Musik

Die Anziehungskraft "gebrochener" Popstars

Brustbild einer hageren geschminkten und tätowierten jüngeren Frau, die in ein Mikrofon singt. Auffällig ist der dick aufgetragene schwarze Eyliner. Die langen schwarzen Haare sind auf dem Hinterkopf zu einem gewaltigen Dutt aufgetürmt und mit einem Tuch und bunten Haarklemmen dekoriert.
Andauernde Strahlkraft: die Sängerin Amy Winehouse © PA Wire
13.04.2024
Aktuell läuft das Amy Winehouse-Biopic „Back to Black“ in den deutschen Kinos. Die vermeintlich tragische Biografie der Sängerin fasziniert bis heute – nicht nur ihre Fans. Warum haben Musikerinnen und Musiker wie sie eine so magnetische Wirkung?
Die britische Soulsängerin Amy Winehouse, die 2011 an einer Alkoholvergiftung starb, wurde schon mehrfach filmisch porträtiert, unter anderem 2015 in dem Oscar-prämierten Kino-Dokumentarfilm "Amy" von Asif Kapadia. Gerade erscheint ihre Lebensgeschichte erneut auf der Leinwand, diesmal in Form des Spielfilms "Back to Black", benannt nach einem ihrer bekanntesten Songs. Das große Interesse und die leidenschaftliche Kritik an "Back to Black" beweisen: Die Faszination an der Persönlichkeit hinter dem Popstar Amy Winehouse ist 13 Jahre nach ihrem Tod ungebrochen.
Ähnlich verhält es sich mit anderen zu früh verstorbenen Musikerinnen und Musikern, darunter Kurt Cobain, dessen Todestag sich am 5. April 2024 zum 30. Mal gejährt hat. Winehouse und Cobain gehören neben Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison und Brian Jones zum sogenannten Club 27, einer immer wieder erweiterten fiktiven Gemeinschaft jener Rockstars, die mit 27 Jahren verstorben sind.
In der Filmbiographie „Back to Black“ spielt Marisa Abela die legendäre Sängerin Amy Winehouse.
In der Filmbiographie „Back to Black“ spielt Marisa Abela Amy Winehouse. Die Schauspielerin singt alle Winehouse-Lieder selbst.© picture alliance / ZUMAPRESS.com / Focus Features

Starkult und Voyeurismus

Harald Lange, Direktor des Instituts für Fankultur an der Uni Würzburg, sieht Tragik durchaus als einen Aspekt der Anziehung: "Popstars leben am Limit. Sie geben sich ihrer Genialität hin und verlieren sich zuweilen auch im wirklichen Leben, weil sie sich vollends auf ihre Kunst konzentrieren." Da komme es immer wieder zu tragischen Geschichten.
Sowohl Amy Winehouse als auch Kurt Cobain hatten jahrelang Suchtprobleme und gingen damit offensiv um. Besonders bei Amy Winehouse habe die starke Verschränkung von Suchtthematik und ihrer Pop-Persönlichkeit dazu beigetragen, dass ihr Leben medial so eng begleitet wurde. "Nüchtern betrachtet muss man feststellen, dass Skandale, oder auch die Zurschaustellung von Leid, immer schon zum Star-System dazugehört haben, denn sie schaffen Aufmerksamkeit, und sie prägen auch das Image", sagt die Autorin Stefanie Roenneke.
Auch der Regisseur von „Amy“, Asif Kapadian, spricht sich nicht von einem gewissen Voyeurismus frei: „Wir sind ja Teil davon, wir sind alle Voyeure gewesen, wir waren ja auch Käufer und Leser, und das ist eben das, was ich auch sagen will, dass wir alle unseren Teil der Verantwortlichkeit tragen und auch tragen müssen.“

