Ganz und gar nicht arbeitsscheu

Von Jörn Klare · 21.10.2007
Gut 20 Bau- und Zirkuswagen in allen Formen und Farben auf einem Stück ehemaligen Mauerstreifen am Rand von Berlin-Kreuzberg: Das Wagendorf Lohmühle ist seit über 15 Jahren ein wilde Idylle, eine Art kulturelles Biotop inmitten der Großstadt. Doch die Zukunft ist ungewiss: Ein Spekulant könnte kommen und alles zerstören.
Susanne K. (Name von der Redaktion geändert): "Viele Leute aus der Umgebung denken, wir sind nichtsnutzige Arbeitslose, die im Wagen wohnen, weil sie sonst obdachlos wären. Das ist auf keinen Fall so."

Sonntagmittag. Susanne K., den Tabak in der einen, die Blättchen in der anderen Hand im Kampf gegen die Vorurteile.

"Ich bin Eigenheimbesitzerin geworden ohne Bausparvertrag. Ich habe nur mal ein Jahr gespart, um mir zwei Zirkuswagen leisten zu können. Ich arbeite und habe schon Eigentum."

Susanne K., 30 Jahre alt(*), Sozialpädagogikdiplom mit Auszeichnung, sportlich schlank, T-Shirt, weite Tanzhose, diverse Piercings, diverse Tätowierungen, der Haarschnitt eigenwillig asymmetrisch.

"Ich bin Clown, Jongleur, Sozialarbeiterin und Pfandflaschensammlerin und momentan arbeite ich sehr viel als Jongleurin.

Also wir sind 20 Leute, quasi der Durchschnitt der Bevölkerung Das heißt hier wohnen Lehrer, Sozialarbeiter, Künstler, Arbeitslose, Heilpraktiker - alles."

Vor Susanne K.: Sträucher und Büsche, neben ihr ein Hund, hinter ihr: zwei miteinander verbundene dunkelbraune Zirkuswagen - Susanne K.s "Eigenheim", geschmückt mit einem selbstgemalten Transparent - "Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann". Ganz in der Nähe und auch weiter weg - noch mehr Wagen. Jeder in einer anderen Farbe, jeder mit anderen An- und Umbauten. 20 insgesamt. Dazwischen viel Grün: Kleine Bäume, große Sträucher, Blumen, Unkraut. Ein Platz fürs Lagerfeuer, verwitterte Holzskulpturen, irgendwo weht eine Piratenflagge.

Das Wagendorf Lohmühle, direkt auf dem ehemaligen Berliner Grenzstreifen zwischen Kreuzberg und Treptow, bzw. zwischen der Lohmühlenstraße und dem Landwehrkanal. Eine wilde Idylle inmitten der Großstadt, groß wie ein Fußballfeld, und laut Selbstauskunft auf der dorfeigenen Homepage "Gesamtkunstwerk, Spielwiese, Experimentierfeld, Lebensabschnittsbleibe, Paradies und Zuhause".

Susanne K.: "Das war schon immer die Idee, dass wir uns als Runddorf sehen. Das heißt, dass wir ziemlich viel Grünfläche haben und selber im Kreis leben und diese ganze Grünfläche auch nicht eng zubauen."

Der sandige Lohmühlen-Dorf-Platz unterhalb eines seit dem Zweiten Weltkrieg ungenutzten Bahndamms. Auf den ersten Blick: viel Müll, auf den zweiten: alles wird irgendwie gebraucht, genutzt, wiederverwertet. Auffallend: das "Kanzleramt" - eine halbrunde mit blauer Plane überspannte Stahlkonstruktion, maximal drei Meter hoch und gut 100 qm groß -Gemeinschaftszelt und Bühne. Gegenüber ein alter Anhänger als Tribüne. Ein paar Männer und Frauen verteilen Tische und Stühle aus einem kleinen Lagerschuppen. Der Dorfverein lädt heute zum "Cafe Elektrotasse".

Susanne K.: "Ich kann durchaus mit 170 Euro im Monat auskommen."

Susanne K. hat die Kippe fertig gedreht, lehnt sich zurück, genießt. Das Leben im Wagendorf ist für sie auch politisches Statement. Der Beitrag für Müllabfuhr und Straßenreinigung beträgt 13 Euro im Monat, für den gemeinsamen Verein "Kulturbanausen" sind es fünf Euro.

