"Ganze Gebirge, die da ins Rollen kamen"
Harmonie, Arrangements und Melodie gehaltvoll einsetzen. So lautet das Erfolgsrezept der Beatles, meint Komponist Christian Jost. Auch wenn er sich mittlerweile eher György Ligeti zugewendet hat, psychedelische Beatles-Songs begeistern ihn noch heute wie in Teenagerzeiten: "Strawberry Fields Forever"!
Gabi Wuttke: Musik aus dem "Revolver"-Album der Beatles, das auf Leonard Bernstein tiefsten Eindruck machte, weil es, wie er sagte, amüsanter und vitaler war als die Neue Musik in Opernhäusern und Konzertsälen. Genau 50 Jahre ist es her, dass die Beatles zum ersten Mal unter diesem Namen auftraten, bekanntlich in Hamburg. An diesem Jubiläumstag zu Gast im Studio ist der Komponist Christian Jost, Jahrgang 1963. Er hat aus Theaterstücken von Roland Schimmelpfennig und Woody Allen Kammeropern gemacht, er arbeitet für große Orchester der Welt und sein "Hamlet" wurde 2009 zur Uraufführung des Jahres gewählt. Guten Morgen, Herr Jost!
Christian Jost: Guten Morgen!
Wuttke: Leonard Bernstein sagte in diesem Interview über die Beatles 1967 auch, jeder Mensch setze spontan schon zwei Töne in eine musikalische Beziehung. War das Erfolgsrezept von John Lennon und Paul McCartney also ziemlich einfach?
Jost: Ja, mit der Einfachheit hat es ja immer so … ist es immer so eine Sache.
Wuttke: Eben, eben.
Jost: Es ist sehr schwierig natürlich, einen Massengeschmack, in Anführungszeichen, zu finden, obgleich die Beatles wie ein Solitär in der Musikgeschichte wirklich dastehen. Und gerade diese Mischung aus McCartney, Lennon, also McCartney, der ja doch immer mehr für die, sage ich mal, Schmusesongs, für die Melodienfindigkeit verantwortlich war, und Lennon, der das Ganze künstlerisch untermauert hat. Es ist ja auch insofern gar keine große Überraschung, dass er dann letzten Endes sich mehr oder weniger der fließenden Fluxus-Bewegung eingefunden hat.
Und diese künstlerische Untermauerung auch innerhalb der Songs – gerade, wenn Sie das "Revolver"-Album ansprechen, auch mit "Revolution 9" und solchen Dingen, also diese ganze psychedelische Ecke, muss ich sagen – hat sicherlich nicht nur auf die Musik ihrer Zeit, sondern das strahlt bis heute. Und ist ein, so letzten Endes auch der Urschrei, auch nach dem John Lennon ja dann auch mal gesucht hat in der Musikgeschichte, der damit manifestiert wurde.
Wuttke: Das heißt aber, so einfach, wie es klingt, ist das mit dieser Musik der Beatles gar nicht, besonders eben der beiden?
Jost: Überhaupt nicht. Also selbst dann so, sagen wir mal, ein Lied, was wirklich jeder kennt wie "Yesterday", was ja schon in seiner Urfassung für Streichquartett und Gitarre gedacht ist. Oder auch "Imagine", was ja so einfach von der Struktur ist, aber nicht mehr aus dem Kopf zu kriegen. Und letzten Endes auch mit einer - Bernstein war es glaube ich auch, der sagte, ihm würde eine Beatles-Melodie, er würde sie absolut gleichstellen mit dem Gehalt eines Schubert-Liedes.
Und ich kann das letzten Endes nur unterstreichen, und ich jetzt auch als klassischer Komponist oder sagen wir als Komponist von Kunstmusik – da ist man ja auch immer auf der Suche, oder zumindest geht das mir so: Wie schafft man es dann letzten Endes doch, möglichst Sinnfälliges und Sinnvolles dann doch auf einer gewissen Art und Weise so verständlich zu machen, dass man den eingeschlagenen Weg der Vision, dass man da letzten Endes noch die Leute ein bisschen an der Hand nehmen kann?
