Gebaute Erinnerung

Von Walter Kittel |
Geschichte und historische Zusammenhänge spielen ein zentrale Rolle in der Arbeit der Architekten Wandel, Hoefer, Lorch und Hirsch. Den Aufbau ihrer Werkschau in der Münchner Pinakothek der Moderne hat die Architektengemeinschaft selber entworfen.
In einem langgestreckten Raum liegen auf einem riesigen Tisch Modelle, Zeichnungen, Fotos und Baumaterialien von Wandel, Höfer, Lorch und Hirsch. Da die Architekten auch die Ausstellungsarchitektur entworfen haben, setzen sie sich also selbst in Szene. Wie an einer Bühne schreiten die Besucher an dem Tisch entlang, um insgesamt elf Projekte des Teams zu betrachten oder sich auch nur in einzelne Baumaterialien zu vertiefen.

Ja, sagt Architekt Wolfgang Lorch, auch den golden glitzernden Vorhang darf man ruhig anfassen. Dieses zarte Metallgewebe prägt den Innenraum der 2001 errichteten Dresdner Synagoge:

"Die innere Hülle, ein transluzentes, schimmerndes Gewebe, was man gerade bei einem Sakralbau als Transzendenz oder als Atmosphäre bezeichnen könnte. Das ergibt den Charakter dieses ganzen Raums."

Neben befühlbaren Materialien ermöglicht die gute Auswahl an Fotos, historischen Dokumenten und Modellen unterschiedlichste Einblicke in die Arbeitsweise der Architekten.

Wolfgang Lorch: "Also, Stein kann man anfassen, da passiert nichts. Die Arbeitsmodelle sind teilweise ja aus fragilen Materialien. Sie zeigen eigentlich eher aus dem Atelier, aus dem Studio Dinge, Arbeitsschritte. Bei Teilen geht es gar nicht um eine Ästhetik sondern einfach darum, zu zeigen, wie diese iterative Annäherung von einem Konzept, von einem Wettbewerbsentwurf, also von einer gedanklichen Ordnung in eine materielle Ordnung, wie die funktioniert."

Dabei spielen die Architekten Wandel, Hoefer, Lorch und Hirsch immer wieder auch auf die große Bedeutung von Geschichte und historischer Zusammenhänge für ihre Werke an. Sie zeigen Luftbilder vom kriegszerstörten Köln im Kontext zu ihrem Projekt "Archäologische Zone Köln", das sich noch im Bau befindet. Oder neben den Entwürfen zur Gedenkstätte Börneplatz in Frankfurt findet sich das Foto von einer Demonstration gegen die Ende der 80er-Jahre geplante Beseitigung von Getto-Fundamenten. Auch bei der Entwicklung des Mahnmals "Gleis 17" am Bahnhof Berlin Grunewald, wo im Oktober 1941 die systematische Deportation von mehr als 50.000 deutscher Juden aus Berlin begann, spielte in der Arbeit der Architekten die historische Dimension eine ganz entscheidende Rolle.

"Der Beginn dieser Arbeit war erstmal für Architekten möglicherweise ungewöhnlich: die Recherche im Zentralarchiv der Deutschen Bahn. Teil dieser Arbeit war ja auch, dass sich die Bahn zu dieser Verantwortung mit dieser Arbeit auch ein Stück weit bekannt hat. Oder durch dies Möglichmachen dieser Arbeit."

Auf zwei Bahnsteigen von je 132 Metern Länge wurden die Transportdaten, die Anzahl der Deportierten und ihr Bestimmungsort in gusseiserne Zahlen und Buchstaben gegossen. Auch in der Ausstellung liegt ein Stück des mittlerweile angerosteten Materials auf dem Tisch. Nicht weit davon befinden sich gerahmte Aufnahmen der Gleisanlagen: grob gepixelt und schemenhaft stilisiert.

In diesem wie in anderen Fällen ging es auch um die Überzeugung potenzieller Auftraggeber. Ein Prozess, der Inszenierungen erfordert, aus denen die Gestaltung von Architektur im historischen Kontext begreifbar und glaubhaft hervorgehen muss. Einzelne Materialstudien muten daneben ganz nüchtern naturwissenschaftlich an. Doch ohne die Arbeit mit dem Material, seiner Formung und Bearbeitung, könnten die Themen "Zeit" und "Geschichte" ebenfalls nicht in Architektur übersetzt werden. Ganz essentiell ist das also und wird auch entsprechend präsentiert.

"Was Sie vor sich haben, ist ein Stein-Glas-Komposit. Das heißt, wo sehr dünn geschnittener Stein transluzent wird. Durchscheinend wird mit natürlich einer ganz spezifischen Wirkung."

Durchscheinender Stein, durchscheinend goldenes Drahtgeflecht, Glas, Holz, Eisen, Rost – der Betrachter muss selbst Metaphern für Geschichte und Zeit daraus entwickeln. Das fällt zum Glück nicht allzu schwer in dieser vielseitigen und eindrucksvollen Ausstellung, die neben den neuen Synagogen von Dresden und München etwa auch die Entwürfe zu den Besucher- und Dokumentationszentren auf dem ehemaligen KZ-Gelände in Ravensbrück und Hinzert zeigt.

Service:
Die Ausstellung "MATERIAL ZEIT – MATERIAL TIME Wandel Hoefer Lorch & Hirsch" ist bis zum 6.3.2011 in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen.
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