieses Jahres verstorbenen Maler Jörg Immendorff noch zu seinen Lebzeiten verabredet worden. Sie erlaubt einen Gang durch vier Jahrzehnte seiner Bilderwelten. Die letzten Arbeiten konnte er nur noch mit Hilfe des Computers und anhand von Schablonen durch Assistenten realisieren lassen.
Der Adler schüttet Menschenmaterial aus einer Schubkarre. Ein blauer Affe zeichnet zusammen mit dem weiblichen Marmor-Akt die Umrisse einer Palästinakarte. Joseph Beuys gibt mit blauem Frack und gelber Weste den Zirkusmagier, Max Ernst malt mitten in der überfüllten Manege einem Künstlerkollegen geheimnisvolle Zeichen ins Gesicht. So sehen sie aus, die Schlüsselbilder, mit denen der jüngst verstorbene Jörg Immendorff seine verschiedenen Entwicklungsphasen markierte. Begonnen hatte der spätere Akademieprofessor kämpferisch, mit dem Plakat "Heran an die Ausstellung": ein Malocher im Blaumann, Studenten mit Vietnam-Sticker "Alles für den Sieg" und der Intellektuelle im schwarzen Hemd folgen dem Fingerzeig des schnauzbärtigen, mit Ledermütze ausstaffierten Vorzeigeproleten.
Jörg Immendorff: " Das ist dann manchmal zu einem ideologischen Design geworden, das heißt zu einer klaren Agitprop-Kunst. Man kann aber merken, dass in mir immer eine unorthodoxe Flamme glühte, die sich immer auch gegen diesen dogmatischen Mantel gewehrt hat. "
So schaute Immendorff selbst auf sein Werk zurück. Und auch Walter Smerling, Direktor im Museum für Moderne Kunst in Duisburg, lüftet ein wenig den Mantel, sorgt für Ent- und Aufdeckungen, was die Revoluzzer-Fama vom "Pflaster unter dem Strand" oder von der "Phantasie an die Macht" betrifft.
Walter Smerling: " Immendorff war derjenige, der immer den Kontakt zur Macht suchte, weil er ja selber mächtig sein wollte. Und Sie können ja nicht mächtig sein, wenn Sie sich nur mit sich alleine beschäftigen oder mit den Ohnmächtigen, den Unmächtigen. Aber hier kommt natürlich hinzu, dass Gerhard Schröder jemand ist, der immer die Phantasie der Künstler suchte."
Zu welchem Zweck, das bleibt unklar: Der Bundeskanzler a. D., ursprünglich als Eröffnungsredner vorgesehen, musste aus gesundheitlichen Gründen absagen. Aber anhand der großformatigen Gemälde lässt sich zumindest ablesen, wie Immendorff als treuer Weggefährte Auslandsreisen und Weltsicht "seines" Kanzlers zu begleiten verstand.
Walter Smerling: " Tatsache ist, dass Immendorff seine Geschichten in Petersburg und Peking und Shanghai präsentieren konnte und dort wurden seine Geschichten offensichtlich verstanden. Er ist ein Erzähler, Immendorff ist ein Geschichtenerzähler. Und man hat den Eindruck, dass er Geschichten erzählt, die die Bilderrahmen sprengen. In der Arbeit "Adlerpartitur" oder in der Arbeit "Painter as canvas" oder ich könnte weitere 110 aufzählen, die hier in der Ausstellung präsent sind."
Die immer wieder betonte Präsenz – man hört es am Tonfall – bedeutet letztlich Fülle, Überfülle. Freunde der Abstraktion, Sammler essentieller Eindrücke kommen hier kaum auf ihre Kosten. Aber auch beim ganz gewöhnlichen Betrachter stellt sich bald der Wunsch ein, dass sie doch endlich einmal über den Rahmen hinausmarschierten könnten, all die im Bild gefangenen Figuren. Denn viel Raum bleibt ihnen nicht auf diesen Wimmelbildern. Statt auf weiter Fläche jede für sich überraschende Wirkung zu entfalten, dienen die reichlich versammelten Embleme, Symbole und historischen Figuren letztlich nur als Knochen für Beiß-, pardon: für Interpretationsreflexe. Und immer häufiger schnappt man daneben, weil die Zeit längst über all die Anspielungen hinweggegangen ist. Die drallen Kindsköpfe zum Beispiel, die feisten Babygesichter von 1967 rufen die Erinnerung an eine Zwiebackmarke wach. Tatsächlich aber geht’s um etwas Dada und viel Politik.
