"Ganz oben steht für mich der Kampf für die Demokratie"

Gunnar Sönsteby im Gespräch mit Ulrike Timm |
Er spüre überall die Notwendigkeit zu beraten und zu erzählen, was damals gewesen sei, sagt Gunnar Sönsteby, der im Zweiten Weltkrieg die Oslo-Bande, den norwegischen Widerstand gegen die deutschen Besatzer, leitete. Der Interesse habe nach dem aktuellen Film "Max Manus" über die Oslo-Bande noch zugenommen.
Ulrike Timm: "Sie haben mein Land gestohlen -– und ich will es zurück". In Norwegen kennt fast jedes Kind Max Manus, den Widerstandskämpfer gegen die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg. Ein Kinofilm, der jetzt auch bei uns angelaufen ist, beschreibt sein Leben und die waghalsigen Aktionen der Oslo-Bande, die zum Beispiel spektakulär das große deutsche Kriegsschiff "Donau" im Hafen von Oslo sprengte. Widerstand durch Sabotage, das war das Ziel. Und wenn der 1996 verstorbene Max Manus für hochgefährliche Aktionen stand, so war der Stratege, der Kopf der Oslo-Bande Gunnar Sönsteby. Er ist mittlerweile ehrwürdige 92 Jahre alt, der meist ausgezeichnete Bürger von Norwegen und als Zeitzeuge für den norwegischen Widerstand nicht nur im Zusammenhang mit dem neuen Kinofilm ein gefragter Gast. Gunnar Sönsteby, herzlich Willkommen!

Gunnar Sönsteby: Thank you very much!

Timm: Welcome and Vellkommen till oss. "Max Manus" ist der wohl erfolgreichste norwegische Film wahrscheinlich aller Zeiten. Über eine Million Norweger haben ihn gesehen, das ist jeder Vierte – man stelle sich vor, 20 Millionen Deutsche sehen den gleichen Film. Herr Sönsteby, hat sich da die ganze Nation zu einer späten Geschichtsstunde im Kino versammelt?

Sönsteby: Ja. Ich habe gehört, dass dieser Film in verschiedenen Ländern sehr guten Anklang gefunden hat und gut aufgenommen worden ist. Ich war an der Produktion ja nicht beteiligt, aber als ich ihn dann sah, stellte ich fest, dass ist doch ein realistisches Bild von den Geschehnissen damals. Wenn man darüber schreibt oder liest, kann man eigentlich nicht so richtig buchstäblich wissen, wie es war, aber dieser Film gibt einem wirklich ein zutreffendes Bild. Und es war wirklich schlimm, es waren schreckliche Zeiten.

Timm: Was waren denn die größten, die wichtigsten Aktionen der Oslo-Bande im Widerstand gegen die deutschen Besatzer?

Sönsteby: Wir haben sehr viele Aktionen in Oslo durchgeführt, dann haben wir uns besonders auch auf die Verkehrsinfrastruktur geworfen. Deutschland versuchte damals ja, Land zurückzuerobern und hat 350.000 Mann zusammengezogen. Wir haben damals, 1944, vor allem die Eisenbahnlinien angegriffen, um zu verhindern, dass die Deutschen ihre Lapplandarmeen von Norden zurück in den Süden holen würden, um eben dort zu kämpfen.

Timm: Und Sie haben den Deutschen den Nachschub abgeschnitten, zum Beispiel durch die Sprengung dieses Kriegsschiffs "Donau", dadurch hatten Sie aber gleichzeitig die Deutschen, die Sie loswerden wollten, länger im Land. Dieses Kriegsschiff sollte die Westfront verstärken und gleichzeitig haben Sie sie ja natürlich länger im Land behalten durch solche Aktionen. Was hat das bedeutet?

