Gang of Four: "Happy Now"

Über 60, eckig, unbequem

06:05 Minuten
Andy Gill steht auf einer violett erleuchteten Bühne und spielt Gitarre.
Der Gitarrist der Band Gang of Four, Andy Gill © picture alliance / Invision / Robb Cohen
Von Juliane Reil · 02.05.2019
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Die Welt werde von alten weißen Männern regiert, kritisiert Andy Gill, inzwischen selbst jenseits der 60. Mit seiner Band Gang of Four stemmt er sich noch immer gegen das Establishment, auch auf dem neuen Album "Happy Now".
"Das ist beißender Sarkasmus. Kein Ausrufezeichen, kein Fragezeichen. Dabei ist nicht klar, ob es ein Statement ist. Das ist uns wichtig." Das ist typisch Gang of Four. Nicht nur, was den Humor angeht. Wie ein Song oder gar der Albumtitel "Happy Now" genau zu verstehen ist, diktieren die Briten auch auf Album Nummer zehn nicht. Erklärt der Mann, der seit 40 Jahren Gitarre in der Band spielt: Andy Gill.
"Einige Leute, mit denen ich gesprochen habe, fühlen sich versucht, den Titel so zu deuten: "Okay, Du hast deine Stimme für den Brexit, für Donald Trump oder eine rechtsnationale Partei in Europa abgegeben. Bist du jetzt "happy"? Davon abgesehen gibt es aber noch einen subtileren Kontext. Ich habe das Gefühl, dass es akut eine ganz bestimmte Angst gibt. Leute sorgen sich – vor allem um sich selbst: Bin ich glücklich? Was soll ich tun, damit mein Leben erfüllter ist?"

Beißender Sarkasmus

Und wie geht es der Band? Im Februar waren Gang of Four auf nahezu ausverkaufter Tour durch Nordamerika. Aber das letzte Konzert in New York fiel aus. Gill hatte sich eine Brustinfektion zugezogen. Mittlerweile geht es dem 63-Jährigen wieder gut. Nur ein Husten, für den er sich entschuldigt – "a bloody cough", wie er charmant flucht – ist geblieben. Anlass für die Tour: Vor 40 Jahren, 1979, erschien das Debütalbum "Entertainment!" von Game of Four. Blaupause für den Postpunk – und weitaus mehr als vier weiße Punks, die versuchten, Funk zu spielen.
"Es ist die Idee, dass der Rhythmus genauso wichtig wie alles andere ist. Bei einem klassischen Rock- oder Popsong schwebt der Gesang über allem. Darunter liegen die Gitarre und Keyboards. Und darunter wiederum der Bass. Das ist eine Art Hierarchie. Ich wollte, dass alles gleichberechtigt nebeneinander existiert. Das Schlagzeug sollte genauso wichtig sein wie der Gesang."

Das Line-up verjüngt

Mit dem Schlagzeug im Vordergrund entwickeln die Songs von Gang of Four ihren typischen Groove, der nach vorne zieht. Andy Gill spielte seine Gitarre selbst größtenteils als perkussives Instrument: eckige Riffs wie von einem Roboter, der zum Tanzen umprogrammiert wurde. Während der Sound beim Debüt insgesamt reduziert und dadurch cool war, überlädt Gill seine Gitarre auf dem aktuellen Album mit digitalen Effekten. Sein Enthusiasmus für neue Technik ist groß. Weniger wäre mehr gewesen.
Ende der 70-er klangen Gang of Four wie die Zukunft: nämlich wie Franz Ferdinand & Co, also die Indiebands kurz nach dem Millennium, 20 Jahre später. So klingen Gang of Four auch heute noch. Wenn etwas als Avantgarde gehyped wurde, ist es schwierig, diesen Status auf ewig zu halten.
Das Line-up hat sich inzwischen verjüngt. Andy Gill ist heute das einzige Originalmitglied von Gang of Four. Im Prinzip er der "Macher". Die meisten Texte kommen von ihm. Zum Beispiel für den Song "Alpha Male":
"Es geht um einen Mann, der glaubt, in der Position der höchsten Macht zu sein. Es ist poetisch gemeint, keine wortwörtliche Beschreibung der Realität."

Gesampelte Zitate von Trump

In diesem Song sampeln Gang of Four Zitate von Donald Trump. In der Tat sind es poetische, teilweise drastische Bilder auf dem neuen Album. Von "amerikanischen und britischen Ratten" ist zum Beispiel die Rede und russischen Diplomaten, die sich am Boden in einer Urinlache treffen. Dass die Songs von der BBC verboten werden, wie der Song "I Love A Man In A Uniform" zu Zeiten des Falklandkriegs, ist unwahrscheinlich. Die Zeiten haben sich geändert, aber Gang of Four legen den Finger nach wie vor gern in die Wunde:
"Ich denke, ich bin nicht der Einzige, der darauf aufmerksam macht, dass die Welt von mächtigen weißen Männern regiert wird. Es ist keine gute Situation. Der Sänger singt: 'Ich sehe das und gebe die Antwort, die keiner hören will, also frag mich nicht.'"
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