Wuttke: Die Beatles haben ja immer gesagt, es sei Quatsch, was in ihre Musik und in ihre Texte hineininterpretiert wurde und bis heute wird. Sie sind jetzt der Fachmann: War das Koketterie?
Jost: Also ich würde sagen, sowohl als auch.
Wuttke: Ah ja.
Jost: Ja, das, es ist natürlich. Wobei jetzt vieles bei den Beatles nicht unbedingt als Marketing gesteuert wurde, aber doch: Letzten Endes hat ja alles, was sie gemacht haben, ganz enorme Auswirkungen gehabt. Das sind ja ganz gesellschaftliche, also wirkliche Steine, nicht nur Steine, sondern Felsen, ganze Gebirge, die da ins Rollen kamen.
Und insofern denke ich, dass vieles ja auch –gerade von John Lennon, der das ja dann auch in den späten 60ern wirklich vertreten hat, dass es keine Trennung mehr geben soll und darf zwischen Kunst und Leben, dass alles ineinanderfließt, eben diese große Fluxus-Bewegung. Insofern würde ich sagen, zu dieser Zeit, also Anfang der 60er-Jahre, vielleicht war das noch ein bisschen Koketterie, aber letzten Endes wurde das auch vorgelebt, was sie gesungen, was sie künstlerisch dargestellt haben.
Wuttke: Sie haben gesagt, die Beatles sind für Sie ein Solitär. Wenn man sich die Verkaufszahlen bis heute ansieht – hatte John Lennon dann recht, als er sagte, die Songs der Beatles seien die Volkslieder des elektronischen Zeitalters?
Jost: In jedem Fall. Das kann ich auch nur unterstreichen. Also es ist ja auch hier bei den Beatles jetzt anders als bei anderen Bands, wo es immer noch mal so ein bisschen ein Für oder Wider gibt. Aber bei den Beatles ist es doch so, es ist doch noch in einer Zeit, auch einer musikalischen Übergangszeit, dass das Ganze musikalisch und harmonisch doch sehr gehaltvoll ist. Also ähnlich auch noch bei den Doors vielleicht noch in gewisser Weise, aber hat natürlich längst nicht diesen Radius erreicht. Aber dass dieser gehaltvolle Umgang mit Harmonie, mit Arrangement, mit Melodie, der ganze psychedelische Aspekt, von dem ich auch schon sprach, dass das letzten Endes sowohl den etwas intellektuelleren als auch den gewöhnlichen Hörer absolut vereinnahmt hat, und dass es eigentlich mehr oder weniger die einzige Band ist, die überhaupt nicht polarisiert.
Wuttke: Haben Sie sich von ihnen was abgeguckt?
Jost: Na ja, damals so, als, ich weiß noch, als ich zum ersten Mal den Film "Help" im Fernsehen sah, was mich da so unglaublich fasziniert hat: Eigentlich, wenn man das so sieht, dieses London auch dieser Zeit, was immer noch so diese bleierne, viktorianische Schwere hatte, die so über all den ganzen Einstellungen schwebte, und dann diese vier Jungs, die das Ganze so auf so eine sehr humorvolle Art auch aufbrechen und fast schon anarchisch durch die Gegend wandern, und das hat mich als junger Mensch, als ich das so Mitte der 70er-Jahre, schätze ich, zum ersten Mal im Fernsehen sah, ungemein angesprochen.
Wuttke: Als Lebensentwurf.
Jost: Ja, und dann auch die Musik, "Strawberry Fields Forever", das hat mich schon sehr geprägt in dieser Zeit. Und ich erinnere mich auch, dass ich zu meinem Cousin, der drei, vier Jahre älter ist als ich, dem ich dann auch so als Zehn- oder Elfjähriger sagte: Ich kann mir überhaupt gar nicht vorstellen, jemals irgendwas anderes als die Beatles zu hören. Und da sagte er: Ja, warte mal ab, da kommt noch vieles mehr. Und als ich dann ein Jahr später …
Wuttke: Recht hatte er.
