Gauguin-Ausstellung in London

Auf der Suche nach sich selbst

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Ein junges Mädchen in einem blau-weißen Kleid portraitiert von Gauguin.
"Tehamana" ist eines der berühmtesten Porträtgemälde des französischen Künstlers. © The Art Institute of Chicago
Von Friedbert Meurer · 07.10.2019
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Eine große Gauguin-Ausstellung ist derzeit in London zu sehen. Sie zeigt vor allem Porträts junger Frauen aus Tahiti und versucht, die Widersprüchlichkeit des französischen Malers abzubilden.
Eine junge Frau aus Tahiti trägt ein blau-weiß gestreiftes Kleid. Sie hat sich weiße und rote exotische Blumen in ihr Haar gesteckt. Sie heißt Tehamana, also genau wie Paul Gauguins junge Frau. Es ist eines der berühmtesten Porträtgemälde des französischen Künstlers, der Zuflucht auf Tahiti fernab der Heimat gesucht hatte.
Aber dem Gemälde liegen zwei Irrtümer zugrunde. Einer ist, dass die Porträtierte wohl gar nicht Gauguins Frau ist. Der Maler behauptet das zwar in seiner Autobiographie "Noa Noa", aber die deutsche Co-Kuratorin Cornelia Homburg kommt zu einem anderen Schluss:

"Wir wissen inzwischen, dass er sowohl in Briefen an Menschen, die er beeinflussen oder denen er etwas Besonderes erzählen wollte, und sicherlich in seinen Schriften, vor allen Dingen 'Noa Noa', dass das größtenteils nicht auf der Wahrheit beruht. Die Frauen sind Modelle, die er wahrscheinlich, vielleicht nicht alle, in Tahiti getroffen hat. Aber wir wissen nicht, wer sie sind."
P.Gauguin, Portraet von Madame Roulin Gauguin, Paul 1848-1903. 'Portraet von Madame Roulin', Arles, ende November 1888. Oel auf Leinwand, 48,2 x 62,2 cm. Inv.5:1919 Gabe von Mrs. Mark C.Steinberg, St.Louis, The Saint Louis Art Museum. E: P. Gauguin / Madame Roulin Gauguin, Paul 1848-1903. 'Portrait of Madame Roulin', Arles, end of November 1888. Oil on canvas, 48.2 x 62.2cm. Inv.5:1919 Gift of Mrs. Mark C. Steinberg, St Louis, The Saint Louis Art Museum. |
Paul Gauguin, Portrait von Madame Roulin© imago/akg

Gauguin und die Frauen

Irrtum Nummer zwei ist, dass dieses Porträt wie viele andere Gauguins auch nur bedingt ein Porträt ist. Porträts setzen voraus, dass der Künstler eine Person darstellen will. Für Gauguin ging es aber letztlich um etwas anderes. Er wollte die Reinheit der polynesischen Kultur zeigen. Das blau-weiße Kleid wurde der jungen Frau von französischen Missionaren übergezogen. Hinter der Frau sind einheimische Götter, Masken und Schriftzeichen zu sehen, also die Mythenwelt Ozeaniens. Das Porträt als solches ist zweitrangig.
"Frankreich war natürlich die Kolonialherrschaft von Tahiti, der Hintergrund ist teilweise erfunden. Vor allen Dingen referiert er auf Mythen von Tahiti und Polynesien. Damit will Gauguin ganz deutlich diese Figur in einen größeren, zeitloseren Kontext bringen."
Aber natürlich ging es Paul Gauguin doch um die Frauen. Er beutete sie als weißer Mann sexuell aus. Seine Frauen waren erst 13 oder 14 Jahre alt. Und hier beginnt der problematische Aspekt der Ausstellung: Die National Gallery zeigt lediglich vier Porträts polynesischer Frauen und stattdessen zum Beispiel Plastiken, die Gauguin selbst ausdrucksstark als Leidensfigur zeigen.

Widersprüchlichkeit Gauguins

Ist diese verkürzte Auswahl ein Akt der Selbstzensur gegenüber der MeToo-Bewegung? Pflichtbewusst heißt es in einem erklärenden Text, dass Gauguin "seine privilegierte Stellung als weißer Kolonial-Europäer ausnutzte, um seine sexuellen Phantasien auszuleben". Kuratorin Cornelia Homburg pocht darauf, die Schau wolle die Widersprüchlichkeit Gauguins zeigen.
"Einerseits geht er nach Tahiti, weil das eine französische Kolonie ist. Das heißt er hat Privilegien als Franzose. Auf der anderen Seite ist er schon tief an der Kultur interessiert, die er neu erfährt und in der er natürlich seine Kunst entwickeln will."
Einige berühmte Gemälde mit jungen Polynesierinnen mit entblößten Brüsten fehlen in London. Es bleibt der Verdacht, dass das Museum dem modernen europäischen Betrachter nicht zu viel nackte Mädchenhaut aus Tahiti zum Betrachten vorlegen wollte. In gewisser Weise agiert es damit wie die französischen Missionare, die auch die Brüste der exotischen Frauen verhüllten, zum Beispiel mit dem eingangs erwähnten blau-weißen Kleid. Aber dieser Konflikt zwischen Voyeurismus und Akzeptanz für eine fernab liegende Kultur hätte noch stärker gerade das Thema der Ausstellung sein können.
Gemälde portraitiert drei Personen: ein polynesisches nacktes Mädchen, eine weitere barbusige junge Frau und links Gauguins verstorbenen Malerfreund Meiyer de Haan. Er ist der Europäer mit teuflischen Krallen, wirkt aber in der knienden Pose fast schuldbewusst.
"Barbarische Geschichten", 1902© National Gallery / Museum Folkwang Essen / ARTOTHEK

In späten Jahren, als er sozial isoliert, mittellos und krank war, zog es Gauguin immer mehr zum Thema Religion hin. Ein Gemälde portraitiert drei Personen: ein polynesisches nacktes Mädchen, eine weitere barbusige junge Frau und links Gauguins verstorbenen Malerfreund Meiyer de Haan. Er ist der Europäer mit teuflischen Krallen, wirkt aber in der knienden Pose fast schuldbewusst.

Wer ist hier der Barbar?

"Was Sie hier sehen ist eigentlich eine Darstellung, in der Meiyer de Haan die jüdisch-christliche Tradition, die westliche Tradition darstellt. Die Figur in der Mitte ist von einem Tempel aus Barabudur in Java, von dem er Fotografien bei sich hatte in Polynesien. Und dann eine Frau aus Polynesien, die vielleicht auf einem echten Modell basiert, aber die hier die maorische Tradition und Religion darstellt."
Das Bild trägt den Titel "Barbarische Geschichten". Aber wer ist hier der Barbar? Der Europäer, der die polynesische Kultur unterdrückt? Für Gauguin war "barbarisch" aber kein negatives Wort. Es beschreibt für ihn das Ursprüngliche und Wilde, das ihn an Polynesien so faszinierte. Beutete er so Tahiti als Künstler ein zweites Mal aus – oder gab er der Kultur ihre Würde zurück? Das ist die spannende Frage, die die Schau letzten Endes doch sehr sehenswert macht.

Gauguin Portraits
7. Oktober 2019 – 26. Januar 2020
National Gallery, London

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