Ganz der Musik verschrieben
Michael Gielen ist eine der großen Musikerpersönlichkeiten der letzten Jahrzehnte. Bekannt ist er vor allem als Dirigent und als Direktor der Frankfurter Oper von 1977 bis 1987. Nun legt er mit „Unbedingt Musik“ seine Erinnerungen vor, in denen seine Leidenschaft für Musik deutlich spürbar wird.
Michael Gielen ist eine der großen Musikerpersönlichkeiten der letzten Jahrzehnte. Bekannt ist er vor allem als Dirigent, das „zentrale Ereignis“ seines Künstlerlebens, das sagt er selbst, sind die zehn Jahre von 1977 bis 1987, in denen er Direktor der Frankfurter Oper war. Die „Ära Gielen“ werden diese zehn Jahre auch genannt.
Mit Klaus Zehelein leitete er das Haus, und legendäre Inszenierungen von Hans Neuenfels und Ruth Berghaus erregten große Aufmerksamkeit und machten Frankfurt zu dem modernen Musiktheater in Deutschland.
Schon immer hat Michael Gielen sich auch für die Musik der Moderne eingesetzt, der klassischen Moderne mit Berg, Webern und Schönberg, ebenso für die wirklich zeitgenössische Musik – legendär: die Uraufführung von Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“ (nach Jakob Michael Reinhold Lenz), 1965 in Köln.
Doch auch seine Aufnahmen mit Werken von Bruckner, Mahler und Beethoven sind wegweisend. Es kam immer wieder vor, dass Gielens Art als kühl, intellektuell und konstruktivistisch beschrieben wurde. Jetzt hat Michael Gielen seine Autobiografie vorgelegt, „Unbedingt Musik“ hat er seine Erinnerungen genannt
Hier schreibt jemand, über seine große Leidenschaft, die Musik. Das verrät ja bereits der Titel – „Unbedingt Musik“ – ohne geht es nicht. Und das ist eigentlich seit der Kindheit von Gielen so. Geboren wurde er 1927 in Dresden, sein Vater war Theater- und Musiktheaterregisseur, erst in Dresden, dann in Berlin und Wien, befreundet mit den Malern Max Ernst und August Macke, seine Mutter Schauspielerin.
Michael Gielen war also schon als Kind ständig von Musik, von Kunst, und zwar von gerade aktueller Kunst und Musik umgeben. Ganz besonders dann auch in Buenos Aires, dorthin ist die Familie Gielen von Wien aus 1940 ins Exil gegangen, Gielens Mutter war Jüdin, stammte aus einer polnisch-ukrainischen Künstlerfamilie. Und in Buenos Aires arbeitete Gielens Vater am Teatro Colon, wo zu der Zeit Erich Kleiber, Fritz Busch, Otto Klemperer dirigierten – also die großen Dirigenten der Zeit. Und die Begegnungen mit diesen Persönlichkeiten haben natürlich ihre Spuren hinterlassen.
Er hat zum Beispiel auch die ersten Auftritte der Callas miterlebt, hat erlebt, wie ihre Präsenz sogar einen Karajan am Pult verblassen ließ, das ist schon eindrucksvoll. Er hat seine erste Probe als Korrepetitor in der Oper in Buenos Aires mit knapp 20 mit Erich Kleiber und Kirsten Flagstadt (das waren Proben zu Wagners Tristan) gemacht, also gleich allererste Kategorie. Und er sagt selbst, Erich Kleiber ist sein Abgott geworden, seine musikalische Überzeugung, seine körperliche Präsenz, diese Unbedingtheit.
Er ist auch Karajan dort begegnet, ebenso Furtwängler, später ist er dann auch Assistent von Karajan geworden. Von all diesen Begegnungen berichtet Gielen in seinem Buch so mitreißend, er ist so fasziniert, – und da ist man mitten drin in der Geschichte des 20. Jahrhunderts, nicht nur in der Musikgeschichte. Ich hatte beim Lesen wirklich das Gefühl, das ist einer, der mich mitnimmt auf eine Reise durch dieses Jahrhundert.
Und hinzu kommt noch, dass Gielen auch immer selbst Komponist war und auch noch ist, d.h. er ist selbst schöpferischer Künstler (er empfiehlt übrigens auch all seinen Dirigierschülern, zu komponieren, denn nur so weiß man, was man tut am Pult. Man versteht besser, wie ein Stück gemacht ist, lernt klarer zu strukturieren, und natürlich auch die Arbeit des Komponisten ganz anders zu schätzen).
Man muss sich einfach mit der Musik der Zeit beschäftigen, meint er – und zu Anfang seiner Dirigentenkarriere wollten alle von ihm immer nur Stücke des 20. Jahrhunderts. D.h. als Dirigent hat er sich von der Moderne aus zurückgehangelt über Gustav Mahler, Bruckner und Wagner, zu Beethoven und Mozart. Er hat auf der einen Seite eine der wichtigsten Opern des 20. Jahrhunderts uraufgeführt, eben Zimmermanns „Soldaten“ in Köln, eine wirkliche Großtat, ein Stück, das zunächst als unaufführbar galt – hat aber auf der anderen Seite auch Revolutionäres mit Beethoven angestellt.