Sönsteby: Das stimmt, was Sie da sagen. Ich traf Max Manus damals im Jahr 1940, wir waren übrigens Nachbarn, ohne dies zu wissen. Nach dem 9. April, dem Tag der Besetzung Norwegens trafen wir uns, und die Deutschen fingen sofort nach der Besetzung mit einer massiven Propaganda an. Sie hatten einige ihrer Leute in Storting im norwegischen Parlament, und sie fingen an, alle Zeitungen zu zensieren. Es gab keine unzensierten Zeitungen mehr. Manus und ich haben also insgeheim dann unzensierte geheime Zeitungen herausgebracht und verbreitet. Es gab ein Verbot, Radiogeräte zu besitzen, die Deutschen hatten das verboten. Fünf Prozent der Bevölkerung hatten aber ihr Radio behalten. Man hörte dann den Nachrichten aus London zu, den Weltnachrichten, jeden Abend um 7:30 Uhr. Wir hatten auch eine Schreibmaschine, da haben wir dann die Nachrichten getippt und an etwa 100 Zuhörer in Oslo geheim weiterverbracht. Natürlich setzte sich die Gestapo recht bald auf unsere Spur und versuchte das zu unterbrechen.

Timm: Sie haben bis zu 40 Decknamen gehabt auf der Flucht vor der Gestapo. Wie viel Unterstützung hatten Sie denn von der Bevölkerung? Es herrschte ja große Angst in Norwegen.

Sönsteby: Ich spürte eine starke Unterstützung durch die norwegische Bevölkerung. Was wir damals spürten, war doch, dass 95 Prozent der norwegischen Bevölkerung hinter uns stand. Diejenigen, die die Nazis unterstützten bei den Schweden, dass waren zwei, drei Prozent.

Timm: Also die Herrschaft über die Köpfe hatten die Deutschen nie, auch wenn sie versucht haben, die Norweger einzubinden durch Kollaboration, die es ja auch gab?

Sönsteby: Also die Herrschaft über die Köpfe haben die Deutschen nie errungen. Wir waren uns doch recht einig, da gegen die Besatzung zu bekämpfen.

Timm: Das war ja unglaublich gefährlich, diese Aktionen, und es durften nur wenige davon wissen, denn die Nazis drohten ja sofort mit Sippenhaft, wenn etwas bekannt wurde. Wie haben Sie denn entschieden, wem Sie zutrauen, etwas zu tun, und wer verschwiegen und belastbar genug war und wo Sie lieber sagten, ich bin vorsichtig, ich sage nichts, um einen Menschen auch nicht zu gefährden im Widerstand?

Sönsteby: Ich habe vor allem versucht, Kontakte zu den Alliierten herzustellen. Dabei half mir, dass unser Nachbarland Schweden neutral war. Wenn Schweden nicht neutral geblieben wäre, dann wären wir wirklich in größte Schwierigkeiten geraten. Aber so konnte ich in Schweden Kontakte zu den Briten aufnehmen, auch zu den anderen alliierten Truppen, und diese Kontakte waren außerordentlich wichtig, um den Kampf gegen die deutsche Besatzung voranzutreiben. Von dort bin ich dann auch nach London geflogen, im Jahre 1943. Es gab zwei Kurierflugzeuge von Stockholm aus, das eine flog nach London, das andere nach Berlin. Ich habe das nach London genommen.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Wir sprechen mit Gunnar Sönsteby, er leitete im Zweiten Weltkrieg die Oslo-Bande, den norwegischen Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Herr Sönsteby, wie sehr haben denn diese Erfahrungen im Widerstand Ihr weiteres Leben und auch Ihr Menschenbild geprägt?

Sönsteby: Ja, ich finde es notwendig. – Ich ziehe durch die Schulen, jeder, der mich hören will, kann dies tun. Ich dränge mich niemandem auf, aber ich komme viel herum, nach Südnorwegen, Nordnorwegen. Überall spüre ich diese Notwendigkeit zu beraten und zu erzählen, was damals gewesen ist. Ganz oben steht für mich der Kampf für die Demokratie und gegen Diktatur. Ich glaube, das ist wirklich das Entscheidende: für die Demokratie einzustehen.

Timm: Herr Sönsteby, mit den Erfahrungen dieser Zeit, was ist für Sie Mut?