Jost: … ja, Ligeti für mich entdeckte, war das also wie weggeblasen, muss ich sagen.
Wuttke: Trotzdem haben Sie bestimmt einen Lieblingssong?
Jost: Ja, also diese ganzen psychedelischen, die mag ich sehr, aber jetzt in diesem Fall vielleicht "Strawberry Fields Forever".
Wuttke: 50 Jahre Beatles, dazu im Interview im Deutschlandradio Kultur der Komponist Christian Jost. Danke schön, und hier hören wir es.
Jost: Vielen Dank!
Christian Jost: Guten Morgen!
Wuttke: Leonard Bernstein sagte in diesem Interview über die Beatles 1967 auch, jeder Mensch setze spontan schon zwei Töne in eine musikalische Beziehung. War das Erfolgsrezept von John Lennon und Paul McCartney also ziemlich einfach?
Jost: Ja, mit der Einfachheit hat es ja immer so … ist es immer so eine Sache.
Wuttke: Eben, eben.
Jost: Es ist sehr schwierig natürlich, einen Massengeschmack, in Anführungszeichen, zu finden, obgleich die Beatles wie ein Solitär in der Musikgeschichte wirklich dastehen. Und gerade diese Mischung aus McCartney, Lennon, also McCartney, der ja doch immer mehr für die, sage ich mal, Schmusesongs, für die Melodienfindigkeit verantwortlich war, und Lennon, der das Ganze künstlerisch untermauert hat. Es ist ja auch insofern gar keine große Überraschung, dass er dann letzten Endes sich mehr oder weniger der fließenden Fluxus-Bewegung eingefunden hat.
Und diese künstlerische Untermauerung auch innerhalb der Songs – gerade, wenn Sie das "Revolver"-Album ansprechen, auch mit "Revolution 9" und solchen Dingen, also diese ganze psychedelische Ecke, muss ich sagen – hat sicherlich nicht nur auf die Musik ihrer Zeit, sondern das strahlt bis heute. Und ist ein, so letzten Endes auch der Urschrei, auch nach dem John Lennon ja dann auch mal gesucht hat in der Musikgeschichte, der damit manifestiert wurde.
Wuttke: Das heißt aber, so einfach, wie es klingt, ist das mit dieser Musik der Beatles gar nicht, besonders eben der beiden?
Jost: Überhaupt nicht. Also selbst dann so, sagen wir mal, ein Lied, was wirklich jeder kennt wie "Yesterday", was ja schon in seiner Urfassung für Streichquartett und Gitarre gedacht ist. Oder auch "Imagine", was ja so einfach von der Struktur ist, aber nicht mehr aus dem Kopf zu kriegen. Und letzten Endes auch mit einer - Bernstein war es glaube ich auch, der sagte, ihm würde eine Beatles-Melodie, er würde sie absolut gleichstellen mit dem Gehalt eines Schubert-Liedes.
Und ich kann das letzten Endes nur unterstreichen, und ich jetzt auch als klassischer Komponist oder sagen wir als Komponist von Kunstmusik – da ist man ja auch immer auf der Suche, oder zumindest geht das mir so: Wie schafft man es dann letzten Endes doch, möglichst Sinnfälliges und Sinnvolles dann doch auf einer gewissen Art und Weise so verständlich zu machen, dass man den eingeschlagenen Weg der Vision, dass man da letzten Endes noch die Leute ein bisschen an der Hand nehmen kann?
Wuttke: Die Beatles haben ja immer gesagt, es sei Quatsch, was in ihre Musik und in ihre Texte hineininterpretiert wurde und bis heute wird. Sie sind jetzt der Fachmann: War das Koketterie?
Jost: Also ich würde sagen, sowohl als auch.
Wuttke: Ah ja.