Authentizität und Nahbarkeit

Voyeurismus ist jedoch nicht der Hauptgrund für die starke und langlebige Anziehungskraft bestimmter Künstlerpersönlichkeiten. Diese ist vielmehr ihrer Kunst selbst begründet.
Jimi Hendrix starb 1970 nach jahrelanger Drogen- und Alkoholsucht. Heute ist er vor allem als Gitarrengott bekannt. Doch neben seiner Virtuosität war es auch seine ihm ganz eigene Art zu spielen und nicht zuletzt seine Texte, die ihn ausmachten. In Songs wie „Manic Depression“ singt Hendrix von persönlichen Erfahrungen und seiner Beziehung zur Musik.
Well I think I'll go turn myself off and go down
All the way down
Really ain't no use in me hanging around
In your kinda scene
Music sweet music, I wish I could caress and kiss, kiss
Manic depression is a frustrating mess
Dabei sprengt er aber auch den Rahmen des Realismus und macht den Songtext fühlbar und universell, weitet ihn "ins Kosmische", wie Kritiker Tobi Müller feststellt. In „Castles Made of Sand“ verarbeitet Hendrix die Gewalt und den Alkoholismus seiner Eltern. Seine Mutter hatte die Familie früh verlassen, und Jimi und sein Bruder wuchsen beim alleinerziehenden Vater auf, einem cholerischen Trinker.
Auch Nirvana-Sänger Kurt Cobain hatte mit zahlreichen Dämonen aus seiner Jugend zu kämpfen. Er flüchtete sich nicht nur in die Musik, sondern auch in harte Drogen. Dazu litt der Nirvana-Sänger jahrelang unter starken Bauchschmerzen aufgrund eines Reizdarmsyndroms. 1994 erschoss er sich mit einer Schrotftlinte auf dem Höhepunkt seines Erfolgs.
Schwarzweißfoto von Kurt Cobain, der mit seiner Gitarre auf der Bühne steht und in ein Mikrofon singt.
Zeigte seine Verletzlichkeit auch auf der Bühne: Kurt Cobain.© imago / Avalon.red / Photoshot

Hinweis der Redaktion: Sollten Sie Hilfe in einer schwierigen Situation benötigen, können Sie sich jederzeit an die kostenlose Hotline der Telefonseelsorge wenden: 0800/1110111. Spezielle Hilfsangebote zum Thema Suizid finden Sie bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention unter https://www.suizidprophylaxe.de.

Verletzlichkeit als Stärke

In seinen Songs behandelte Cobain Themen wie Missbrauch, Suizidgedanken und Depressionen mit entwaffnender Ehrlichkeit. Sie gelten als musikalische Meilensteine, auch wegen ihrer verzweifelten Texte. Ehrliche Texte machen Songs erst authentisch und lebensnah, „sie sind dann echt“, wie Fanforscher Harald Lange betont.
Musik mit desillusionierten Texten macht nicht per se traurig. Man fühlt vielmehr Selbstermächtigung und ist nicht allein mit seinem traurigen Gefühl, so sieht es der Musikjournalist Martin Böttcher. Verletzlichkeit und der öffentliche Umgang damit vermitteln Tiefe.
Die Texte von Künstlern wie Cobain, Hendrix und Winehouse sprechen vom echten Leben, nicht von falschem Glamour. Deshalb spielen auch in „Back to Black“ Amy Winehouses Songtexte eine zentrale Rolle. Es gehe um „ihre Authentizität, nicht unsere“, sagt Regisseurin Sam Taylor-Johnson.

Keine Opfer, sondern Handelnde

Denn Stars und Idole werden oft romantisch verklärt – als Genies, denen das Leben übel mitspielte. Damit werden sie zu Opfern stilisiert. Doch weder Amy Winehouse, noch Kurt Cobain oder Jimi Hendrix waren ihrem Schicksal willenlos ausgeliefert. Sie waren Künstler, die für ihre Songs kompromisslos aus ihren eigenen Lebenserfahrungen schöpften. Ihr oberstes Ziel war nicht der Ruhm, sondern Wahrhaftigkeit und Selbstbestimmung.
„Ich schreibe keine Songs um berühmt zu sein. Ich schreibe Songs, weil ich etwas Schlechtes in was Gutes verwandeln muss“, sagte Amy Winehouse einmal in einem TV-Interview. Und an anderer Stelle: „Es hat keinen Sinn, etwas anderes als die Wahrheit zu sagen, denn am Ende des Tages musst du niemandem Rechenschaft ablegen außer dir selbst.“

