Ganz in Weiß
Das österreichische Vorarlberg ist naturgemäß aufs Engste mit dem Schnee verbunden. Grund genug für das Vorarlberger Landesmuseum in Bregenz, nach der ästhetischen und kulturhistorischen Wahrnehmung der weißen Pracht zu fragen. "Schnee. Rohstoff der Kunst" heißt die Schau, die sich aus der ungewöhnlichen Perspektive des Sommers auf eine Spurensuche in den Schnee begibt.
In Stuttgart gibt es ein Bordell, in dem bei Bedarf eisige Schneeflocken von der Decke rieseln. Animationseffekte dieser Art hat sich das Vorarlberger Landesmuseum in Bregenz verkniffen. Keine Schneekanone also vor dem Haus, dafür hat man eine Art Alpenkulisse in die Ausstellungsräume gezimmert: schneeweiße Wände mit dynamischen Zacken und Schrägen; ein stilisiertes Gebirgsmassiv, in dem die Exponate hängen. Es ist angenehm kühl, und Museumschef Tobias G. Natter ist sich sicher, dass die Schau auch so als Attraktion verfängt.
"Aus meiner Sicht gibt es gar keine Alternative: Eine Schnee-Ausstellung kann man nur im Sommer machen."
Egal ob Sommer oder Winter - majestätisch ragt, auf einem Gemälde des Malers Markus Pernhart von 1860, der schneebedeckte Gipfel des Großglockners in den eisgrauen Himmel, im Vordergrund eine Schar wackerer Bergpioniere im schroffen Fels. Es ist eine lebensfeindliche, entseelte Welt aus Gletschern, Eis und Schnee, deren wissenschaftliche Entdeckung damals, um 1800, erst beginnt und auch der Kunst ein neues Thema beschert: das Motiv der erhabenen Berge.
"Wir haben uns thematisch konzentriert auf den alpinen Schnee, ausgehend vom Ort, wo wir das veranstalten, von Vorarlberg in den Alpen. Aber es geht nicht um die Berge primär, es geht auch nicht primär um Schnee als Materie, als meteorologisches Phänomen, es geht auch nicht um Schnee als Motiv in der Kunst, sondern es geht um die ästhetische Wahrnehmung: Wie sehen Künstler Schnee über 200 Jahre, welches Bild haben sie, und was ändert sich?"
So geht es gut gespurt durch die Kunstgeschichte, von einem romantisch aufgeladenen Naturalismus, der uns die Bergwelt immer näher heranzoomt, bis zu den expressiven Abstraktionen eines Ferdinand Hodler, der ein schneebedecktes Gebirgsmassiv dekorativ zwischen die weißen Wolken bettet. Und dem Impressionisten Claude Monet liefert schon um 1888 ein maritimes Alpenpanorama den Rohstoff für seine atemberaubenden Licht- und Farbenspiele.
"Es ist eine der großen Entdeckungen des Impressionismus: Weiß ist nicht weiß, und damit wird auch das Thema Schnee erstmalig als künstlerisches eigenständiges Bildelement entdeckt. Es bedarf nicht mehr der Berge, sondern als glitzernde Farbenpracht wird es ein Thema für die Kunst."
Schnee als schimmernde und schillernde Materie, verlockend kristallin und pure Augenlust, das ist die Sonnenseite dieses Stoffs. Künstler der Neuen Sachlichkeit sehen das nüchterner. Sie lassen ihre Winterwelten melancholisch erstarren, und seit dem 18. Jahrhundert schildern bäuerliche Votivtafeln mit furchtbaren Schnee- und Lawinenkatastrophen immer wieder auch die dunklen Seiten der weißen Pracht.
Es gibt, und damit sind wir bei den Zeitgenossen, auch den berühmten Schlitten von Joseph Beuys, ausgerüstet mit Filzdecke und Fettklumpen. Hier geht's ums Überleben, ganz archaisch ernst und elementar. Zum Schmunzeln dagegen ist eine Fotoarbeit des Künstlerduos Fischli und Weiss. Die beiden Schweizer haben aus weißer Bettwäsche eine Alpenlandschaft nachgestellt, mit sanften Hängen und tiefen Tälern in den Falten des Textils. Und wer in einer Wand ein Türchen öffnet, erlebt einen kleinen Schock.