"Durch die geringen Nebenkosten, die ich habe und dadurch, dass ich die Abfälle der kapitalistischen Gesellschaft esse, sprich in Mülleimern rumwühle, wo abgelaufenes Essen liegt. Oder im Supermarkt werden ja Paprika weggeschmissen, wenn die nur eine kleine faule Stelle haben, wenn die durchaus noch essbar sind. Also dadurch, dass ich müllern und recyceln gehe und wir auch jede Woche, jeden Samstag beim Bioladen das etwas ältere Gemüse abholen können, brauche ich ziemlich wenig Geld zum Leben. Und das ist auch mein antikapitalistischer Anspruch."

Strom kommt aus der kleinen Solaranlage. Fließendes Wasser? Gibt es nicht. Für frische Wäsche geht es in den Waschsalon. Susanne K.s Blick - ein wenig gequält.

"Ja, das Wasser schleppen wir dann in Wassercontainern hierher. Ich habe einen 25 Liter-Kanister. Der reicht ungefähr für drei, vier Tage, was auch zur Folge hat, dass wir mit Duschen und Wäschewaschen außerhalb zehn Liter am Tag verbrauchen an Wasser, während ein Durchschnittsbundesbürger 130 Liter Wasser am Tag verbraucht. Wir haben auch diesen ökologischen Ansatz und das benutzte Wasser kippen wir dann in unsere Pflanzenkläranlagen."

Kleine Holzscheite. Lage für Lage. Langsam wächst der Stapel. Der nächste Winter kommt bestimmt.

"Ja, im Winter ist es manchmal sehr anstrengend. Ständig heizen, ständig heizen, ständig den Ofen anhalten, am Laufen halten, am Laufen halten, Holz organisieren. Wir verzichten auch überwiegend auf Braunkohle, weil das schlecht ist für die Umwelt und versuchen alles mit Holz zu machen oder mit Ökobriketts. Im Winter geht sehr viel Energie dafür drauf, Heizstoff zu besorgen und zudem laufen unsere Solaranlagen natürlich nicht auf Hochtouren im Winter - Licht ist überwiegend über Kerzenlicht. Das kann in einer ziemlichen Depression im Winter enden."

Ein Schluck aus der Wasserflasche, kurz den Rücken dehnen. Tief einatmen.

"Das Klo ist von meinem Wagen aus hier 50 Meter entfernt. Das ist natürlich auch sehr unangenehm hier im Winter. Also ich als Frau komme da manchmal an den Rand meiner Energie. Und ich weiß auch nicht, ob so ein Bauwagen durchzuhalten ist bis ins hohe Alter, weil wenn man einen nicht so sehr gut isolierten Bauwagen hat, also keine 1A-Qualität, dann kann es auch feucht werden und das geht schon auf die Knochen."

Die Katze schleicht heran, will gestreichelt werden. Der Nachbar tritt vor seiner Wagentür ins Sonnenlicht, streckt sich, reibt sich die Augen, kämmt sich mit den Fingern, lächelt.

Susanne K.: "Ich finde es unnötig, 40 Stunden in der Woche zu arbeiten und bin aber trotz alledem ein sehr aktiver Mensch. Also ich mache ganz viel Kulturarbeit, Projektarbeit auch in anderen Projekten. Ich bin kein arbeitsscheues Gesindel, wie das viele Leute sehen, sondern ich will einfach autonom und selbstständig arbeiten - ohne Chef."

"Cafe Elektrotasse" auf dem Dorfplatz - das sind sieben Tische und viele Stühle - in allen Farben, Formen, Größen, dazu eine mit alten Bastmatten überdachte Restholztheke. Im Angebot Biobrause, Ökobier, Ökoradler, Ökokaffee, selbstgebackener Kuchen zu fairen Preisen. Alle arbeiten ehrenamtlich. Überschüsse gehen in die Infrastruktur oder werden gespendet. Für die akustische Entspannung der ca. 30 Gäste mit Kindern und Hunden sorgt der Dorf-DJ. Der Dresscode eher alternativ als chic.

Zosch: "Am Anfang gab es hier harte Szenen mit Axtangriffen und Messerangriffen und so weiter."

In seinem Wagen: Jürgen Hans, genannt "Zosch", über die schwierige Selbstfindungsphase

"Vor 15 Jahren haben wir hier angefangen, das Wagendorf zu machen."

