Gauck: Politische Nostalgie der Linken ist gefährlich

Moderation: Markus Pindur · 19.02.2008
Der ehemalige Bundesbeauftragte für die Unterlagen der DDR-Staatssicherheit, Joachim Gauck, sieht innerhalb der Partei "Die Linke" ein Verdrängen von politischen Wahrheiten. Die Art der politischen Nostalgie, wie sie "Die Linke" betreibe, sei "sehr gefährlich", sagte Gauck. Die Partei sei unentschlossen, wenn es um die Verteidigung des Demokratiemodells gehe.
Pindur: Die Linke hat vor drei Wochen in Niedersachsen einen großen Erfolg errungen, sie schaffte nämlich den Einzug in den dortigen Landtag. Die ganze Republik sprach über eine veränderte politische Landschaft. Und sie hat sich vielleicht auch verändert, es ist aber noch zu früh, dies abschließend zu beurteilen.

Für einige in der Linken hat sich allerdings gar nichts verändert: Die Mauer war nötig, um die DDR vor den massenhaft hineindrängenden westdeutschen Reaktionären zu schützen, und eine Stasi brauche man nun einmal, um einen ordentlichen Sozialismus zu betreiben, sagte die niedersächsische Linke-Abgeordnete Christel Wegner gegenüber dem ARD-Magazin "Panorama". Ihre eigene Fraktion ist damit offenbar nicht einverstanden und hat das DKP-Mitglied Wegner jetzt aus der Linken-Fraktion ausgeschlossen.

Wir sprechen mit Joachim Gauck, er war der erste Chef der Stasi-Unterlagenbehörde und ist ein Kenner der Linken, der früheren PDS und vormaligen SED. Guten Morgen, Herr Gauck!

Joachim Gauck: Hallo!

Pindur: Hat die Linke mit dem Rauswurf der DKP-Frau Wegner gezeigt, dass sie aus ihrer eigenen Geschichte gelernt hat?

Gauck: Es gibt in der PDS, in der Linken, natürlich solche Menschen. Das muss man klar sehen. Das Problem ist, dass wir nicht wissen, wie viele es sind und ob diese Aufgeklärten die Mehrheit haben, oder ob es die roten Reaktionäre sind, die uns jetzt gerade aufgefallen sind.

Pindur: Es ist jetzt schwierig, dass zu bewerten von außen. Wie beurteilen Sie das denn, die Glaubwürdigkeit der PDS mit dem Umgang mit der Geschichte?

Gauck: Ja, das ist für mich sehr, sehr schwierig. Wissen Sie, es gibt so eine naive Nostalgie. Das ist, wenn Menschen unpolitisch sich an die Vergangenheit erinnern. Aber die Art der politischen Nostalgie, wie sie die Linke betreibt, ist schon sehr gefährlich und vor allen Dingen ältere Menschen…

Erinnern Sie sich, man hat dieses Modell eben schon mal erlebt, und zwar nach dem Krieg, als sich in den verschiedenen Milieus der Angepassten, der Spruch hielt, "es war auch nicht alles schlecht beim Führer". Ich will die beiden Systeme keineswegs miteinander vergleichen. Aber die Abschiedsproblematik oder die Techniken, die angewendet werden, um der Wirklichkeit nicht standhalten zu müssen, sind schon sehr ähnlich. Und deshalb gibt es jetzt zum zweiten Mal das Problem mit einer politischen Nostalgie.

Die PDS/Linke, wie sie sich jetzt nennt, hat sehr viele Leute, die sogar Spitzel der Staatssicherheit waren, als Abgeordnete ertragen und verdrängt die damit verbundenen Lasten. Und sie ist doch sehr unentschlossen, wenn es um die Verteidigung des Demokratiemodells geht und findet immer noch allerhand Gutes an der Diktatur. Und das ist so etwas, wo man jetzt auf ein Buch wartet wie damals in der Nachkriegszeit diese sehr wichtige Arbeit der Mitscherlichs "Von der Unfähigkeit zu trauern". Das fällt einem auf.

Pindur: Ist das ein besonderes Problem der Linken im Westen, wo es sich ja um eine ziemlich bunt zusammengewürfelte Truppe handelt, wo auch viele K-Gruppen drin gelandet sind, oder ist das ein Problem der Linken insgesamt?

Gauck: Ja, wissen Sie, auch bei den K-Gruppen, die sich in der späteren 68er Zeit gebildet haben, gibt es ja große Unterschiede. Und viele, die mal in der KPD/AO oder in anderen Gruppen waren, trotzkistisch, sind ganz großartige Demokraten geworden. Aber bei den DKP-Leuten ist es echt schwierig, weil sich hier dieser innere Abschied sehr stark verzögert hat. Die Menschen haben sehr lange vom Geld der SED gelebt, meine Unterdrücker haben denen das Geld gegeben, damit sie ihre Parteiarbeit im Westen und in Westberlin machen konnten. Und man hat manchmal den Eindruck, dass diese, solange von der SED alimentierten Genossen im Westen Deutschlands sich schwerer verabschieden können von diesem Politikmodell, als die, die lange Jahre selber in der SED waren.

Pindur: Wir haben versucht, einen Spitzenpolitiker von der Linken für ein Gespräch zu bekommen, haben aber nur Absagen dabei gekriegt. Warum geht Ihrer Ansicht nach die Parteiführung der Linken auf Tauchstation?

Gauck: Ja, weil sie damit innerhalb der Partei so große Probleme schafft. Sie haben ja die kommunistische Plattform und die Marxisten, und sie haben diese und jene Gruppierung, und sie haben im Grunde linke Sozialdemokraten. Und all das hat sich ja noch nicht richtig vereinigt. Das sind schon sehr ungleiche Milieus. Bisky und Gysi würden manchen Blödsinn, den Altfunktionäre der DKP ausstoßen, würden die nicht mehr rauslassen. Ihr Problem ist, dass sie sich nicht durchsetzen, dass ihnen die politische Wahrheit und die Delegitimierung der Diktatur, das würde ihnen zu viel Probleme schaffen bei Auseinandersetzungen innerhalb der Partei.

Pindur: Kommen wir zum Schluss noch einmal zur politischen Kultur innerhalb der Linken. Sie haben die kommunistische Plattform erwähnt. Man trennt sich jetzt ohne großes Federlesen von einer unbekannten niedersächsischen Landtagsabgeordneten. Man duldet aber innerhalb der Linken nach wie vor die kommunistische Plattform um ihre Galionsfigur Sarah Wagenknecht, und die sitzt sogar im Europaparlament.

Gauck: Ja, und das ist eben, was Menschen, die genauer hinschauen, auch so schwer im Magen liegt. Und deshalb vermögen viele von uns im Osten diese Partei nicht als Vertreter Ostdeutschlands zu sehen, sondern als eine Zusammenrottung von Menschen, die von der politischen Aufklärung später erreicht werden als andere. Und wenn man nicht bereit ist, eben diese Form der linken Diktaturen und dieses linke reaktionäre Gedankengut entschlossen zu bekämpfen, dann wird noch lange Zeit in der sogenannten Linken diese merkwürdige Suppe von ganz unterschiedlichen Richtungen bis hin eben zu Feinden, veritablen Feinden der Demokratie zu besichtigen sein.