Jost: Ja, das, es ist natürlich. Wobei jetzt vieles bei den Beatles nicht unbedingt als Marketing gesteuert wurde, aber doch: Letzten Endes hat ja alles, was sie gemacht haben, ganz enorme Auswirkungen gehabt. Das sind ja ganz gesellschaftliche, also wirkliche Steine, nicht nur Steine, sondern Felsen, ganze Gebirge, die da ins Rollen kamen.
Und insofern denke ich, dass vieles ja auch –gerade von John Lennon, der das ja dann auch in den späten 60ern wirklich vertreten hat, dass es keine Trennung mehr geben soll und darf zwischen Kunst und Leben, dass alles ineinanderfließt, eben diese große Fluxus-Bewegung. Insofern würde ich sagen, zu dieser Zeit, also Anfang der 60er-Jahre, vielleicht war das noch ein bisschen Koketterie, aber letzten Endes wurde das auch vorgelebt, was sie gesungen, was sie künstlerisch dargestellt haben.
Wuttke: Sie haben gesagt, die Beatles sind für Sie ein Solitär. Wenn man sich die Verkaufszahlen bis heute ansieht – hatte John Lennon dann recht, als er sagte, die Songs der Beatles seien die Volkslieder des elektronischen Zeitalters?
Jost: In jedem Fall. Das kann ich auch nur unterstreichen. Also es ist ja auch hier bei den Beatles jetzt anders als bei anderen Bands, wo es immer noch mal so ein bisschen ein Für oder Wider gibt. Aber bei den Beatles ist es doch so, es ist doch noch in einer Zeit, auch einer musikalischen Übergangszeit, dass das Ganze musikalisch und harmonisch doch sehr gehaltvoll ist. Also ähnlich auch noch bei den Doors vielleicht noch in gewisser Weise, aber hat natürlich längst nicht diesen Radius erreicht. Aber dass dieser gehaltvolle Umgang mit Harmonie, mit Arrangement, mit Melodie, der ganze psychedelische Aspekt, von dem ich auch schon sprach, dass das letzten Endes sowohl den etwas intellektuelleren als auch den gewöhnlichen Hörer absolut vereinnahmt hat, und dass es eigentlich mehr oder weniger die einzige Band ist, die überhaupt nicht polarisiert.
Wuttke: Haben Sie sich von ihnen was abgeguckt?
Jost: Na ja, damals so, als, ich weiß noch, als ich zum ersten Mal den Film "Help" im Fernsehen sah, was mich da so unglaublich fasziniert hat: Eigentlich, wenn man das so sieht, dieses London auch dieser Zeit, was immer noch so diese bleierne, viktorianische Schwere hatte, die so über all den ganzen Einstellungen schwebte, und dann diese vier Jungs, die das Ganze so auf so eine sehr humorvolle Art auch aufbrechen und fast schon anarchisch durch die Gegend wandern, und das hat mich als junger Mensch, als ich das so Mitte der 70er-Jahre, schätze ich, zum ersten Mal im Fernsehen sah, ungemein angesprochen.
Wuttke: Als Lebensentwurf.
Jost: Ja, und dann auch die Musik, "Strawberry Fields Forever", das hat mich schon sehr geprägt in dieser Zeit. Und ich erinnere mich auch, dass ich zu meinem Cousin, der drei, vier Jahre älter ist als ich, dem ich dann auch so als Zehn- oder Elfjähriger sagte: Ich kann mir überhaupt gar nicht vorstellen, jemals irgendwas anderes als die Beatles zu hören. Und da sagte er: Ja, warte mal ab, da kommt noch vieles mehr. Und als ich dann ein Jahr später …
Wuttke: Recht hatte er.
Jost: … ja, Ligeti für mich entdeckte, war das also wie weggeblasen, muss ich sagen.
Wuttke: Trotzdem haben Sie bestimmt einen Lieblingssong?
Jost: Ja, also diese ganzen psychedelischen, die mag ich sehr, aber jetzt in diesem Fall vielleicht "Strawberry Fields Forever".
Wuttke: 50 Jahre Beatles, dazu im Interview im Deutschlandradio Kultur der Komponist Christian Jost. Danke schön, und hier hören wir es.
Jost: Vielen Dank!