Zosch, vor 48 Jahren in Koblenz geboren. Gelernter Großhandelskaufmann, Dorfältester und inoffizieller Bürgermeister der Lohmüller. 1,80 groß, schlank, schwarz-graue Haare, schwarzes Hemd mit selbstgemalter Aufforderung "Stoppt die Waldrodung", schwarze Hose, schwarze Schnürstiefel. Die Haltung ein wenig gebeugt. Die Augen wach. An der Universität der Künste betreibt er ein kleines Café. Zu seinen Füßen ein alter Schäferhundmischling. Der Spitzname "Zosch" steht für das Geräusch, das beim Öffnen einer Bierdose entsteht und somit für die frühen - die wilden Jahre.

"Das Umfeld war völlig geschockt. Man muss auch dazu sagen, dass wir damals nicht den Stand hatten, den wir heute haben. Heute ist ja alles begrünt, die Wagen sehen relativ gut aus. Als wir hier angefangen haben, waren wir eine ziemliche Chaotentruppe - Aussteiger, Punks, Hippies - mit Schrottwägen."

Kleine Pause, versonnenes Lächeln. Zosch sucht Tabak.

"Wir haben damals noch nicht verstanden, dass die eigene Freiheit auch ihre Grenzen hat, wenn man die Freiheit des anderen nicht völlig erdrücken will. Das kam alles erst später. Na anfangs waren die Leute von der Optik völlig entsetzt. Die kannten das nicht. Hier war ja alte Ostbevölkerung, die hier saß. Viele waren sehr konservativ und sehr alte Bevölkerung und die hat erst mal mit großem Schock reagiert, als wir hier standen. Wir sind ja über Nacht quasi hier hingezogen von dem anderen Gelände mit 20 Wägen damals und es hat da ganz schön gekracht zwischen uns und den Anwohnern."

Das Wagendorf als Wagenburg. Rebellisch, unbeugsam, kompromisslos. Zumindest am Anfang.
Der Tabak ist gefunden, die Blättchen auch, die Zigarette schnell gedreht.

"Das Bezirksamt hat damals nicht gehandelt, weil das Bezirksamt mit sich selbst beschäftigt war. Die Verwaltung musste erst aufgebaut werden nach der Wende. Das war unser Glück, die hatten andere Sachen zu tun. Es gab Gerüchte, dass wir hier kleine Hunde grillen und so weiter, als wir hier ein Schwein gegrillt haben. So ein Ferkel. Also es waren die absurdesten Vorstellungen, weil sie uns eben nicht kannten und weil sie eben auch nicht zu uns gekommen sind. Das hat sich Im Laufe der Zeit alles verändert, erstens weil wir natürlich angefangen haben, auf die Nachbarn zu reagieren und gesagt haben: So können wir nicht weitermachen, sonst sind wir irgendwann weg von dem Platz. Irgendwann wird der Druck von Außen so groß, das sie uns von hier auch vertreiben werden - wir müssen also reagieren und auch etwas einsichtiger werden und haben dann auch angefangen bestimmte Regeln einzuführen und die Wildheit aus dem Projekt rauszunehmen."

Eine Platzordnung sorgt für minimalen Konsens. Keine zu laute Musik, keine harten Drogen, keinen Müll, an jedem Montag eine verbindliche Sitzung aller Dorfbewohner, festgelegte Tage, an denen alle gemeinsam für die Gemeinschaft arbeiten.

Das "Treptower Eck", eine Kiezkneipe in der Karl-Kunger-Straße, einen Steinwurf vom Wagendorf entfernt. Die beiden blinkenden Geldspielautomaten machen hier noch den freundlichsten Eindruck. Über die Nachbarn in den Bauwagen möchte sich niemand äußern.

Karin Stöckel: "Mir fielen diese komischen Wagen auf, wo ich das erste Mal hierher gezogen bin."

Vor der Kneipe - Karin Stöckel, 69 Jahre alt. Erinnerungen an die erste Begegnung vor zehn Jahren.

"Und das ist ja in unmittelbarer Nähe bei mir und da war ich erst ein bisschen skeptisch. Ich dachte, na, wenn das mal hier unruhig wird und so und wer weiß, was das für Typen sind."

Diese Irritation, sagt die freundliche, kleine Rentnerin mit dem dicken Dackel an der Leine, erlebt eigentlich jeder - bis heute.

"Wenn Fremde kommen und da spazieren gehen, die sind immer sehr verwundert über diese komischen Wohnwagen und über die Art und Weise, wie die Menschen da leben. Manche schütteln mit dem Kopf und können sich das gar nicht so vorstellen."