Er hat zum Beispiel in Frankfurt die berühmten Montage-Konzerte eingeführt, hat also Werke miteinander kombiniert, die dadurch in einen ganz neuen Zusammenhang gestellt wurden, anders gehört werden mussten, vom Museumssockel geholt wurden gewissermaßen. Mitten in die 9. Sinfonie von Beethoven hat Gielen Schönbergs „Überlebenden aus Warschau“ eingebaut, und das war für die Zuhörer sehr verstörend, weil man danach den Jubelchor an die Freude einfach nicht mehr wie gewohnt unkritisch hören konnte. Davon berichtet Gielen ausführlich in seinem Buch, stellt die Idee dieser Montagekonzerte vor, die übrigens inzwischen oft kopiert worden ist.
Als Gielen anfing, über das Tempo bei Beethoven nachzudenken, gab es auch Proteste. Viel zu schnell hieß es – heute sind abgespecktere Tempi Usus. Das alles ist nachzulesen im zweiten Teil von „Unbedingt Musik“, nach gut zwei Dritteln Biografie schreibt Gielen nämlich Gedanken nieder zu Themen, Werken und Komponisten, die ihm besonders wichtig sind. Die lesen sich wie Essays – sehr persönlich gehaltene Essays, im Stile eigentlich genauso wie der biografische Teil.
Ums Dirigieren geht es da, das Orchester, um eben das Tempo bei Beethoven, um „Lulu“ von Alban Berg, die Musik Gustav Mahlers – hier zieht Gielen eine hochinteressante Parallele zur Literatur von Robert Musil. Und am Ende verrät er dann noch, was er heute liebt – und bei einem Mann wie Michael Gielen will man das wirklich wissen – erst recht nach der Lektüre seiner Erinnerungen. Ganz kurz: er liebt Bach und Mahler, guten Wein und gutes Essen, seine Familie – und seine Lieblingswerke sind Mozarts „Cosí fan tutte“ und Goethes Wahlverwandtschaften – nicht zuletzt wegen der erotischen Offenheit der Figuren, die neben Gefahr auch Reichtum birgt.
Michael Gielen gehört zu den ausübenden Musikern, die wirklich etwas zu sagen haben. Wer sich für Musik interessiert und gern selbst denkt – Empfehlung!
Michael Gielen: „Unbedingt Musik“ – Erinnerungen
Insel Verlag 2005, 366 Seiten
Service:
Am 24. September dirigert Gielen Verdis „Forza del destino“ an der Staatsoper Unter den Linden, Berlin. Am 25. September liest er aus seinem Buch, um 15 Uhr im Apollo Saal der Staatsoper.
Mit Klaus Zehelein leitete er das Haus, und legendäre Inszenierungen von Hans Neuenfels und Ruth Berghaus erregten große Aufmerksamkeit und machten Frankfurt zu dem modernen Musiktheater in Deutschland.
Schon immer hat Michael Gielen sich auch für die Musik der Moderne eingesetzt, der klassischen Moderne mit Berg, Webern und Schönberg, ebenso für die wirklich zeitgenössische Musik – legendär: die Uraufführung von Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“ (nach Jakob Michael Reinhold Lenz), 1965 in Köln.
Doch auch seine Aufnahmen mit Werken von Bruckner, Mahler und Beethoven sind wegweisend. Es kam immer wieder vor, dass Gielens Art als kühl, intellektuell und konstruktivistisch beschrieben wurde. Jetzt hat Michael Gielen seine Autobiografie vorgelegt, „Unbedingt Musik“ hat er seine Erinnerungen genannt
Hier schreibt jemand, über seine große Leidenschaft, die Musik. Das verrät ja bereits der Titel – „Unbedingt Musik“ – ohne geht es nicht. Und das ist eigentlich seit der Kindheit von Gielen so. Geboren wurde er 1927 in Dresden, sein Vater war Theater- und Musiktheaterregisseur, erst in Dresden, dann in Berlin und Wien, befreundet mit den Malern Max Ernst und August Macke, seine Mutter Schauspielerin.
Michael Gielen war also schon als Kind ständig von Musik, von Kunst, und zwar von gerade aktueller Kunst und Musik umgeben. Ganz besonders dann auch in Buenos Aires, dorthin ist die Familie Gielen von Wien aus 1940 ins Exil gegangen, Gielens Mutter war Jüdin, stammte aus einer polnisch-ukrainischen Künstlerfamilie. Und in Buenos Aires arbeitete Gielens Vater am Teatro Colon, wo zu der Zeit Erich Kleiber, Fritz Busch, Otto Klemperer dirigierten – also die großen Dirigenten der Zeit. Und die Begegnungen mit diesen Persönlichkeiten haben natürlich ihre Spuren hinterlassen.
