Gans schön schlau

28.08.2011
Dass Tiere denken und fühlen, steht für den Verhaltensforscher Immanuel Birmelin außer Frage. In zahlreichen Versuchen, die er in seinem Buch "Tierisch intelligent" beschreibt, spürt er den erstaunlichen Fähigkeiten von Hunden, Katzen, Affen und Vögeln nach.
Wenn Betty einen Draht verbiegt, um damit ein Töpfchen aus einem Glaszylinder zu angeln, muss man staunen. Denn Betty ist eine Krähe, und diesen Trick hat ihr niemand beigebracht, sie hat ihn selbst herausbekommen. Dass Tiere denken und fühlen, ist für den Verhaltensforscher Immanuel Birmelin keine Frage. In zahlreichen Versuchen spürt er den erstaunlichen Fähigkeiten von Hunden, Katzen, Affen, Kraken, Löwen, Elefanten und Vögeln nach.

"Tierisch intelligent" findet er die Objekte seiner Versuche. Zusammen mit Volker Arzt hat der 68-Jährige bereits mehrere Tierdokumentationen gedreht. Sein Haus ist bevölkert von Hunden und über 20 Wellensittichen. Bereits als Achtjähriger, so erzählt er, stand er fast täglich vor den Raubtierkäfigen des Tierparks Hellabrunn in München, und noch heute fährt er jährlich zu Tierbeobachtungen nach Afrika.

Auf der Suche nach den kognitiven Fähigkeiten hochentwickelter Tiere hat er mit Kollegen aus der ganzen Welt zusammengearbeitet. Viele dieser Treffen und die gemeinsam durchgeführten Verhaltensexperimente schildert er in seinem Buch, das eine anekdotische Sammlung geworden ist, die um die Fragen kreist: Haben Tiere Gefühle? Wie viel von ihrem Verhalten ist angeboren, wie viel gelernt? Können Tiere denken? Logische Schlüsse ziehen? Träumen? Haben sie ein Bewusstsein, eine Vorstellung von sich selbst als Individuum?

Für Immanuel Birmelin sind die Hinweise erdrückend. Auch wenn die Gedanken- und Gefühlswelt der Tiere nur schwer bewiesen werden kann, deuten neurobiologische Erkenntnisse darauf hin, dass der Hirnbereich, der beim Menschen als Sitz für seine Intelligenz gilt (der Präfrontalkortex), in auffallend ähnlicher Form auch bei Vögeln wie Betty vorhanden ist. Manche tierischen Leistungen sprechen für sich: Katzen, die zielgerichtet an Türklinken springen, um Türen zu öffnen, Affen, die Werkzeug zum Knacken von Nüssen benutzen, ein Papagei, der die Anzahl und Farbe von Gegenständen benennen kann, Elefanten, die sich im Spiegel erkennen.

Lebendig und aus eigener Erfahrung erzählt Birmelin von den erstaunlichen Dingen, die Tiere lernen können, wenn sie den richtigen Anreiz bekommen. Sensationelle Neuigkeiten sucht man in dem Buch vergebens. Aber in der Zusammenschau zeigt es die Mitbewohner auf unserem Planeten als eigenständige Geschöpfe, die nicht des Menschen Untertan sind, sondern seinen Respekt verdienen, weil die Unterschiede zwischen Mensch und Tier oft nur gradueller Natur sind. Eine banale, aber deswegen nicht weniger richtige Schlussfolgerung, die man Birmelin vor allem deshalb verzeiht und abnimmt, weil er so spürbar nah dran ist, an den Tieren, über die er schreibt.

Besprochen von Gerrit Stratmann

Immanuel Birmelin: Tierisch intelligent. Von zählenden Katzen
und sprechenden Affen

Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart 2011
272 Seiten, 19,95 Euro