Garstige Komödie als Horrortrip
Diese Oper hat zwei Regisseure, zwei Dirigenten, zwei Komponisten - und zwei Hauptdarstellerinnen. Frau Gott und Frau Tod, die Rezensent Stefan Keim "Rampensäue des Himmels und der Hölle" nennt, präsentieren "Helges Leben" im Zeitraffer. Die Musik zitiert dazu Melodien aus alten Musicals, Filmmusik und Schlagern.
Humor ist nicht gerade eine vorherrschende Qualität im zeitgenössischen Musiktheater. Es ist schwer, komische Musik zu schreiben, wenn ein Großteil des Publikums sich erst mal ein komplexes Vokabular erarbeiten muss, um überhaupt dem Stück folgen zu können. Ohne Rückgriffe auf die bekannte Tradition, ohne Parodie und Travestie ist eine witzige Wirkung kaum zu erreichen. Und da rutscht man schnell in die Banalitätsfalle. Mauricio Kagel und zum Teil auch Detlev Glanert haben ihre Wege gefunden. Nun haben Karola Obermüller und Mark Moebius, zwei junge Komponisten knapp jenseits der 30, die Satire "Helges Leben" von Sibylle Berg in ein Musiktheater verwandelt.
Ohne die Menschen haben Frau Gott und Frau Tod ein hartes Leben. Tiere sind nun ihre einzige Kundschaft, doch die langweilen sich schnell. Also müssen die beiden Damen in Gestalt ihrer abgedankten Krone der Schöpfung Theaterstücke für Tapir, Reh und Schnapphamster aufführen. Gepfeffert mit Sex, Songs und Sadismus präsentieren sie "Helges Leben" von der Geburt bis zum Tod, ein Leben im Zeitraffer, ein zynisch pointierter "Jedermann", der seit der umwerfenden Uraufführung vor knapp neun Jahren im Kellertheater des Bochumer Schauspiels oft nachgespielt wurde.
Die beiden Komponisten gehen sehr unterschiedlich ans Stück heran. Karola Obermüller ist Anfang und Ende, Geburt und Kindheit, Krankheit und Tod verantwortlich. Sie verwendet Mikrotöne, schafft mulmige, verwischte Stimmungen, schreibt Gesangsensembles, was die Textverständlichkeit minimiert. Bei ihr wird aus Sibylle Bergs garstiger Komödie ein Horrortrip. Wenn Helge am Schluss in der Einsamkeit versinkt und die Tiere – im Gegensatz zum Schauspiel – sich lange schon nicht mehr für ihn interessieren, überzeugt dieser Zugriff. Doch zu Beginn erschwert er den Zugang, die Musik wirkt wie ein prätentiös schillernder Nebel, der jede Komik erstickt.
Ganz anders klingen die Teile, die Mark Moebius komponiert hat. Allerdings fiel ihm auch die dankbare Aufgabe zu, die Beziehung Helges zu Tina, das Ver- und Entlieben in Töne zu fassen. Moebius zitiert hemmungslos den Stil alter Musicals, Kinosoundtracks und Schlager. Und ist damit nah an der Technik Sibylle Bergs, die hinter einer trügerisch komödiantischen Oberfläche boshafte Spitzen verbirgt. Frau Tod (dämonisch soubrettig Diana Amos) hat einen Cembalisten, Frau Gott (Elisabeth Umierski mit weisem, staatstragendem Mezzo) einen Organisten dabei. Hinreißend duellieren sich die beiden Damen um den letzten Ton eines Duetts, Rampensäue des Himmels und der Hölle.
Es gibt nicht nur zwei Komponisten, sondern auch zwei Dirigenten (Carolin Nordmeyer und Witolf Werner) sowie zwei Regisseure (Florian Lutz und Juliane Scherf). Dazu kommt eine halbe Armee von Librettisten, die Sibylle Bergs Skript gekürzt und eingerichtet hat. Die Vielzahl der Kreativen resultiert daraus, dass sie alle Stipendiaten der "Akademie Musiktheater heute" der Deutsche Bank Stiftung sind, unter deren Fittichen das Projekt entstand.
Kollektives Komponieren scheint angesagt, in wenigen Wochen hat im Ruhrgebiet die "Eichbaumoper" Uraufführung, in der gleich drei Teams aus Komponisten und Librettisten in einer U-Bahn-Station Musiktheater machen. Die Bielefelder Uraufführung wirkt disparat, aber anregend, und wird von Rainer Sellmaiers Ausstattung zusammengehalten, einem Sandhügel, der sowohl spielerisch-heiter als auch Nebel verhangen gruselig wirken kann.