Walter Smerling: " Die Art und Weise, wie sich Immendorff mit Vietnam auseinandersetzt und dafür Embleme gefunden hat: Das sind schon Objekte, die heute nicht nur große Werthaltigkeit haben, sondern fast eine Immendorff-Marke geworden sind. Zum Beispiel die Baby-Bilder, diese "Hapmi lieb"-Bilder machen deutlich, dass die Vorgehensweise Immendorffs immer sehr mutig war."
Deshalb also war Immendorff nicht bang, sich mit einer wahren Menagerie zu umgeben, einen ganzen Kosmos von Geistesverwandten und Hassgestalten zu kreieren. Direktor Smerling tritt nun an, Ordnung in dieses Künstlerchaos zu bringen, Immendorffs Oeuvre in den Zusammenhang von mehr als 1200 Werken zeitgenössischer Kunst zu bringen, die in der Duisburger Küppersmühle zur Verfügung stehen.
Walter Smerling: " Ja, Immendorff ist ein wesentlicher Künstler der Sammlung Ströher. Und die Sammlung Ströher ist in diesem Museum beheimatet. Wir fangen an mit den 60er Jahren, zeigen die 70er, die 80er, die 90er – und die letzten Bilder, die nirgendwo bisher ausgestellt wurden. Die Arbeiten, die sich zum Beispiel mit Joseph Beuys und der Fluxus-Bewegung beschäftigen sind aus dem Jahr 2007, also: Diese Ausstellung ist historisch und aktuell gleichermaßen."
Seine letzten Bilder konnte Immendorff, durch die Krankheit bewegungsunfähig, nur noch mit Hilfe des Computers und anhand von Schablonen durch Assistenten realisieren lassen. Diese Distanz wirkt Wunder, schafft einen ganz ungewohnten Überblick: Helle Figuren treten aus dunklem Fond hervor, ähnlich den Collagen von Max Ernst, aber in gewaltig vergrößertem Maßstab. Da ist kaum mehr der Wille zur Macht sichtbar. Spürbar wird dagegen der unbändige Wunsch nach Präsenz, nach einem Überdauern. Und für den Kenner Walter Smerling tritt am Ende seiner Retrospektive hervor, was all die unterschiedlichen Werkphasen Immendorffs eint:
" Vor allen Dingen machen sie deutlich, dass der Immendorff eigentlich jemand ist, der nach Harmonie strebte. Wenngleich er nicht so auftrat, wenngleich es da ziemlich nach Randale aussah. Aber er war jemand, der mit der Lidl-Akademie ein besseres Akademie-Wesen, eine bessere Gesellschaft wollte. Der die Funktion des Staates sozialer sehen wollte. Also alles Themen, die zum Beispiel einem Gerhard Schröder sehr gefallen haben."
Wohlgemerkt: haben. So schnell vergeht die Zeit. Aber im Museum ist sie ja bestens, großformatig – und im doppelten Wortsinne: aufgehoben.
Service:
Die Ausstellung findet im Rahmen der Projektreihe "AKADEMOS" vom 4. Dezember 2007 bis 2. März 2008, Museum für Moderne Kunst Küppersmühlein Duisburg statt.
Jörg Immendorff: " Das ist dann manchmal zu einem ideologischen Design geworden, das heißt zu einer klaren Agitprop-Kunst. Man kann aber merken, dass in mir immer eine unorthodoxe Flamme glühte, die sich immer auch gegen diesen dogmatischen Mantel gewehrt hat. "
So schaute Immendorff selbst auf sein Werk zurück. Und auch Walter Smerling, Direktor im Museum für Moderne Kunst in Duisburg, lüftet ein wenig den Mantel, sorgt für Ent- und Aufdeckungen, was die Revoluzzer-Fama vom "Pflaster unter dem Strand" oder von der "Phantasie an die Macht" betrifft.
Walter Smerling: " Immendorff war derjenige, der immer den Kontakt zur Macht suchte, weil er ja selber mächtig sein wollte. Und Sie können ja nicht mächtig sein, wenn Sie sich nur mit sich alleine beschäftigen oder mit den Ohnmächtigen, den Unmächtigen. Aber hier kommt natürlich hinzu, dass Gerhard Schröder jemand ist, der immer die Phantasie der Künstler suchte."
Zu welchem Zweck, das bleibt unklar: Der Bundeskanzler a. D., ursprünglich als Eröffnungsredner vorgesehen, musste aus gesundheitlichen Gründen absagen. Aber anhand der großformatigen Gemälde lässt sich zumindest ablesen, wie Immendorff als treuer Weggefährte Auslandsreisen und Weltsicht "seines" Kanzlers zu begleiten verstand.