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In ihren Texten hat Amy Winehouse nie einen Hehl aus ihrer Sucht gemacht, ganz im Gegenteil: In „Rehab“ macht sie sich mit bitterer Selbstironie und Trotz über vergebliche Versuche der Entgiftung lustig, in „Back to Black“ taucht sie ganz tief ein in die Verzweiflung nach einer Trennung.

Kurt Cobain: seiner Zeit voraus

Kurt Cobain stellte sich mit Nirvana klar gegen Homophobie und Rassismus auf, brach mit Macho- und Muckertum und ließ sleazy Hard Rock alt aussehen. Die musikalische Revolution, die Grunge in den neunziger Jahren auslöste, ist vergleichbar mit jener des Punkrock in den 1970ern. Es war „Befreiungsmusik“, wie der Journalist Martin Böttcher feststellt.
Cobain spiegelte in seinen Songs all das, was er an der Welt und der Konsumgesellschaft als kaputt empfand. Er wollte als politischer Mensch wahrgenommen werden, und für ihn gab es kein richtiges Leben im Falschen.
Auch Jimi Hendrix nutzte seine Gitarre und seine Stimme als Waffe gegen Bigotterie und Heuchelei. Sei es in Form seiner berühmten Woodstock-Interpretation der amerikanischen Nationalhymne, in der er Maschinengewehrfeuer und Bomben nachahmt, oder in Texten wie „If Six Was Nine“:
White-collared conservatives flashing down the street
Pointing their plastic finger at me
They′re hoping soon my kind will drop and die
But I'm gonna wave my freak flag high, high
Wave on, wave on
Jimi Hendrix steht mit seiner E-Gitarre auf einer Bühne
Jimi Hendrix überzeugte nicht nur mit Virtuosität, sondern auch mit authentischen Texten.© imago images / ZUMA Wire

Das Erbe der Unangepassten

Viele Themen, die Kurt Cobain in den Neunzigern adressiert hat, seine Aussagen zu Feminismus oder zu mentaler Gesundheit, sind erst heute auf der Höhe des Diskurses. Auch wenn Musik heute vielleicht nicht mehr so eine identitätsstiftende Funktion habe wie früher: Der Geist von Kurt Cobain wehe auch heute noch durch die Musikszene, wie die Künstlerin Simone Dede Ayivi und Musikjournalist Joachim Hentschel betonen. Das bezeugten nicht nur die vielen Nirvana-T-Shirts, getragen von Vertreterinnen und Vertretern der Gen-Z.
Hilferufe wie der von dem Songwriter Ryley Walker, der schwer depressiv und drogensüchtig war, werden heute nicht ignoriert, sondern oft gehört. Das Bewusstsein für mentale Probleme und Sucht in der Popszene ist heute deutlich größer, zum Beispiel in Form des Verbands Mental Health in Music Business.
Neben den tiefen musikalischen Spuren, die unangepasste Stars wie Winehouse, Cobain und Hendrix Musik hinterlassen haben, sind es vor allem ihre rebellische Haltung und ihr Kampf um Selbstbestimmung, die heute fortleben.
Ein Mädchen jüdischer Abstammung aus der englischen Arbeiterklasse, ein Schulabbrecher aus dem US-Bundesstaat Washington mit chronischen Magenschmerzen und ein Afroamerikaner aus bettelarmen, zerrütteten Familienverhältnissen… sie haben mit ihren authentischen und lebensnahen Songs Popgeschichte geschrieben und ihre Anziehungskraft ist heute so groß wie zu ihren Lebzeiten.