Ganz nackt in der Gesamtskulptur
Die "Masse Mensch" ist der Stoff, aus dem Spencer Tunick seine Kunstwerke formt. Per Megafon kommandiert er die Modelle, türmt ihre Leiber in Kaufhäusern, vor Restaurants oder auf öffentlichen Plätzen zu abstrakten Körperskulpturen auf. Nun ist der Installationskünstler erstmals in Deutschland: 1000 Freiwillige wollte das Düsseldorfer Museum Kunst Palast am Sonntag an den Rhein locken.
Absperrgitter und rot-weißes Trassierband am Düsseldorfer Ehrenhof und im benachbarten Hofgarten setzen im Morgengrauen zwar nicht der Scham, aber dem Auslauf von tausend Nackten enge Grenzen, halten andererseits die aufdringlichen Kamerateams zurück. Deren Konkurrenz nämlich kann Spencer Tunick überhaupt nicht gebrauchen. Denn es geht bei den Massenchoreographien des 40-jährigen Fotografen um penibel eingerichtete Installationen, nicht um eine spontane Performance. Anfangs ruft der schwarzgekleidete Fleischbeschauer seinen Modellen zu "Ihr seid die Künstler", aber in Wahrheit gibt der Mann dort oben auf der Hubbühne per Megaphon die Kommandos.
Auf Tuch-, respektive Hautfühlung stehen die Freiwilligen stumm Spalier, legen sich folgsam auf den Rücken, bilden akkurate Rabatten aus Menschenfleisch neben den Parkwegen. Später darf sich der eine oder andere über die amorphe Masse erheben, wird mit schlaff herabhängenden Armen und Beinen in den Baumgabeln des Hofgartens drapiert. Vor allem aber betätigt sich Tunick inmitten der abweisenden kalten Monumentalarchitektur des Ehrenhofs erstmals als Hochstapler, türmt Hunderte von Leibern auf einem pyramidenförmigen Podest über vier Meter empor. Seine bisherigen Massenaufläufe, so Kurator Mattijs Visser, fand Tunick auf Dauer zu flach:
"So kam er auf seine Idee, ein Vertikalwerk zu schaffen statt horizontal. Auch daran denkend, dass es ganz schwierig war, etwas in Deutschland zu machen. Seine früheren Fotos waren schwarzweiß, auf der Straße lagen da zweihundert, dreihundert Mann, und das sah fast aus wie ein KZ-Lager kurz nach dem Zweiten Weltkrieg."
In Düsseldorf nun erinnern weniger die frisch entkleideten und fröstelnden Tunick-Komparsen an das menschenverachtende Dritte Reich als vielmehr eine monumentale Nackte oben auf dem Dach des Ehrenhofs. Arno Breker, der von Hitler so geschätzte Bildhauer, hat die Skulptur Anfang der Dreißiger geschaffen:
"Auf dem Dach haben wir eine liegende Frau, eine Aurora von Arno Breker. Und Tunick möchte gerne darauf reagieren. Also werden die 1000 Leute sich in bestimmten Haltungen hinlegen. Kann sein, dass es eine Haltung wird, die reagiert auf diese liegende Dame auf dem Dach."
So vermutete der Kurator am frühen Morgen und, als sich Stunden später die Rheinnebel gelichtet hatten, bejubelte Pressesprecher Bert Kaufmann Tunicks Sieg über Hitlers Leibbildhauer Breker:
"Was er macht, ist das genaue Gegenteil: es ist kein Schönheitsideal, es ist kein genormter Mensch, es ist nicht dieses Überidealistischem, also ein ganz sichtbarer Bruch."