"Eine Installationsarbeit von Stephan Huber, und es geht um das Thema Gewalt, Lawine. Was Sie sehen: Sie müssen aktiv eine Türe öffnen und dahinter eine Lawine, die auf den Betrachter zusaust."
Animationstechnisch ist das weiße Inferno der Höhepunkt der Ausstellung, und dennoch hat man längst nicht alles gesehen. Denn Teil zwei der Schau findet rund hundert Kilometer entfernt statt, in Lech am Arlberg, wo die Luft ein bisschen dünner ist und der Wintersport gerade Sommerpause macht. Dort, im Heimatmuseum Huber-Hus, thematisiert man vor allem die Sehnsucht des Städters nach dem Schnee, zeigt historische Tourismusplakate und Kunstfotografien, die dem Schnee den Schrecken nehmen und ihn inszenieren, als Naturschauspiel, aber auch als glitzerndes Synonym für Freizeit und Lifestyle, mondän und maskulin.
"Lange Zeit war mit Winterurlaub gemeint, dass die gehobene Gesellschaft, zum Beispiel in Wien, in den Süden fährt, um dem Winter zu entfliehen. Und plötzlich um 1900 beginnt diese Umkehr, dass mit Winterurlaub gemeint war, in den Schnee zu fahren, sozusagen hinein dorthin, wovor man zuvor geflohen ist."
Wie sich die kulturelle Wahrnehmung der weißen Pracht gewandelt hat, sehen wir bei dem Tiroler Maler Alfons Walde, der um 1925 zwei weibliche Wintergäste in ihren Pelzen auf der Piste posieren lässt: Schickeria im Schnee. Kulturhistorisch interessant ist auch die Heroisierung des Schnees im Dritten Reich, und bis heute schließlich ist die Sportwelt fasziniert von verwegenen Helden, die in halsbrecherischer Abfahrt ihre Knochen riskieren.
Schnee ist Schönheit und Schicksal, das führt die Schau facettenreich vor Augen, und wenn er schmilzt, zerrinnt er zu nichts als Wasser und ist wieder weg. Nur eines ist sicher: der nächste Winter kommt bestimmt.
Service:
Die Ausstellung "Schnee. Rohstoff der Kunst" ist bis zum 4. Oktober 2009 im Vorarlberger Landesmuseum Bregenz sowie im Museum Huber-Hus in Lech am Arlberg zu sehen.
"Aus meiner Sicht gibt es gar keine Alternative: Eine Schnee-Ausstellung kann man nur im Sommer machen."
Egal ob Sommer oder Winter - majestätisch ragt, auf einem Gemälde des Malers Markus Pernhart von 1860, der schneebedeckte Gipfel des Großglockners in den eisgrauen Himmel, im Vordergrund eine Schar wackerer Bergpioniere im schroffen Fels. Es ist eine lebensfeindliche, entseelte Welt aus Gletschern, Eis und Schnee, deren wissenschaftliche Entdeckung damals, um 1800, erst beginnt und auch der Kunst ein neues Thema beschert: das Motiv der erhabenen Berge.
"Wir haben uns thematisch konzentriert auf den alpinen Schnee, ausgehend vom Ort, wo wir das veranstalten, von Vorarlberg in den Alpen. Aber es geht nicht um die Berge primär, es geht auch nicht primär um Schnee als Materie, als meteorologisches Phänomen, es geht auch nicht um Schnee als Motiv in der Kunst, sondern es geht um die ästhetische Wahrnehmung: Wie sehen Künstler Schnee über 200 Jahre, welches Bild haben sie, und was ändert sich?"
So geht es gut gespurt durch die Kunstgeschichte, von einem romantisch aufgeladenen Naturalismus, der uns die Bergwelt immer näher heranzoomt, bis zu den expressiven Abstraktionen eines Ferdinand Hodler, der ein schneebedecktes Gebirgsmassiv dekorativ zwischen die weißen Wolken bettet. Und dem Impressionisten Claude Monet liefert schon um 1888 ein maritimes Alpenpanorama den Rohstoff für seine atemberaubenden Licht- und Farbenspiele.
