Geben ist seliger…

Von Uwe Bork |
Es soll durchaus schlimmere Tage geben, wirklich. Am Abend eines der Exemplare, über die ich hier reden möchte, hat jedenfalls immer eine ganze Menge von Menschen eine ganze Menge Grund zur Freude. Sie sind einige Stunden lang mehr als freundlich bewirtet worden, sie haben mehr als reichlich gegessen und getrunken und sie sind beschenkt worden, ebenfalls mehr als reichlich. Die Gegenleistung? Nicht viel, eigentlich nur die Anerkennung der Tatsache, dass der Schenkende ein besonders toller Typ ist. Jemand, der gewissermaßen nicht auf den Euro schauen muss, wenn es darum geht, seine Freunde zu beglücken.
So weit, so gut. Und bis hierher könnte die kurze Beschreibung der schrankenlosen Gabenverteilung ohne Abstriche als Darstellung deutscher Weihnachtsbräuche des ausgehenden zwanzigsten und des beginnenden einundzwanzigsten Jahrhunderts durchgehen. In unseren Breiten wird schließlich geschenkt, was Brieftasche oder Kreditkarte hergeben und die Gabentische tragen können. Und sollte die Steigerung des sozialen Renommees nicht Hauptzweck dieser Aktion sein, so wird sie zumindest billigend in Kauf genommen: Wenn Herr Müller seine Frau mit einer Reise in die Karibik beglückt, muss es für Herrn Meier samt Gattin und Kindern wenigstens ein Trip auf die Malediven sein!

Aber Vorsicht: Gerade eben ging es mitnichten um übertriebenen Trubel unterm Tannenbaum! Geschildert wurde vielmehr ein uralter Brauch in den indianischen Gesellschaften des amerikanischen Nordwestens, ein so genannter Potlatch. Gegen diese wahre Orgie organisierten Schenkens dürfte sich unser weihnachtlicher Kaufrausch ausmachen wie ein gesittetes Schubertlied gegen einen funky Soultitel einschließlich laszivem Stöhnen und fetzigen Bläsern. Übertreibung lag beim Potlatch gewissermaßen im System: Geschenkt wurde bei diesen unter anderem aus dem Ahnenkult motivierten Festen manchmal so viel, dass es die Schenkenden ruinierte und ganze Häuptlingsclans in die Pleite trieb.

Kritiker mögen nun einwenden, der Vergleich eines christlichen Hochfestes mit heidnischem Brauchtum sei zumindest polemisch, wenn nicht gleich komplett unstatthaft. Ihnen lässt sich jedoch entgegnen, dass irgendetwas mit unseren Weihnachtsbräuchen nicht ganz stimmen dürfte, wenn der doch wohl eigentliche Sinn des Christfestes soweit verschwunden ist, dass seine Feier auf Unbeteiligte mehr oder weniger so wirkt, als seien die Hirten an die Krippe gerufen worden, um dort die neueste Ausgabe des aktuellen Konsumklimaindexes verlesen zu bekommen.

Doch vielleicht ist Kritik daran ja nicht mehr als ein hoffnungsloser Rückfall in die falsche Romantik vorkapitalistischer Verhältnisse. Vielleicht ist der eigentliche Sinn des Weihnachtsfestes ja inzwischen ein ganz anderer als die Geburtstagsfeier für den Herrn der Christenheit. In einer Zeit, in der an einem ganz normalen Sonntag nur noch drei von hundert Protestanten den Weg in einen Gottesdienst finden - bei den Katholiken sieht es nicht ganz so schlimm aus – in solch einer Zeit relativer Kirchenferne also, ist eine derartige Vermutung vielleicht nicht ganz abwegig.
Aber was ist denn eigentlich so schlecht daran? Dass Geben seliger ist als Nehmen, das hat uns schließlich schon unser Religionsunterricht beigebracht. Schenken ist demnach doch wohl nichts grundlegend Schlechtes. Abgesehen davon, dass uneigennützige Freigiebigkeit den Menschen zuverlässig zum Gutmenschen stempelt, hält sie auch unsere Volkswirtschaft am Laufen. Sie sichert Arbeitsplätze und macht damit sogar diejenigen glücklich, die selbst gar kein Präsent abbekommen haben.

Nicht zuletzt aufgrund unserer Weihnachtseinkäufe wird der private Konsum in unserem Land in diesem Jahr voraussichtlich um ein Prozent steigen, das deutsche Bruttoinlandsprodukt könnte sogar um 2,5 Prozent wachsen: beides Werte, die noch bis vor kurzem so unwahrscheinlich waren wie die Vermutung, der Bundesregierung würde ein neuerlicher Weihnachtsstern zu ihrer Wegweisung aufgehen.

Und dennoch gibt es Grund zur Vorsicht. Als der potlatch seinen eigentlichen Sinn verlor und neureiche Emporkömmlinge ihn nur noch zur eigenen Selbstdarstellung nutzten, entwickelte er sich zur Bedrohung für die Gesellschaften, die er einst gestützt hatte. Vielleicht sollten wir doch nicht so ganz vergessen, warum wir eigentlich Weihnachten feiern.


Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Sozialwissenschaften. Nach dem Studium arbeitete Bork zunächst als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Seit 1998 leitet er die Fernsehredaktion 'Religion, Kirche und Gesellschaft' des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Bork ist Autor zahlreicher Glossen und mehrerer Bücher, in denen er sich humorvoll-ironisch mit zwischenmenschlichen Problemen auseinandersetzt.