Sönsteby: Man muss seine Aufgabe erledigen. Wenn man eine Aufgabe hat, dann führt man die aus. Das ist meine Auffassung. Wenn man einen Befehl bekommt, dann gehorcht man, und wenn man eben einen Auftrag hat, dann versucht man, den so gut wie möglich auszuführen. Das ist es.

Timm: Wer heute in Norwegen ist, der kann erleben, wie herzlich Norweger und Deutsche miteinander umgehen – die jüngere Generation. Aber wie ist das bei den Älteren, wie ist es zum Beispiel für Sie, wenn Sie heute die deutsche Sprache hören?

Sönsteby: Ich habe mich sehr gefreut, bereits im Jahr 1950 nach Deutschland entsandt zu werden. Es ging darum, eine Papierhandelsvertretung aufzubauen. Nach dem Krieg hatte ich ja ein Jahr in den USA in Harvard verbracht und danach bekam ich eben den Auftrag, eine Art Agentur für den Papierhandel aufzubauen. Hamburg lag ja damals noch in Schutt und Asche, dennoch haben wir angefangen. Ich habe ein Netz von Agenten aufgebaut, keine Geheimagenten, sondern Handelsvertreter. Ich hatte gute Beziehungen mit den Kunden, auch mit den Konkurrenten. Ich kannte ganz gut die Leute vom "Spiegel", ich traf Augstein einmal, ich bin auch mit Willy Brandt zusammengetroffen einmal, wir haben Bücher ausgetauscht. Also die Kontakte waren sehr gut, die ich hatte.

Timm: Aber wie lang hat diese Versöhnlichkeit innerlich gedauert? Die Deutschen waren Feinde, Sie haben erbittert und engagiert gegen sie gekämpft.

Sönsteby: Ich spürte, wir mussten jetzt Deutschland wieder aufbauen. Ich hatte keine Feinde, der Krieg war vorbei.

Timm: Was ist aus Max Manus geworden, sind Sie Freunde geblieben, auch nach dem Krieg?

Sönsteby: Ah ja, wir waren die besten Freunde. – Wir trafen uns oft, wir sprachen über die Kriegsgeschehnisse, was wir vielleicht anders hätten machen können, aber wir sind immer dicke Freunde geblieben.

Timm: Max Manus ist später Geschäftsmann geworden und er hat ganz bewusst auch Mitarbeiter gehabt, die mit den Deutschen kollaboriert haben. Warum?

Sönsteby: Ja, warum nicht? – Das Leben musste weitergehen. Max und ich, wir waren uns darin einig, wir mussten diese Leute auch mit einbeziehen. Wenn Sie sich in Norwegen umschauen, werden Sie ganz wenig Hass feststellen. Das Wort Hass spielt eine ganz geringe Rolle für die Norweger.

Timm: Den Film über den norwegischen Widerstand gegen die deutschen Besatzer haben mehr als eine Million Norweger gesehen, auch viele junge. Spüren Sie da ein großes Interesse für Ihre Geschichte, gerade bei jungen Leuten in Norwegen?

Sönsteby: Ja, mehr und mehr. – Ja, zunehmend interessieren sich die Leute dafür. Ich bekomme 10, 20, 40 E-Mails von den Menschen, die den Film gesehen haben. Oft überfordert mich das, ich kann gar nicht damit umgehen, ich versuche, so gut es mir gelingt, darauf zu antworten. Aber das Beste ist wohl rumzuziehen im Lande, mit den Leuten zu sprechen, zu erzählen. Und noch einmal: Das Wichtigste ist für mich Demokratie.

Timm: Gunnar Sönsteby, ich bewundere Sie! Tusen Takk.

Sönsteby: Thank you very much!

Timm: Gunnar Sönsteby war das, ehrwürdige 92 Jahre alt, der am meisten ausgezeichnete Bürger von Norwegen, ein Zeitzeuge des norwegischen Widerstands gegen die deutschen Besatzer und Kopf der Oslo-Bande damals.
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