"Es ist eine der großen Entdeckungen des Impressionismus: Weiß ist nicht weiß, und damit wird auch das Thema Schnee erstmalig als künstlerisches eigenständiges Bildelement entdeckt. Es bedarf nicht mehr der Berge, sondern als glitzernde Farbenpracht wird es ein Thema für die Kunst."
Schnee als schimmernde und schillernde Materie, verlockend kristallin und pure Augenlust, das ist die Sonnenseite dieses Stoffs. Künstler der Neuen Sachlichkeit sehen das nüchterner. Sie lassen ihre Winterwelten melancholisch erstarren, und seit dem 18. Jahrhundert schildern bäuerliche Votivtafeln mit furchtbaren Schnee- und Lawinenkatastrophen immer wieder auch die dunklen Seiten der weißen Pracht.
Es gibt, und damit sind wir bei den Zeitgenossen, auch den berühmten Schlitten von Joseph Beuys, ausgerüstet mit Filzdecke und Fettklumpen. Hier geht's ums Überleben, ganz archaisch ernst und elementar. Zum Schmunzeln dagegen ist eine Fotoarbeit des Künstlerduos Fischli und Weiss. Die beiden Schweizer haben aus weißer Bettwäsche eine Alpenlandschaft nachgestellt, mit sanften Hängen und tiefen Tälern in den Falten des Textils. Und wer in einer Wand ein Türchen öffnet, erlebt einen kleinen Schock.
"Eine Installationsarbeit von Stephan Huber, und es geht um das Thema Gewalt, Lawine. Was Sie sehen: Sie müssen aktiv eine Türe öffnen und dahinter eine Lawine, die auf den Betrachter zusaust."
Animationstechnisch ist das weiße Inferno der Höhepunkt der Ausstellung, und dennoch hat man längst nicht alles gesehen. Denn Teil zwei der Schau findet rund hundert Kilometer entfernt statt, in Lech am Arlberg, wo die Luft ein bisschen dünner ist und der Wintersport gerade Sommerpause macht. Dort, im Heimatmuseum Huber-Hus, thematisiert man vor allem die Sehnsucht des Städters nach dem Schnee, zeigt historische Tourismusplakate und Kunstfotografien, die dem Schnee den Schrecken nehmen und ihn inszenieren, als Naturschauspiel, aber auch als glitzerndes Synonym für Freizeit und Lifestyle, mondän und maskulin.
"Lange Zeit war mit Winterurlaub gemeint, dass die gehobene Gesellschaft, zum Beispiel in Wien, in den Süden fährt, um dem Winter zu entfliehen. Und plötzlich um 1900 beginnt diese Umkehr, dass mit Winterurlaub gemeint war, in den Schnee zu fahren, sozusagen hinein dorthin, wovor man zuvor geflohen ist."
Wie sich die kulturelle Wahrnehmung der weißen Pracht gewandelt hat, sehen wir bei dem Tiroler Maler Alfons Walde, der um 1925 zwei weibliche Wintergäste in ihren Pelzen auf der Piste posieren lässt: Schickeria im Schnee. Kulturhistorisch interessant ist auch die Heroisierung des Schnees im Dritten Reich, und bis heute schließlich ist die Sportwelt fasziniert von verwegenen Helden, die in halsbrecherischer Abfahrt ihre Knochen riskieren.
Schnee ist Schönheit und Schicksal, das führt die Schau facettenreich vor Augen, und wenn er schmilzt, zerrinnt er zu nichts als Wasser und ist wieder weg. Nur eines ist sicher: der nächste Winter kommt bestimmt.
Service:
Die Ausstellung "Schnee. Rohstoff der Kunst" ist bis zum 4. Oktober 2009 im Vorarlberger Landesmuseum Bregenz sowie im Museum Huber-Hus in Lech am Arlberg zu sehen.