Gauck in Leuven

Erinnerung an deutsche Barbarei

Ausstellung zum Ersten Weltkrieg in Liège (Lüttich)
Ausstellung zum Ersten Weltkrieg in Liège (Lüttich) © dpa / picture alliance / Laurie Dieffembacq
Von Annette Riedel · 04.08.2014
Bundespräsident Gauck besucht die belgische Universitätsstadt Leuven. Vor hundert Jahren zerstörten deutsche Soldaten die prachtvolle Bibliothek. Mit Spenden aus der ganzen Welt wurde sie wieder aufgebaut, ein Deutscher ist heute Chefbibliothekar.
So klingt das Carillion im Turm der Neuen Universitätsbibliothek Leuven. Die wurde gebaut, nachdem die Deutschen im ersten Weltkrieg die Alte Universitätsbibliothek in einem Gebäude, das vom Anfang des 14.Jahrhunderts stammte, abgebrannt haben. Und Hunderttausende wertvoller Bücher mit ihr. Bundespräsident Gauck ist das erste deutsche Staatsoberhaupt, das Leuven besucht, erzählt Tarek Peeters, Bibliothekar, Ausstellungskurator und Besucherführer in Einem:
"Hier kommt der Bundespräsident an, wird durch dieses monumentale Holztor, in die Eingangshalle der wieder aufgebauten Alten Bibliothek hineingehen. Dann geht er hier die Treppe hinauf zum Festsaal."
Das in den Fundamenten mittelalterliche, darüber teils barocke, teils gotische restaurierte Gebäude der Alten Universitätsbibliothek wird heute von der Verwaltung der Katholischen Universität Leuwen genutzt, sowie für Festveranstaltungen und Empfänge aller Art. Prunkvoll die hohen Decken, Marmorböden, an Kirchen erinnernde Bleiglasfenstern, zwei holzgetäfelte Säle mit viel Gold, und Gemälden an den Wänden.
Der Bundespräsident wird bei seinem Besuch in der alten Universitätsbibliothek vom belgischen Königspaar begleitet. Gemeinsam werden sie eine Gedenktafel enthüllen, die an die Zerstörung der alten Bibliothek 1914 erinnert.
Margot Vandenbergh, Veranstaltungsmanagerin der Universität, zeigt auf die Stelle, an der die Erinnerungstafel neben dem Festsaal angebracht werden wird, gegenüber der Aula, die früher einmal der große Lesesaal war.
Tarek Peeters deutet auf eine Marmortafel neben der Aula, in der hunderte von Namen eingraviert sind:
"Das sind die Professoren und Studenten der Universität Leuven, die zwischen 1914 und 1918 umgekommen sind. Diese Art von Namenstafeln können sie in ganz Leuven finden."
Vor der Alten Universitätsbibliothek hat Tarek Peeters sein Fahrrad stehen. Er schiebt es über die kleine Straße mit Kopfsteinpflaster Straßenseite vor dem Gebäude.
"Was haben die Deutschen 1914 gemacht? Sie haben das Gebäude, das ja ursprünglich eine große Tuchhalle war, bevor es Bibliothek wurde, als Stall genutzt. Es war ideal dafür. Es gab ja noch viele Pferde im Ersten Weltkrieg. In der Nacht vom 25. zum 26. August brannten die Deutschen das Gebäude dann absichtlich nieder."
Tarek Peeters erzählt auf dem Weg zu der ein paar hundert Meter entfernten Neuen Universitätsbibliothek, dass dieses barbarische Verhalten der Deutschen, dass sie unersetzliches Kulturgut unter dem Vorwand, von belgischen Heckenschützen beschossen worden zu sein, zerstörten, dass dieses nach jener Nacht eine große Rolle in der antideutschen Kriegspropaganda zu spielen begann.
"Im Ersten Weltkrieg wurden zwischen 230.000 und 300.000 Bücher zerstört. Im Zweiten Weltkrieg 900.000 Bücher."
Da war die Bibliothek bereits in die nach dem Ersten Weltkrieg im Neo-Renaissance-Stil gebaute Neue Universitätsbibliothek Leuven mit Turm und Carillion umgezogen. Errichtet wurde sie 1921 − 1928, gebaut und bestückt teilweise auch mit deutschen Mitteln, die im Versailler Vertrag festgeschrieben wurden. Große Bedeutung hatten aber vor allem Spenden aus Amerika. Dutzende Namenstafeln mit den Spendern erinnern heute daran. Im zweiten Weltkrieg, am 16. Mai 1940, brannte auch die Neue Bibliothek vollständig aus. Sie wurde nach dem Ende des Krieges originalgetreu wieder aufgebaut, steht heute unter Denkmalsschutz.
Obwohl die Deutschen so gehaust haben in Belgien und nicht zuletzt in Leuven – Tarek Peeters glaubt nicht, dass der Bundespräsident bei seinem Besuch auf antideutsche Ressentiments stoßen wird, sagt er unterwegs auf dem Weg zwischen dem Gebäude, das mal die alte Bibliothek war und der ein paar hundert Meter entfernten neuen:
"Das beste Beispiel für Versöhnung ist, dass unser Chefbibliothekar heute Deutscher ist. Exakt 100 Jahre, nachdem die Deutschen die erste Universitätsbibliothek Leuven zerstört haben, haben wir einen deutschen Kollegen, der uns gewissermaßen ins 21. Jahrhundert führt."
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