Gattenmord aus Freiheitsdrang

21.02.2008
Die Geschichte ist ganz einfach und wirklich geschehen. Am 22. Juli 1835 werden Anna Sophie Spreckels und ihr Geliebter Claus Friedrich Meyer durch das Schwert hingerichtet, weil sie gemeinschaftlich Cord Meyer, Annas Ehemann und Vater von Claus umgebracht haben.
Es handelt sich um die letzte öffentliche Hinrichtung im Königreich Hannover. Die blutschänderische Tat soll zuerst "mit dem Rade vom Leben zum Tode gerichtet" werden, doch dann wird das Urteil mit Hilfe der Verteidigung umgewandelt in eine "Schleifung auf einer Kuhhaut und Exekution durch das Schwert". Es geht darum, ein abschreckendes Exempel zu statuieren angesichts dieser "tiefen Verworfenheit und seltenen Abscheulichkeit der Verbrechen". So ist es zu lesen in überlieferten Schriften.

Doch der Archäologe Dietrich Alsdorf im Kreis Stade, wo sich dies alles vor weniger als 200 Jahren abspielte, hat so seine Zweifel an der vernichtenden Darstellung der Anna Sophie Spreckels. Ein intensives Studium aller Quellen und die Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen der damaligen Zeit eröffnen ihm ein ganz anderes Bild - dargestellt in dem Roman "Anna von Blumenthal."

Hier lernt der Leser eine junge lebenslustige Frau kennen, die aus einfachsten Verhältnissen stammt und sich deshalb als Dienstmagd verdingen muss. Als ihre Mutter zum zweiten Mal verwitwet und bald erblindet, muss Anna für die Mutter sorgen und das heißt im 19. Jahrhundert, so zu heiraten, dass die Mutter auch ein Auskommen findet. Nur ein älterer Mann, der bereits zweimal Witwer geworden ist, lässt sich auf diesen Handel ein.

Anna sträubt sich, aber als sie keinen Ausweg mehr sieht, stimmt sie der Hochzeit zu, nicht ohne sich vorher ihr Altenteil zu sichern. Genau diese sehr weitsichtige und vernünftige Tat unterstreicht später das Bild der berechnenden habgierigen Frau. Erst bei ihrer Hochzeit erfährt Anna, das der junge Soldat Claus, den sie vorher kennen und lieben gelernt hat, ein Sohn ihres Bräutigams aus erster Ehe ist. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf.

Dietrich Alsdorf hat nicht nur die tragische Lebensgeschichte von Anna Sophie Spreckels rekonstruiert, sondern er zeichnet eine Sittengeschichte im kleinbürgerlichen Milieu an der Oste in Niedersachsen zum Anfang des 19. Jahrhunderts. Seine exakte Beschreibung der Wohnverhältnisse, aber auch der Moral und Lebensbedingungen schnüren einem beim Lesen förmlich den Hals zu. Das Verdienst des Autors ist es, diese Enge sehr klar und plastisch zu beschreiben, ohne zu werten.

Allerdings ergreift er Partei für Anna. Was als blutschänderisches, gemeines und berechnendes Verhalten überliefert worden ist, erscheint uns heute als Kampf um ein kleines Glück mit ein wenig Selbstbestimmung. In einer sehr klaren und knappen Sprache rekonstruiert Dietrich Alsdorf die Geschichte und erzählt sie wie eine Art Krimi aus seiner Perspektive. Auch wenn hier das Ergebnis von vornherein feststeht, bleibt der Spannungsbogen erhalten.

"Anna aus Blumenthal" ist ein überaus lesenswerter Roman, der Zeitgeschehen, Moral und detailgetreue Beschreibung der Lebenssituation in dieser nordwestlichen Region Niedersachsens exzellent beschreibt. Neben Fotografien von Originalschauplätzen liefert das Buch Protokolle und Quellen, die die Handlung des Romans untermauern, aber auch noch einmal eine andere, sehr viel negativere Sichtweise auf das Geschehen aus der damaligen Zeit vor Augen führen.

Die gelungene Mischung aus Lokalkolorit und Sittengeschichte des 19. Jahrhunderts lädt ein, sich mit dieser Zeit zu beschäftigen und bietet auch die Möglichkeit, sich aktuell mit den historischen Orten und Taten auseinander zusetzen. Diverse Veranstaltungen und Lesungen vor Ort belegen, dass die Geschichte der "Anna aus Blumenthal" keine Fiktion ist.

Rezensiert von Birgit Koß

Dietrich Alsdorf: Anna aus Blumenthal
Historischer Roman. Verlag Atelier im Bauernhaus, Fischerhude 2007
S. 360, Euro 12,80