Er hat zum Beispiel auch die ersten Auftritte der Callas miterlebt, hat erlebt, wie ihre Präsenz sogar einen Karajan am Pult verblassen ließ, das ist schon eindrucksvoll. Er hat seine erste Probe als Korrepetitor in der Oper in Buenos Aires mit knapp 20 mit Erich Kleiber und Kirsten Flagstadt (das waren Proben zu Wagners Tristan) gemacht, also gleich allererste Kategorie. Und er sagt selbst, Erich Kleiber ist sein Abgott geworden, seine musikalische Überzeugung, seine körperliche Präsenz, diese Unbedingtheit.
Er ist auch Karajan dort begegnet, ebenso Furtwängler, später ist er dann auch Assistent von Karajan geworden. Von all diesen Begegnungen berichtet Gielen in seinem Buch so mitreißend, er ist so fasziniert, – und da ist man mitten drin in der Geschichte des 20. Jahrhunderts, nicht nur in der Musikgeschichte. Ich hatte beim Lesen wirklich das Gefühl, das ist einer, der mich mitnimmt auf eine Reise durch dieses Jahrhundert.
Und hinzu kommt noch, dass Gielen auch immer selbst Komponist war und auch noch ist, d.h. er ist selbst schöpferischer Künstler (er empfiehlt übrigens auch all seinen Dirigierschülern, zu komponieren, denn nur so weiß man, was man tut am Pult. Man versteht besser, wie ein Stück gemacht ist, lernt klarer zu strukturieren, und natürlich auch die Arbeit des Komponisten ganz anders zu schätzen).
Man muss sich einfach mit der Musik der Zeit beschäftigen, meint er – und zu Anfang seiner Dirigentenkarriere wollten alle von ihm immer nur Stücke des 20. Jahrhunderts. D.h. als Dirigent hat er sich von der Moderne aus zurückgehangelt über Gustav Mahler, Bruckner und Wagner, zu Beethoven und Mozart. Er hat auf der einen Seite eine der wichtigsten Opern des 20. Jahrhunderts uraufgeführt, eben Zimmermanns „Soldaten“ in Köln, eine wirkliche Großtat, ein Stück, das zunächst als unaufführbar galt – hat aber auf der anderen Seite auch Revolutionäres mit Beethoven angestellt.
Er hat zum Beispiel in Frankfurt die berühmten Montage-Konzerte eingeführt, hat also Werke miteinander kombiniert, die dadurch in einen ganz neuen Zusammenhang gestellt wurden, anders gehört werden mussten, vom Museumssockel geholt wurden gewissermaßen. Mitten in die 9. Sinfonie von Beethoven hat Gielen Schönbergs „Überlebenden aus Warschau“ eingebaut, und das war für die Zuhörer sehr verstörend, weil man danach den Jubelchor an die Freude einfach nicht mehr wie gewohnt unkritisch hören konnte. Davon berichtet Gielen ausführlich in seinem Buch, stellt die Idee dieser Montagekonzerte vor, die übrigens inzwischen oft kopiert worden ist.
Als Gielen anfing, über das Tempo bei Beethoven nachzudenken, gab es auch Proteste. Viel zu schnell hieß es – heute sind abgespecktere Tempi Usus. Das alles ist nachzulesen im zweiten Teil von „Unbedingt Musik“, nach gut zwei Dritteln Biografie schreibt Gielen nämlich Gedanken nieder zu Themen, Werken und Komponisten, die ihm besonders wichtig sind. Die lesen sich wie Essays – sehr persönlich gehaltene Essays, im Stile eigentlich genauso wie der biografische Teil.
Ums Dirigieren geht es da, das Orchester, um eben das Tempo bei Beethoven, um „Lulu“ von Alban Berg, die Musik Gustav Mahlers – hier zieht Gielen eine hochinteressante Parallele zur Literatur von Robert Musil. Und am Ende verrät er dann noch, was er heute liebt – und bei einem Mann wie Michael Gielen will man das wirklich wissen – erst recht nach der Lektüre seiner Erinnerungen. Ganz kurz: er liebt Bach und Mahler, guten Wein und gutes Essen, seine Familie – und seine Lieblingswerke sind Mozarts „Cosí fan tutte“ und Goethes Wahlverwandtschaften – nicht zuletzt wegen der erotischen Offenheit der Figuren, die neben Gefahr auch Reichtum birgt.
Michael Gielen gehört zu den ausübenden Musikern, die wirklich etwas zu sagen haben. Wer sich für Musik interessiert und gern selbst denkt – Empfehlung!
Michael Gielen: „Unbedingt Musik“ – Erinnerungen
Insel Verlag 2005, 366 Seiten
Service:
Am 24. September dirigert Gielen Verdis „Forza del destino“ an der Staatsoper Unter den Linden, Berlin. Am 25. September liest er aus seinem Buch, um 15 Uhr im Apollo Saal der Staatsoper.