"Ganz bewusst für eine begrenzte Zeit auf Dinge verzichten"

Susanne Breit-Kessler im Gespräch mit Herbert A. Gornik · 21.02.2009
"7 Wochen ohne" heißt die Fastenaktion der evangelischen Kirche. Die Regionalbischöfin für München und Oberbayern, Susanne Breit-Kessler, sagte dazu, es gehe darum, für eine begrenzte Zeit auf Dinge zu verzichten, "um dann sozusagen fit aus diesen sieben Wochen wieder rauszukommen und zu sagen, ich bin frei davon, ich kann auch verzichten".
Herbert A. Gornik: Der Titel meiner Gesprächspartnerin ist ziemlich singulär. Sie ist in ihrem Amt auch noch ziemlich selten, denn Bischöfinnen sind auch in der evangelischen Kirche eine kleine Minderheit, aber Regionalbischöfinnen erst recht. Susanne Breit-Kessler ist Regionalbischöfin für München und Oberbayern. Was ist das, Frau Breit-Kessler, so was wie eine Minibischöfin, eine Lehrlingsbischöfin, eine Kleinbischöfin oder was?

Susanne Breit-Kessler: Es ist eine richtige Bischöfin, allerdings für einen gewissen begrenzten Bereich, in meinem Fall eben München und ganz Oberbayern. Wir haben noch einen Landesbischof in Bayern, der ist für ganz Bayern zuständig, und dann für die Regionen noch speziell eben diese Regionalbischöfe, von denen ich eine bin. Allerdings habe ich auch immer wieder mit ganz Bayern zu tun, weil ich die ständige Vertreterin des Landesbischofs auch noch bin.

Gornik: Aber das ist eine bayerische Spezialität. Liegt das daran, dass es in Bayern so viele Katholiken gibt, und die haben ja nun Erzbischöfe und Bischöfe und Weihbischöfe. Hatten da die Protestanten Nachholbedarf?

Breit-Kessler: Ja, wir hatten früher dieses Amt mit dem Begriff Kreisdekan bezeichnet, und darunter kann sich nun wahrlich kein Mensch irgendwas vorstellen, was das sein soll. Und als Pendant zu Weih- und Erzbischöfen hat man dann diesen Begriff des Regionalbischofs oder der Regionalbischöfin geprägt, weil darunter sich Menschen sofort was vorstellen können. Da haben sie ein Bild. Und es hat ja auch mit dem Inhalt dieses Amtes was zu tun. Also wir machen Besuche in den Gemeinden, wir visitieren, wie man so schön sagt, wir führen junge Leute in ihr Amt ein, und wir vertreten die Kirche in der Öffentlichkeit.

Gornik: Susanne Breit-Kessler, nach dem Karneval beginnt die Fastenzeit - theologisch, kirchlich gesprochen die Passionszeit. Und in dieser Passionszeit, da legt die evangelische Kirche schon seit 1983 eine besondere Aktion auf. Die Fastenaktion der evangelischen Kirche heißt "7 Wochen ohne". 1983, da war das buchstäblich eine Schnapsidee einiger Theologen, nämlich auf Nikotin und Alkohol zu verzichten. Heute ist das eine große Bewegung. Was ist für Sie der Reiz?

Breit-Kessler: Der Reiz ist, ganz bewusst für eine begrenzte Zeit auf Dinge zu verzichten, die sonst zu einer lieben, manchmal auch zu einer unschönen Gewohnheit geworden sind, um dann sozusagen fit aus diesen sieben Wochen wieder rauszukommen und zu sagen, ich bin frei davon, ich kann auch verzichten, selbst wenn man danach meinetwegen wieder mit Rauchen oder einem Glas ab und zu weitermacht. Es soll ja nicht so sein, dass man dann gleich sein ganzes Leben ändert, aber dass man sich in dieser Zeit mal besinnt, das finde ich ganz wunderbar.

Gornik: Ja, das klingt interessant und gut, aber wenn ich auf den Fastenkalender blicke, der in der Edition chrismon herausgekommen ist, dann bin ich etwas irritiert. Da steht oben rechts zwar klein, "7 Wochen ohne", aber da gibt es ein ganz anderes Motto. Das heißt nämlich, "Sich entscheiden! Sieben Wochen ohne Zaudern". Nun denkt man doch aber, wie Sie gerade gesagt haben, bei Verzichten erst – ich komme aus einer katholischen Gegend, Süd-Oldenburg, da verzichtet man auf Bonbons, was man eigentlich gerne im Alltag hätte, vielleicht Alkohol oder Nikotin oder jeden Tag dies und das. Und jetzt wird aus diesem kleinen Verzicht eine große Lebensstrategie: Entscheide dich! Ist diese ideelle Überhöhung eigentlich nötig?