Zwei Hunde tanzen auf dem Dorfplatz. Die anderen bellen begeistert. Herr- und Frauchen bestaunen derweil ihre seltsamen, selbstgebauten Designentwürfe. Ein paar Väter halten ihre Babys auf dem Arm, ein paar Frauen fachsimplen über ihre mitgebrachten Digitalkameras. Vereinzelte schwere, süßliche Rauchschwaden. Ein extrem entspannter Sonntagnachmittag ganz und gar im Sinne der Kreuzberger Boheme.

Karin Stöckel: "Und dann fiel mir auch auf, dass da überhaupt nichts Böswilliges passiert ist - im Gegenteil."

Stöckl überprüft den perfekten Sitz der Kurzhaarfrisur. Mit den "wilden" Nachbarn hat sie sich längst arrangiert.

"Die passen da auf ihr Umfeld auf und da war auch nicht irgendwelcher Krach oder so, was ich erst gedacht habe, dass da so Hollidei gemacht wird und Ausschweifungen - überhaupt nicht. Und da war ich eigentlich sehr erfreut darüber. Und wenn mal Veranstaltungen stattfanden, wurden Zettel an die Haustüren geklebt, dass man da auch gerne hinkommen kann und wenn man sich belästigt fühlt, konnte man sich an einen Bestimmten wenden, wo der Name dann ausgedruckt war, aber ich habe da nie irgendwie was Schlechtes sagen können und war da eigentlich so einverstanden mit den Leuten."

Im Wagendorf: an einer alten Handpumpe holt sich ein Lohmüller mit großem Cowboyhut Wasser für seine Pflanzen.

Zosch: "Das ist ein Ostbauwagen mit einer Metallhaut, sonst wäre er wahrscheinlich zusammengekracht."

Zosch tief in seinem Sessel. Zu viel Trubel draußen. Er ist ja keine dreißig mehr. Lieber erklärt er sein Heim. Knapp 20 qm, und somit - so der Hausherr - "sehr groß". Vier Fenster, drei Stützbalken, voller Tisch, bequemer Sessel, großes Bett, eiserner Ofen. Ein paar Kisten mit Schallplatten und eine PA-Anlage zur Beschallung kleinerer Veranstaltungen. Am Boden dunkle Pressspanplatten, an der weißen Decke diverse Wasserflecken. Es ist dunkel, riecht nach Hund. An der Wagentür ein Schild "Reserviert für den Bürgermeister". Das haben ein paar Lohmüller beim Bezirksamt abmontiert, um damit ihren inoffiziellen zu ehren. Der streckt die Beine. Eine Sanierung könnte nicht schaden. Aber -

Zosch: "Ich bin handwerklich äußerst ungeschickt und ich fürchte, wenn ich das mache, dann wird es danach durchtropfen oder sonst was. Deswegen habe ich meine Finger davon gelassen."

Aufräumen? Eher selten.

"Bringt im Prinzip gar nichts, weil spätestens drei, vier Monate später sieht es genauso aus wie vorher und deshalb unterlasse ich das eigentlich mittlerweile, sondern greife nur dann ein, wenn ich der Meinung bin, das Chaos in meinem Wagen wächst mir über den Kopf und ich fühle mich hier drin nicht mehr wohl. Denn wird mal richtig aufgeräumt und alles durchgecleant. Und das war es dann aber auch wieder für zwei, drei Monate."

Regentropfen auf dem Wagendach.

"Wir haben Anfragen von Leuten, die hier hinziehen wollen, pro Plenum zwei, manchmal auch drei pro Plenum. Das heißt jeden Monat könnten wir hier eine komplett neue Wagenburg machen, so viele Anfragen und so viele Bewerber gibt es."

Zoschs Lächeln - ein klein wenig genügsam. Ein knappes Dutzend ähnlicher Plätze gibt es in ganz Berlin. Keiner so schön wieder dieser. In zwei Wagen können Gäste gegen eine freiwillige Spende übernachten.

