Gebärdensprache in der Coronakrise

Informationen auf Höhe der Zeit?

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Vier Screenshots eines Facetime-Gesprächs zwischen Katja Fischer und Timo Grampes.
Vier Screenshots eines Facetime-Gesprächs zwischen Katja Fischer und Timo Grampes. © Screenshots / Timo Grampes
Timo Grampes im Gespräch mit Axel Rahmlow · 08.04.2020
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Wie umfassend ist das Informationsangebot für gehörlose und schwerhörige Menschen in Deutschland, besonders jetzt in der Coronakrise? Unser Kollege Timo Grampes hat es sich angeschaut – und sich mit Betroffenen unterhalten.
Axel Rahmlow: Rund 80.000 Menschen in Deutschland sollen gehörlos sein. Wenn es um die Schwerhörigen geht, gibt es Statistiken, die sagen, dass bis zu 16 Prozent der Menschen in Deutschland nur schwer hören können.
Mein Kollege Timo Grampes hat sich angeschaut, wie umfassend eigentlich das Angebot für diese Menschen jetzt in der Coronakrise ist. Sie haben sich dafür mit zwei Gebärdensprachdolmetschern unterhalten. Warum zwei?
Timo Grampes: Weil ich zwei Menschen interviewt habe, die sind beide taub und Muttersprachler in der Deutschen Gebärdensprache. Wir haben uns jeweils über Facetime gesehen und die beiden Dolmetscher, also hörende Gebärdensprachdolmetscher, die hatte ich am Telefon, die hören wir gleich. Und die waren dann wiederum mit Skype bildgebend mit meinen beiden Interviewpartnern verbunden, haben meine Lautsprache in Gebärden verfasst und die Gebärden meiner Interviewpartner in Lautsprache.
Interviewt habe ich Katja Fischer. Die ist international als Gebärdensprachdolmetscherin unterwegs. Und außerdem Helmut Vogel. Der ist Präsident des Deutschen Gehörlosen-Bunds. Und der Gehörlosen-Bund, der hat vor knapp einer Woche eine ganz interessante Grafik veröffentlicht zur Pandemie-Situation und aktuellen Infos in Gebärdensprache und Untertiteln, die deutet schon die Kernkritik an.

"Im Fernsehen, das reicht noch lange nicht"

Helmut Vogel: Im Fernsehen, das reicht noch lange nicht. Es ist immer nur dieser Ausschnitt der hörenden Regierungsvertretung - und die dolmetschende Person wird ins Internet verlagert, also die ist gar nicht live zu sehen zu der Zeit.
Grampes: Also es geht darum, dass ein Dolmetscher unmittelbar dabei sein soll, wenn ein Ereignis stattfindet. Beispiel: Die Kanzlerin spricht live - und dann ist live ein Dolmetscher daneben und auch im Bild zu sehen. Und nicht erst nach der Rede, in einem Video im Netz oder zeitversetzt im Spartenprogramm.
Rahmlow: Aber wenn wir jetzt mal sowas wie Phoenix oder Tagesschau 24 angucken, auch die Live-Pressekonferenzen - da gibt es ja Gebärdensprache und Untertitel. Also könnte man jetzt sagen: Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist doch die Grundversorgung da.
Grampes: Ja, das ist auch in der Grafik des Gehörlosen-Bunds dargestellt. "Ja, aber", wenn man etwas mehr differenziert. Zum "Ja" ist zu sagen: Ja, die Spartenkanäle sichern wichtige Informationen über Untertitel und in Gebärdensprache. Und nicht nur die. Im Netz passiert viel. Den Coronapodcast mit Christian Drosten vom NDR zum Beispiel, den gibt es auch mit Gebärdensprache. Dann gibt es die Option "Hbbtv". Also, dass über Fernbedienung mit entsprechendem Empfangsgerät Gebärdenübersetzung aufgerufen werden kann.
Die Öffentlich-Rechtlichen tun da viel, sie untertiteln auch viel, die ARD laut Auskunft vom Leiter der "AG Barrierefreiheit", Niels Rasmussen, 98 Prozent der Fernsehangebote. Er verweist auch, zum Beispiel, auf das ARD-Extra zur Coronalage in Gebärdensprache. Aber - das "Aber" möchte ich einleiten mit Gebärdensprachdolmetscherin Katja Fischer.