Hubert Wild muss sich als Helge manchmal in Countertenor-Höhen bewegen und tut dies ebenso souverän wie Jens Korgsgaard als seine personifizierte, ihn ständig begleitende Angst mephistophelische Töne trifft. Das Bielefelder Ensemble beschäftigt sich häufig mit ungewöhnlichen Stücken, Kompetenz und Freude an der Herausforderung sind spür- und hörbar. Zumindest ein kleiner Schritt in Richtung eines heutigen komödiantischen Musiktheaters ist geschafft.
Service:
Weitere Aufführungen im Theater Bielefeld am 4., 23. und 25. Juni, 3. und 5. Juli 2009.
Ohne die Menschen haben Frau Gott und Frau Tod ein hartes Leben. Tiere sind nun ihre einzige Kundschaft, doch die langweilen sich schnell. Also müssen die beiden Damen in Gestalt ihrer abgedankten Krone der Schöpfung Theaterstücke für Tapir, Reh und Schnapphamster aufführen. Gepfeffert mit Sex, Songs und Sadismus präsentieren sie "Helges Leben" von der Geburt bis zum Tod, ein Leben im Zeitraffer, ein zynisch pointierter "Jedermann", der seit der umwerfenden Uraufführung vor knapp neun Jahren im Kellertheater des Bochumer Schauspiels oft nachgespielt wurde.
Die beiden Komponisten gehen sehr unterschiedlich ans Stück heran. Karola Obermüller ist Anfang und Ende, Geburt und Kindheit, Krankheit und Tod verantwortlich. Sie verwendet Mikrotöne, schafft mulmige, verwischte Stimmungen, schreibt Gesangsensembles, was die Textverständlichkeit minimiert. Bei ihr wird aus Sibylle Bergs garstiger Komödie ein Horrortrip. Wenn Helge am Schluss in der Einsamkeit versinkt und die Tiere – im Gegensatz zum Schauspiel – sich lange schon nicht mehr für ihn interessieren, überzeugt dieser Zugriff. Doch zu Beginn erschwert er den Zugang, die Musik wirkt wie ein prätentiös schillernder Nebel, der jede Komik erstickt.
Ganz anders klingen die Teile, die Mark Moebius komponiert hat. Allerdings fiel ihm auch die dankbare Aufgabe zu, die Beziehung Helges zu Tina, das Ver- und Entlieben in Töne zu fassen. Moebius zitiert hemmungslos den Stil alter Musicals, Kinosoundtracks und Schlager. Und ist damit nah an der Technik Sibylle Bergs, die hinter einer trügerisch komödiantischen Oberfläche boshafte Spitzen verbirgt. Frau Tod (dämonisch soubrettig Diana Amos) hat einen Cembalisten, Frau Gott (Elisabeth Umierski mit weisem, staatstragendem Mezzo) einen Organisten dabei. Hinreißend duellieren sich die beiden Damen um den letzten Ton eines Duetts, Rampensäue des Himmels und der Hölle.
Es gibt nicht nur zwei Komponisten, sondern auch zwei Dirigenten (Carolin Nordmeyer und Witolf Werner) sowie zwei Regisseure (Florian Lutz und Juliane Scherf). Dazu kommt eine halbe Armee von Librettisten, die Sibylle Bergs Skript gekürzt und eingerichtet hat. Die Vielzahl der Kreativen resultiert daraus, dass sie alle Stipendiaten der "Akademie Musiktheater heute" der Deutsche Bank Stiftung sind, unter deren Fittichen das Projekt entstand.
Kollektives Komponieren scheint angesagt, in wenigen Wochen hat im Ruhrgebiet die "Eichbaumoper" Uraufführung, in der gleich drei Teams aus Komponisten und Librettisten in einer U-Bahn-Station Musiktheater machen. Die Bielefelder Uraufführung wirkt disparat, aber anregend, und wird von Rainer Sellmaiers Ausstattung zusammengehalten, einem Sandhügel, der sowohl spielerisch-heiter als auch Nebel verhangen gruselig wirken kann.
Hubert Wild muss sich als Helge manchmal in Countertenor-Höhen bewegen und tut dies ebenso souverän wie Jens Korgsgaard als seine personifizierte, ihn ständig begleitende Angst mephistophelische Töne trifft. Das Bielefelder Ensemble beschäftigt sich häufig mit ungewöhnlichen Stücken, Kompetenz und Freude an der Herausforderung sind spür- und hörbar. Zumindest ein kleiner Schritt in Richtung eines heutigen komödiantischen Musiktheaters ist geschafft.
Service:
Weitere Aufführungen im Theater Bielefeld am 4., 23. und 25. Juni, 3. und 5. Juli 2009.