"Im Prinzip sind fast alle Wagenburgen hier in Berlin dicht, die nehmen keinen mehr auf. Du kannst auch keinen neuen Platz mehr gründen. Das ist politisch nicht mehr durchsetzbar. Dass es überhaupt noch so eine Anzahl von Wagenburgen gibt, lag daran, dass nach dem Fall der Mauer dieser ehemalige Grenzstreifen zur Verfügung stand und die Wagenburgen logischerweise schneller waren als jeder Investor, der erst mal planen muss und so weiter. Und dann kam die Immobilienkrise dazu, dass es keine Investoren gab, die nach dem ersten Boom noch in Berlin finanzielle Mittel binden wollten - das hat uns dann auch noch mal so Überlebensmöglichkeiten gegeben. Die Phase neigt sich aber jetzt natürlich dem Ende entgegen und die Zahl der Wagenburgen wird sich in nächster Zeit natürlich reduzieren."

Die Zukunft? Schwieriges Thema. Es gibt zwar einen Vertrag mit dem Bezirk Treptow-Köpenick, doch der läuft nur noch wenige Jahre, enthält keine Option und ist zudem noch schwammig formuliert. Zosch streichelt seinen Hund. Der guckt müde.

"Da mittlerweile alle freien Gelände innerhalb des letzten Jahres hier verkauft sind in dieser Ecke ist es natürlich sehr wahrscheinlich, dass auch dieses Grundstück hier verkauft werden wird. Das ist nicht nur unser Problem sondern das ist generell das Problem der alternativen Szene, weil sie ein Gebäude und ein Grundstück nach dem nächsten verliert und nicht in der Lage ist, sich dort zu wehren."

Karin Stöckel: "Jetzt wohne ich ja schon ein bisschen länger hier und habe festgestellt, dass die viele kulturelle Veranstaltungen machen."

Der Dackel der kleinen freundlichen Rentnerin zieht an der Leine. Er will nach Hause.

"Zum Beispiel finden Jazzkonzerte statt, die ich jetzt dreimal besucht habe und ich bin daher begeistert und das ist Live-Konzert, nicht etwa Disko, sondern richtig live. Und jetzt findet wieder ein Open-Air-Kino statt am Freitag und da werde ich auch hingehen."

Ein Lächeln. Für die Rentnerin sind die Lohmüller eine Bereicherung.

"Da kam mal so ein Schreiben, wo man unterschreiben konnte, ob die Wagenburg weg sollte, oder bleiben und was man davon hält und ich habe mich für die Wagenburg positiv ausgesprochen und hab da auch unterschrieben."

Spange: "Ich habe mir das mal angeguckt bei Dir, du hast das ja nur unten drunter isoliert, in deinem Schlafbereich."

Fachgespräch zur Bauwagenisolierung gegen die kommenden Winterkälte. Ein freundlicher Neubewohner mit Rasta-Punk-Frisur erkundigt sich bei einem freundlichen Altbewohner mit wasserstoff-blondiertem Kurzhaar.

Spange: "Ich bin noch nicht ganz fertig, ja. Weil ich aufgehört gehabt, wie was ich dir geschildert habe, dass es dann irgendwann zu kalt und zu nass wurde und wo ich dann irgendwann einfach die Schnauze voll hatte. Und wo ich dann gesagt habe: Ok, dann hole ich mir andere zwei Decken. Scheiß auf Isolierung von unten."
Rasta-Punk: "Ich weiß ja nicht, wenn ich einen abgetrennten Raum habe, reicht das nicht, wenn ich den mache einfach?"
Spange: "Das zieht sich trotzdem durch, ne. Weil das ist so ein … weiß ich nicht, weil ich würde den Wagen ganz isolieren."
Rasta-Punk: "Einmal rund um?"
Spange: "Gerade die Kälte kommt von unten."
Rasta-Punk: "Echt, scheiße."

Spange: "Was reizt mich hier? ich habe irgendwann gesagt: Ich will mal im Bauwagen wohnen, habe das aber immer so vor mich hergeschoben und hab halt davon gehört, dass auf der Lohmühle was frei ist."

René Köhler, wegen einer schon längst abgeschlossenen Zahnregulierung von allen "Spange" genannt.

"Durch den Bauwagen, weil du weniger Platz hast, merkst du erst mal, was ist wirklich wichtig für Dich und was nicht. Und du siehst Sachen auch einfach ganz anders. Ich kann hier auf jeden Fall entspannen und ich fühle mich auf jeden Fall das erste Mal zu Hause, wenn ich nach Hause komme."

Spange, 32 Jahre alt, gelernter Tischler, schlank, Punkmusiker mit vielen, großen, bunten Tätowierungen, selbständiger T-Shirt-Drucker und Lohmüller seit 1 1/2 Jahren. Für seinen Bauwagen - hat er incl. holzfressender Bockkäfer - 300 Euro bezahlt.

