Ganz traditionelle Stiesel

Schade eigentlich: Fast alle Szenen, Fakten und Argumentationen in Bönts Buch sind Plots aus einseitigem Blick, Auslassungen und apodiktischer Behauptung. Und so konterkarieren sie das erklärte Ziel des Autors: Eine neue, positive „Mannesehre“.
Ein Manifest schreibt man, um etwas schnell schlagkräftig publik zu machen. Was agitieren soll, darf, ja: muss Unschärfen haben, um zu möglichst viel Identifikation zu reizen. Viel ist gesagt worden zu Ralf Bönts „Manifest für den Mann“. Er selbst wirbt multimedial weiter, wie notwendig es ist: Alles, was Olympe de Gouges 1791 forderte, „Ebenbürtigkeit, Freiheit, Eigentum, Sicherheit, das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung, auf freie Meinung und das Kundtun einer Vaterschaft“ sei heute „vollständig durchgesetzt“ und „die Geschlechterdebatte an einem scheinbar toten Punkt“. Das ist zwar so drolliger Unfug wie die Behauptung, über moderne Männlichkeit sei praktisch nie geredet worden, also guter Stoff für Zoff über Thesen. Aber Bönt ist Schriftsteller, kein Politiker, und verdient den Blick darauf, wie er eigentlich schreibt.

Zum Auftakt erklingt der Jammerton A: Ein Mann mit Aktenkoffer und kleinem Mädchen an der Hand kommt auf einen Spielplatz. Auf Spielplätzen sitzen zumeist Frauen und passen auf. Spielplätze sind bekanntlich Tatorte für Sexualstraftäter. Sexualstraftäter sind zumeist Männer. Zweimal fasst der Mann dem kleinen Mädchen unter den Rock. Beim zweiten Mal ruft eine Frau die Polizei. So die Szenerie, rein faktisch und unparteiisch gesehen. Bönt ist aber nicht nur programmatisch parteiisch, er ist als Erzähler auch Profi im Erzeugen von Emotion durch Inszenierung von Fakten. Sein Plot führt den Mann als Freund ein, damit ist er als vertrauenswürdig geadelt. Er ist auch ein guter berufstätiger Vater, denn er hat seine vierjährige Tochter vom Kindergarten abgeholt. Die Kleine spielt fröhlich im Sand, er zieht ihr zweimal die Strumpfhose zurecht. Erst „böse Blicke“ von den Frauen, dann ein „empörter“ Anruf bei der Polizei. Und der Mann muss doch tatsächlich sein Vatersein nachweisen! Emotionales Fazit: Hysterische Weiber hetzen Prachtmann Staatsgewalt auf den Hals!

Man könnte das ganz anders plotten. Dass es um Vater und Tochter geht, steht nicht dran. Und selbst wenn, gerade vor Vätern sind Töchter nicht unbedingt sicher. Warum hat er sich nicht mit ein paar Frauen bekannt gemacht, Vertrauen geschaffen? Hat er kein Gespür für den Ort? Keine Ahnung von dem, was mancher Geschlechtsgenosse da so anrichtet? Offenbar so wenig wie sein Freund, der Autor. Nur, dann sind beide gerade keine guten neuen Männer. Dann gehen sie, ganz traditionelle Stiesel, davon aus, dass die Welt sich gemäß ihrer Vorstellung dreht, und sind beleidigt über autonome Drehmomente.

Nur ein winziges Beispiel, zugegeben, aber das dramaturgische Muster des ganzen Buchs. Fast alle Szenen, Fakten, Argumentationen sind Plots aus einseitigem Blick, Auslassungen und apodiktischer Behauptung. Und so konterkarieren sie gerade Bönts erklärtes Ziel: Eine neue, positive Mannesehre, für die Männer endlich selbst sorgen. Das ist überfällig und allen Jubel wert, auch weil die Ehre der Männer noch immer zumeist „ihren“ Frauen obliegt. Aber vielleicht kann Ralf Bönt andere Männer agitieren, die Sache richtig in die Hand zunehmen, und ihr mit den Mitteln der Fiktion mehr Kraft einhauchen.

Besprochen von Pieke Biermann

Ralf Bönt: Das entehrte Geschlecht
Ein notwendiges Manifest für den Mann
Pantheon Verlag 2012
157 Seiten, Paperback, 12,99 Euro