Walter Smerling: " Tatsache ist, dass Immendorff seine Geschichten in Petersburg und Peking und Shanghai präsentieren konnte und dort wurden seine Geschichten offensichtlich verstanden. Er ist ein Erzähler, Immendorff ist ein Geschichtenerzähler. Und man hat den Eindruck, dass er Geschichten erzählt, die die Bilderrahmen sprengen. In der Arbeit "Adlerpartitur" oder in der Arbeit "Painter as canvas" oder ich könnte weitere 110 aufzählen, die hier in der Ausstellung präsent sind."
Die immer wieder betonte Präsenz – man hört es am Tonfall – bedeutet letztlich Fülle, Überfülle. Freunde der Abstraktion, Sammler essentieller Eindrücke kommen hier kaum auf ihre Kosten. Aber auch beim ganz gewöhnlichen Betrachter stellt sich bald der Wunsch ein, dass sie doch endlich einmal über den Rahmen hinausmarschierten könnten, all die im Bild gefangenen Figuren. Denn viel Raum bleibt ihnen nicht auf diesen Wimmelbildern. Statt auf weiter Fläche jede für sich überraschende Wirkung zu entfalten, dienen die reichlich versammelten Embleme, Symbole und historischen Figuren letztlich nur als Knochen für Beiß-, pardon: für Interpretationsreflexe. Und immer häufiger schnappt man daneben, weil die Zeit längst über all die Anspielungen hinweggegangen ist. Die drallen Kindsköpfe zum Beispiel, die feisten Babygesichter von 1967 rufen die Erinnerung an eine Zwiebackmarke wach. Tatsächlich aber geht’s um etwas Dada und viel Politik.
Walter Smerling: " Die Art und Weise, wie sich Immendorff mit Vietnam auseinandersetzt und dafür Embleme gefunden hat: Das sind schon Objekte, die heute nicht nur große Werthaltigkeit haben, sondern fast eine Immendorff-Marke geworden sind. Zum Beispiel die Baby-Bilder, diese "Hapmi lieb"-Bilder machen deutlich, dass die Vorgehensweise Immendorffs immer sehr mutig war."
Deshalb also war Immendorff nicht bang, sich mit einer wahren Menagerie zu umgeben, einen ganzen Kosmos von Geistesverwandten und Hassgestalten zu kreieren. Direktor Smerling tritt nun an, Ordnung in dieses Künstlerchaos zu bringen, Immendorffs Oeuvre in den Zusammenhang von mehr als 1200 Werken zeitgenössischer Kunst zu bringen, die in der Duisburger Küppersmühle zur Verfügung stehen.
Walter Smerling: " Ja, Immendorff ist ein wesentlicher Künstler der Sammlung Ströher. Und die Sammlung Ströher ist in diesem Museum beheimatet. Wir fangen an mit den 60er Jahren, zeigen die 70er, die 80er, die 90er – und die letzten Bilder, die nirgendwo bisher ausgestellt wurden. Die Arbeiten, die sich zum Beispiel mit Joseph Beuys und der Fluxus-Bewegung beschäftigen sind aus dem Jahr 2007, also: Diese Ausstellung ist historisch und aktuell gleichermaßen."
Seine letzten Bilder konnte Immendorff, durch die Krankheit bewegungsunfähig, nur noch mit Hilfe des Computers und anhand von Schablonen durch Assistenten realisieren lassen. Diese Distanz wirkt Wunder, schafft einen ganz ungewohnten Überblick: Helle Figuren treten aus dunklem Fond hervor, ähnlich den Collagen von Max Ernst, aber in gewaltig vergrößertem Maßstab. Da ist kaum mehr der Wille zur Macht sichtbar. Spürbar wird dagegen der unbändige Wunsch nach Präsenz, nach einem Überdauern. Und für den Kenner Walter Smerling tritt am Ende seiner Retrospektive hervor, was all die unterschiedlichen Werkphasen Immendorffs eint:
" Vor allen Dingen machen sie deutlich, dass der Immendorff eigentlich jemand ist, der nach Harmonie strebte. Wenngleich er nicht so auftrat, wenngleich es da ziemlich nach Randale aussah. Aber er war jemand, der mit der Lidl-Akademie ein besseres Akademie-Wesen, eine bessere Gesellschaft wollte. Der die Funktion des Staates sozialer sehen wollte. Also alles Themen, die zum Beispiel einem Gerhard Schröder sehr gefallen haben."
Wohlgemerkt: haben. So schnell vergeht die Zeit. Aber im Museum ist sie ja bestens, großformatig – und im doppelten Wortsinne: aufgehoben.
Service:
Die Ausstellung findet im Rahmen der Projektreihe "AKADEMOS" vom 4. Dezember 2007 bis 2. März 2008, Museum für Moderne Kunst Küppersmühlein Duisburg statt.