"Was stellst du für Erwartungen an dein Leben und was für einen Luxus willst du haben? Also ich brauche zum Beispiel keinen Fernseher. Ich habe auch früher keinen Fernseher gehabt."

Die grundsätzlichen Fragen inmitten seiner Kakteensammlung inmitten seines wilden Gartens. Auf was kann man verzichten? Auf fließendes, vielleicht sogar warmes Wasser?

"OK - (lacht) das ist ein wunder Punkt. Na klar, im Sommer ist das ja kein Problem - kann man sich schön draußen waschen und duschen. Wir duschen hier ja auch alle nur mit Heilerde - habe ich auch am Anfang gedacht: Oh, was für ein Scheiß! Sich jetzt hier auch noch mit Schlamm einreiben. Aber mittlerweile habe ich festgestellt, weil ich auch eine ziemlich empfindliche Haut habe, dass meine Haut mit der Heilerde wesentlich besser klarkommt als auf reine ätherische Ölseife, die ich mir vorher sonst aus dem Bioladen oder in der Apotheke gekauft habe."

Spange hat Glück. Die aus Holzresten zusammengestückelte Dusche unter freiem Himmel steht fast direkt neben seinem Wagen, das Plumpsklo mit Sickergrube nur ein wenig weiter. Die kurzen Wege machen den Alltag ein wenig bequemer. Aber für die Dusche unterm Sternenhimmel ist es ab dem Spätherbst definitiv zu kalt.

"Du kriegst halt deine Tricks raus und du bist halt auch nicht mehr so verweichlicht."

Das Wagendorf - ein friedliches Paradies für Hartgesottene? Zumindest fast. Spanges Stirn - in Falten.

"Gestern nacht habe ich das auch hier gehabt. Da ist einer oben lang gerannt und hat irgendwas von 'deutschen Kanaken und unter dem Führer wäre das nicht passiert' und so, wo man dann überlegt so ... mhm ... ob wir jetzt nun gemeint sind oder nicht. Das ist natürlich schon ein bisschen gefährlich, hier im Wagen zu leben. Gerade bei so einem Idioten, weil so ein Bauwagen brennt natürlich mal schneller ab als eine Wohnung. Und so was ist in Hamburg auch schon viel passiert, das so Neonazis angekommen sind und die Dinger angezündet haben."

Ein paar Meter weiter. Ein halbeingegrabenes Ruderboot im Schatten eines Ahornbaumes, dazu ein Sandhaufen, eine alte Schiffsschaukel, eine kleine Plastikrutsche, viele altes Holz - der Spielplatz für die kleinen Besucher aus der Nachbarschaft.

Spange: "Das ist also auch mit Solar betrieben, wie fast alles hier."

Ein weiteres Highlight, Stolz des Dorfes - der Kühlraum. Zwei Meter unter der Erde - das bedeutet konstante acht Grad Celsius über das ganze Jahr

Spange: "Dann hast du hier den zweiten Raum, wo wir hauptsächlich natürlich Getränke lagern, aber halt auch - wir kriegen ja auch vom Bioladen am Samstag dann auch immer die Sachen, die übrig bleiben, die am Wochenende sonst schlecht werden würden. Also jetzt, wie ich sehe, haben wir ganz viele Zwiebeln gekriegt. 30 Kilo Zwiebeln, damit kann man schön Zwiebelsuppe machen."

Zurück an die frische Luft. Das Café geschlossen, der Platz leer, das Dorf ruhig. In den Bäumen leichter Wind, am Himmel die Sterne. Spange saugt frische Luft, genießt.

"Es kommt mal vor, dass ich drei oder vier Tage keine Arbeit habe und dass ich mir dann auch mal ein bisschen die Auszeit nehme und ein bisschen mehr auf dem Platz bin und dann nach diesen drei, vier Tagen wieder in ein Gebäude zu gehen - das ist ein ganz komisches Gefühl. Also, beim allerersten Mal - OK, ich gehe lieber noch mal raus und noch 'ne Zigarette irgendwie, weil man ist dann in so einem engen Raum, hat wenig Volumen um sich rum. Das ist schon komisch. Also ich möchte das eigentlich nicht mehr."
----------
(*) Der Text weicht an dieser Stelle von der gesendeten Fassung ab.