"Im weltweiten Vergleich ist die USA ganz weit vorne"

Katja Fischer: Wenn man andere Länder vergleicht, also im weltweiten Vergleich, zum Beispiel ist die USA ganz weit vorne. Die hat eigentlich in allen Situationen, speziell wenn es um Krisenthemen geht, Dolmetscher direkt vor Ort. Die von allen Fernsehprogrammen mit aufgenommen werden können.

"USA ganz weit vorne" - Das komplette Interview mit der tauben Gebärdensprachdolmetscherin Katja Fischer können Sie hier nachhören oder nachlesen – PDF zum Download. Audio Player

Grampes: Und das habe die ARD noch nie gemacht, sagt sie, was impliziert: Sie sieht da eine Verpflichtung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Verpflichtung, für nahtloses Dolmetschen sorgen zu können, wenn das der Veranstalter einer Pressekonferenz nicht tut. Sprich: Wenn Jens Spahn zum Beispiel eine Pressekonferenz gibt und es wird nicht live in der Situation in Gebärdensprache übersetzt - dann sollte da jemand bereitstehen vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der das übernimmt. Und das sieht Niels Rasmussen von der ARD ganz anders.
Niels Rasmussen: Wir sehen uns nicht in der Verantwortung, für alle Menschen, die Erklärungen bekannt geben, jeweils die Barrierefreiheit sicherzustellen. Das halte ich jetzt nicht für die Aufgabe der Medien, sicherzustellen, dass Bundespressekonferenzen, zum Beispiel, barrierefrei sind.
Rahmlow: Also, das sind zwei Standpunkte. Da kann man jetzt sagen: Muss man eigentlich eine Grundsatzdiskussion führen. Wenn wir jetzt nochmal zu Frau Fischer zurückkommen. Was sagt denn die, wie es am besten gewährleistet sein könnte, dass man die Übersetzung in Gebärdensprache auch in so einer Krisenzeit super haben kann?
Grampes: Sie sieht in Zusammenhang mit Medien, mit solchen Situationen wie jetzt, taube Dolmetscherinnen und Dolmetscher als sehr wichtig an, weil die, sagt sie, speziell für Mediensituationen mit ausgebildet werden. Das funktioniert dann so.

Warum taube Dolmetschende wichtig sind

Fischer: Wenn ein tauber Gebärdensprachdolmetscher da eingesetzt wird, steht der natürlich neben, zum Beispiel Jens Spahn, und ihm gegenüber sitzt ein hörender Dolmetscher. Und der "feedet" - so ist die Fachsprache - die Informationen des Sprechers zum tauben Gebärdensprachdolmetscher. Und der nimmt das Ganze ab.
Grampes: Ja und transformiert dann das, womit ihn der hörende Dolmetscher "gefeedet", also gefüttert hat, in eine muttersprachlichere Fassung der Gebärdensprache. Und das Ganze vor allem: Live, unmittelbar, nicht nachträglich - und mit dem Dolmetscher in voller Größe zu sehen neben dem, der spricht.
Rahmlow: Dann braucht es also schon zwei Menschen für die Übersetzung. - Wer ist denn da gerade vorbildlich?
Grampes: Das Robert Koch-Institut. Das ist auch in der schon angesprochenen Übersicht vom Deutschen Gehörlosenbund markiert: Pressekonferenzen live mit Dolmetscher, der danebensteht, im Bild zu sehen ist und live und direkt übersetzt. Es ist aber auch in der aktuellen Lage vieles im Fluss.
Julia Probst, Gebärdensprachlerin, kritisiert gerade, dass ein "Tagesthemen"-Kommentar nicht barrierefrei war, nicht untertitelt. Sie hat eine Petition für barrierefreie Infos zu Corona, da ist einiges auch schon umgesetzt. Politik, Institutionen, Fernsehanstalten bewegen sich da gerade auch mit.
Und dazu hat auch Helmut Vogel, der Präsident des Gehörlosenbundes, sinngemäß gesagt: Dass ein Mitbewegen stattfindet, das ist zu erkennen.
Übersetzt haben Florian Hallex für Helmut Vogel und Nicole Maresch für Katja Fischer.
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