Dass da jung und alt, dick und dünn nach jeweils einem kollektiven Steh- und Liegeakt nun gemeinsam mit dem rechten Arm in der Morgenluft herumrudern durften, ließ wenigstens auf den Schwung einer La-Ola-Welle hoffen, hatte aber nicht einmal deren geistigen Nährwert: Vom künstlerischen Duell mit Breker ahnte kaum einer der entblößten Komparsen etwas oder wollte nichts davon wissen:
"Es sagt mir gar nichts, was es mir ausmachen sollte. Ich halte nicht davon, Kunstwerke zu diskreditieren, unabhängig von ihrer Qualität, nur weil der Künstler sich da einmal vergangen hat."
Tunick selbst brachte gegen Nazi-Ästhetik und totalitären Körperkult sein Patentrezept von einer "Explosion des Lebens" in Stellung:
"Diese Aktion ist vielleicht heilsam, auch wenn niemand das schreckliche Zerrbild Holocaust vergessen kann. Nackte Körper sollten nicht nur den Tod repräsentieren, sondern auch Abstraktionen oder organische Formen, die die Umwelt erfassen und dadurch neue Bedeutungen hervorbringen."
Diese neue Bedeutung aber erschloss sich kaum jemandem, weder den versprengten Zaungästen noch dem Pressepulk und erst recht nicht Tunicks Nackten, die mit geschlossenen Augen auf master’s voice hörten:
"Ich hab da irgendwie immer nachgemacht, was meine Nebenleute gemacht haben, und damit war ich schon auf der richtigen Schiene."
Eben aus diesem instinktiven Reflex der Herdentiere entsteht der fatale Eindruck eines anonymen, entseelten Ornaments der Masse. Auf Zuruf von Tunick sinken die Menschen hin wie vom Blitz gefällt, können sich in diesem Gewirr und Geschlinge der Körper nicht einmal eine halbwegs individuelle Position suchen. Der Körperkünstler aber setzt gegen diese kleinliche Kritik seine große Vision der Schönheit:
"Schönheit ist Güte, ein friedvoller Mensch, der anderen nichts zuleide tut, kein Krieg, Schönheit ist die kostbare Humanität des nackten Körpers."
Das hört sich dem Ideal eines selbstbestimmten Renaissance-Menschen an, aber auch dieser Anschein von Individualität hat in dem zum großformatigen Lichtbild erstarrten Menschenpark keine Chance - wie die meisten Körperschausteller sehr wohl wissen:]
"Das war mir klar, dass Gesichter überhaupt keine Rolle zu spielen. Ich bin ja auch nicht hergekommen, um eine Aktfotografie machen zu lassen, sondern Teil des Ganzen zu sein."
Genau so möchte der Meister seine Mimen haben, als Werkzeuge seines missionarisch eifernden Formwillens:
"Sie entkleiden sich, nehmen Position ein, bilden eine abstrakte Form. Meine besten Arbeiten sind Ströme von Fleisch, kaum zu sagen, wo da ein Körper endet und der nächste anfängt."
Hilft also alles nichts: Die Frage, warum sich nun auch in Deutschland einige hundert Zeitgenossen diesem banalen Exerzitium unterwerfen, können nur die Nackten selbst beantworten:
"Was ich klasse fand, dass der ganz normale Mensch mit seinen Speckröllchen in den Mittelpunkt von Kunst gesetzt wird. Also im Gegensatz zu überkandidelten Schönheitsidealen der Werbung. Wir haben also zwei Nacktkulturen gegeneinander."
Master Tunick selbst ergreift in diesem Kampf zweier Kulturen wohlweislich keine Partei, denn seine Körperinstallationen lassen sich lukrativ und werbewirksam einsetzen: Hunderte nackter Gestalten waren in seinem Auftrag, und selbstverständlich unentgeltlich, zum Saisonstart im Londoner Kaufhaus Selfridges unterwegs, auch der Kunstkrösus Saatchi eröffnete seine neue Sammlung mit einer Tunick-Session. Der deutsche Nacktkulturschaffende aber hofft inständig:
"Dass man in so einer Gesamtskulptur aufgeht. Ich glaube, dass das so eine Schnittstelle im Menschen ist, sich in solch einer Gesamtskulptur aufgehen zu lassen. Unabhängig davon, wie die nun strukturiert ist: ob es um Kunst geht oder um Politik. Also, ich kenne dieses Gefühl von früher von Demos, das ist ein bisschen ähnlich."