Breit-Kessler: Ja, ich finde schon. Bis zum vorletzten Jahr haben wir das ja so propagiert, Verzicht, eben Gummibärchen, Alkohol, Zigaretten, was auch immer es so gibt, Fernsehkonsum. Da hat sich angedeutet, dass es tatsächlich um eine Lebensstrategie geht. Und letztes Jahr, als ich die Vorsitzende dieses Kuratoriums wurde, haben wir gesagt, wir machen es jetzt ganz neu und konterkarieren mal die bisherigen Gedanken, und haben letztes Jahr beispielsweise gesagt, "7 Wochen ohne Geiz. Verschwendung". Das stieß auf höchste Aufmerksamkeit, weil wir gesagt haben, verschwendet mal Zeit, Liebe, Aufmerksamkeit, gebt was, verschenkt, verschwendet euch als Personen, als Menschen, auch mit euren Gefühlen. Und weil das so einen riesigen Anklang fand und auch so allerlei Aha-Effekte ausgelöst hat, haben wir gesagt, so machen wir jetzt erst mal weiter. Und dann haben wir gesagt, sieben Wochen ohne Zaudern, ohne dieses ewige Hin und Her, soll ich, soll ich nicht, wie kann ich mich entscheiden, was muss ich noch alles bedenken und, und, und, sondern, nein, sieben Wochen mal klar entscheiden, und zwar vielleicht zügiger und auch mal Ja zu etwas zu sagen oder auch Nein, aber so eine klare Lebenslinie reinzukriegen. Ich finde, das könnte allen Menschen ganz gut tun.

Gornik: Viele Menschen, die sich an ihre Schulzeit erinnern und da mal von einem römischen Konsul gehört haben, die erinnern sich, da gab es mal einen, den nannte man Zauderer, den Zögerer, den Kunktator. Der hatte eine besonders zurückweichende Kriegsführung, aber dann nach vielen, vielen Opfern war er gegen Hannibal dann doch erfolgreich. Ist denn Zögern und Zaudern nicht auch manchmal eine Tugend, also so immer frisch drauf los, daneben entschieden, das ist doch auch nicht gerade christliche Weitsicht, oder?

Breit-Kessler: Nein, das wäre sehr unvernünftig. Aber ich glaube, man muss hier sorgfältig differenzieren zwischen diesem ewigen Zögern, Hinausziehen, Zaudern, überhaupt nicht zu Potte kommen, und einem Überlegen, sorgfältigem Nachdenken und sich dann für etwas entscheiden, gegebenenfalls durchaus auch mal hinnehmen, dass die Entscheidung falsch sein könnte. Aber es ist schon oft so besser entschieden als niemals entschieden.

Gornik: Welche Beispiele bieten Sie an? Sie haben vorhin gegen den Geiz ein Plädoyer gehalten, das war die letzte Aktion – nun sei doch mal großzügig, gib aus vollem Herzen, verschwende Zeit an andere Menschen. Was ist jetzt so konkret mit dem Anti-Zaudern gedacht?

Breit-Kessler: Denken Sie an Partnerschaften oder Familien. Wie viel Zeit wird oft verplempert, indem man sagt, hmm, sollen wir jetzt ins Kino gehen, sollen wir einen Spaziergang machen, bleiben wir zu Hause, schauen wir Fernsehen, liest jeder ein Buch oder räumen wir den Keller auf – ein ewiges Gemache.

Oft ist es sogar so, dass man das aus Liebe tut, weil man zu den eigenen Wünschen noch die Wünsche des anderen hinzudenkt und dadurch zu gar nichts kommt. Der Nachmittag oder der Sonntag ist völlig vertrietschelt. Es ist alles dahingegangen, man hat nichts gemacht und sitzt super unzufrieden daheim auf dem Sofa.

Stattdessen könnte man doch sagen: Was machen wir heute? Heute machen wir mal einen Ausflug, gehen raus an die frische Luft. Und morgen darf der andere entscheiden. Und der sagt dann vielleicht: Oh, heute ist so ein Couch-Potato-Nachmittag, also wir schauen irgendwelche ollen Kamellen im Fernsehen an oder einen schönen aufgezeichneten Krimi. Da kommt man schneller zu was, auch miteinander.

Gornik: Und der Verzicht vielleicht auf Alkohol oder Kuchen, wenn man auf der Couch sitzt, der bleibt dann immer noch erhalten?

Breit-Kessler: Selbstverständlich, kann jeder obendrein machen. Also ich selber mache das auch, verzichte dann sieben Wochen lang auf Alkohol, und ich werde auch versuchen, auf Gummibärchen zu verzichten. Ich weiß nur nicht, ob das gelingt.

Gornik: Fastet man oder frau eigentlich in der evangelischen Kirche lieber allein oder in Gruppen?

Breit-Kessler: Es gibt viele Menschen, die machen das lieber in Gruppen, weil sie sich da gegenseitig bestärken und über ihre Fastenerfahrung auch austauschen und sich helfen, wenn sie so ins Wanken geraten. Ich gehöre zu den Individualisten, ich mache das lieber für mich selber.

Gornik: Fasten klingt ja zunächst mal oder klang früher immer so etwas katholisch, bezogen auf die Passionszeit. Das waren die Katholiken, die fasteten. Gibt es eigentlich eine besondere evangelische Pointe?

Breit-Kessler: Ich denke, die evangelische Pointe ist nicht der Verzicht, sondern der Gewinn von Freiheit. Unsere Überzeugung hat ja immer viel mit Freiheitsgewinn zu tun, und wenn ich auf etwas verzichte, dann bin ich stärker als manche meiner Sehnsüchte oder Gelüste oder Abhängigkeiten. Ich bin dann ein starker, freier Mensch, der sagen kann, jawohl, ich verzichte drauf, und ich habe einen Gewinn für mich, ich stehe über diesen Dingen. Das, denke ich, ist die protestantische Note.

Gornik: In diesem Sinne also, wer verzichtet, wird frei. Das war die bayerische Regionalbischöfin Susanne Breit-Kessler im Deutschlandradio Kultur in der Sendung "Religionen". Herzlichen Dank!

Breit-Kessler: Dankeschön!