Da scheint sich also doch mehr ereignet zu haben als nur ein Veteranentreffen der pudelnackten "Blitzer" von einst. Aber wenn auch weiterhin ein Hauch von Mysterium den Körperinstallateur umweht, lässt sich doch eines mit Gewissheit sagen: Für die Kunst haben die Massen im Düsseldorfer Ehrenhof ihre Haut vergeblich zu Markt getragen.
Auf Tuch-, respektive Hautfühlung stehen die Freiwilligen stumm Spalier, legen sich folgsam auf den Rücken, bilden akkurate Rabatten aus Menschenfleisch neben den Parkwegen. Später darf sich der eine oder andere über die amorphe Masse erheben, wird mit schlaff herabhängenden Armen und Beinen in den Baumgabeln des Hofgartens drapiert. Vor allem aber betätigt sich Tunick inmitten der abweisenden kalten Monumentalarchitektur des Ehrenhofs erstmals als Hochstapler, türmt Hunderte von Leibern auf einem pyramidenförmigen Podest über vier Meter empor. Seine bisherigen Massenaufläufe, so Kurator Mattijs Visser, fand Tunick auf Dauer zu flach:
"So kam er auf seine Idee, ein Vertikalwerk zu schaffen statt horizontal. Auch daran denkend, dass es ganz schwierig war, etwas in Deutschland zu machen. Seine früheren Fotos waren schwarzweiß, auf der Straße lagen da zweihundert, dreihundert Mann, und das sah fast aus wie ein KZ-Lager kurz nach dem Zweiten Weltkrieg."
In Düsseldorf nun erinnern weniger die frisch entkleideten und fröstelnden Tunick-Komparsen an das menschenverachtende Dritte Reich als vielmehr eine monumentale Nackte oben auf dem Dach des Ehrenhofs. Arno Breker, der von Hitler so geschätzte Bildhauer, hat die Skulptur Anfang der Dreißiger geschaffen:
"Auf dem Dach haben wir eine liegende Frau, eine Aurora von Arno Breker. Und Tunick möchte gerne darauf reagieren. Also werden die 1000 Leute sich in bestimmten Haltungen hinlegen. Kann sein, dass es eine Haltung wird, die reagiert auf diese liegende Dame auf dem Dach."
So vermutete der Kurator am frühen Morgen und, als sich Stunden später die Rheinnebel gelichtet hatten, bejubelte Pressesprecher Bert Kaufmann Tunicks Sieg über Hitlers Leibbildhauer Breker:
"Was er macht, ist das genaue Gegenteil: es ist kein Schönheitsideal, es ist kein genormter Mensch, es ist nicht dieses Überidealistischem, also ein ganz sichtbarer Bruch."
Dass da jung und alt, dick und dünn nach jeweils einem kollektiven Steh- und Liegeakt nun gemeinsam mit dem rechten Arm in der Morgenluft herumrudern durften, ließ wenigstens auf den Schwung einer La-Ola-Welle hoffen, hatte aber nicht einmal deren geistigen Nährwert: Vom künstlerischen Duell mit Breker ahnte kaum einer der entblößten Komparsen etwas oder wollte nichts davon wissen:
"Es sagt mir gar nichts, was es mir ausmachen sollte. Ich halte nicht davon, Kunstwerke zu diskreditieren, unabhängig von ihrer Qualität, nur weil der Künstler sich da einmal vergangen hat."
Tunick selbst brachte gegen Nazi-Ästhetik und totalitären Körperkult sein Patentrezept von einer "Explosion des Lebens" in Stellung:
"Diese Aktion ist vielleicht heilsam, auch wenn niemand das schreckliche Zerrbild Holocaust vergessen kann. Nackte Körper sollten nicht nur den Tod repräsentieren, sondern auch Abstraktionen oder organische Formen, die die Umwelt erfassen und dadurch neue Bedeutungen hervorbringen."
Diese neue Bedeutung aber erschloss sich kaum jemandem, weder den versprengten Zaungästen noch dem Pressepulk und erst recht nicht Tunicks Nackten, die mit geschlossenen Augen auf master’s voice hörten:
"Ich hab da irgendwie immer nachgemacht, was meine Nebenleute gemacht haben, und damit war ich schon auf der richtigen Schiene."
Eben aus diesem instinktiven Reflex der Herdentiere entsteht der fatale Eindruck eines anonymen, entseelten Ornaments der Masse. Auf Zuruf von Tunick sinken die Menschen hin wie vom Blitz gefällt, können sich in diesem Gewirr und Geschlinge der Körper nicht einmal eine halbwegs individuelle Position suchen. Der Körperkünstler aber setzt gegen diese kleinliche Kritik seine große Vision der Schönheit:
"Schönheit ist Güte, ein friedvoller Mensch, der anderen nichts zuleide tut, kein Krieg, Schönheit ist die kostbare Humanität des nackten Körpers."
Das hört sich dem Ideal eines selbstbestimmten Renaissance-Menschen an, aber auch dieser Anschein von Individualität hat in dem zum großformatigen Lichtbild erstarrten Menschenpark keine Chance - wie die meisten Körperschausteller sehr wohl wissen:]
"Das war mir klar, dass Gesichter überhaupt keine Rolle zu spielen. Ich bin ja auch nicht hergekommen, um eine Aktfotografie machen zu lassen, sondern Teil des Ganzen zu sein."
Genau so möchte der Meister seine Mimen haben, als Werkzeuge seines missionarisch eifernden Formwillens:
"Sie entkleiden sich, nehmen Position ein, bilden eine abstrakte Form. Meine besten Arbeiten sind Ströme von Fleisch, kaum zu sagen, wo da ein Körper endet und der nächste anfängt."
Hilft also alles nichts: Die Frage, warum sich nun auch in Deutschland einige hundert Zeitgenossen diesem banalen Exerzitium unterwerfen, können nur die Nackten selbst beantworten:
"Was ich klasse fand, dass der ganz normale Mensch mit seinen Speckröllchen in den Mittelpunkt von Kunst gesetzt wird. Also im Gegensatz zu überkandidelten Schönheitsidealen der Werbung. Wir haben also zwei Nacktkulturen gegeneinander."
Master Tunick selbst ergreift in diesem Kampf zweier Kulturen wohlweislich keine Partei, denn seine Körperinstallationen lassen sich lukrativ und werbewirksam einsetzen: Hunderte nackter Gestalten waren in seinem Auftrag, und selbstverständlich unentgeltlich, zum Saisonstart im Londoner Kaufhaus Selfridges unterwegs, auch der Kunstkrösus Saatchi eröffnete seine neue Sammlung mit einer Tunick-Session. Der deutsche Nacktkulturschaffende aber hofft inständig:
"Dass man in so einer Gesamtskulptur aufgeht. Ich glaube, dass das so eine Schnittstelle im Menschen ist, sich in solch einer Gesamtskulptur aufgehen zu lassen. Unabhängig davon, wie die nun strukturiert ist: ob es um Kunst geht oder um Politik. Also, ich kenne dieses Gefühl von früher von Demos, das ist ein bisschen ähnlich."
Da scheint sich also doch mehr ereignet zu haben als nur ein Veteranentreffen der pudelnackten "Blitzer" von einst. Aber wenn auch weiterhin ein Hauch von Mysterium den Körperinstallateur umweht, lässt sich doch eines mit Gewissheit sagen: Für die Kunst haben die Massen im Düsseldorfer Ehrenhof ihre Haut vergeblich zu Markt getragen.