Metaphysische Kunst
„Tiefste Musik“ – wie klingt so etwas? Unter diesem Motto veranstalteten der Maler Giorgio de Chirico und sein Bruder, der Schriftsteller und Komponist Alberto Savinio, 1911 in München ein Konzert. In Stuttgart begab sich Steffen Schleiermacher nun auf Spurensuche, aus aktuellem Anlass.
Vor genau einhundert Jahren malte Giorgio de Chirico sein Gemälde "Metaphysisches Interieur mit großer Fabrik". Die für den Ingenieurssohn typischen Winkelmaße und architektonischen Anspielungen treffen hier auf ein Bild im Bild, das eine Fabrik vor einem beklemmend kargen, von Schlagschatten dominierten Platz zeigt. Dieses Gemälde, eine Rarität in der deutschen Museumslandschaft, befindet sich seit 1970 in der Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart. Zur Hundertjahrfeier kommen nun verschiedene Werke de Chiricos in Stuttgart zusammen, wo sie Arbeiten surrealistischer und konstruktivistischer Maler gegenübergestellt werden, etwa solchen von Salvador Dalì und Oskar Schlemmer.
Eine "metaphysische Malerei" wollte de Chirico schaffen – eine Kunst, die angesichts der Zerstörungen des Ersten Weltkrieges nach dem Unzerstörbaren, aber auch dem Unsichtbaren unserer Kultur fragt. Diese Ästhetik zählt zu den Pionierleistungen des Surrealismus, ist aber ganz aus der Beschäftigung mit der Malerei Arnold Böcklins und der Philosophie Friedrich Nietzsches hervorgegangen. Diesen und ähnlichen Interessen gab sich de Chirico gemeinsam mit seinem Bruder hin, der unter dem Pseudonym Alberto Savinio in Erscheinung trat und als Schriftsteller bekannt wurde, nachdem er zunächst Musik studiert hatte. Dass der gänzlich anders geartete Max Reger zu Savinios Kompositionslehrern zählte, mutet wie eine Laune des Weltgeistes an – im Rahmen des Unterrichts in München, dem de Chirico als Dolmetscher beiwohnte, scheint man sich denn auch mehr über Böcklin als über Bach und Beethoven ausgetauscht zu haben, denn auch Reger verehrte diesen Maler über alle Maßen.
Anlässlich der Ausstellung "Giorgio de Chirico – Magie der Moderne", die in der Staatsgalerie Stuttgart noch bis zum 3. Juli zu sehen ist, hat der Pianist und Komponist Steffen Schleiermacher ein Programm entworfen, dass die geistigen Interessen des ungewöhnlichen Geschwisterpaars rekonstruiert und, sofern das heute noch möglich ist, zum Klingen bringt. Äußersten Seltenheitswert hat dabei ein Werk, das aus Savinios eigener Feder überliefert ist.
Staatsgalerie Stuttgart
Aufzeichnung vom 12. Mai 2016
Aufzeichnung vom 12. Mai 2016
Tiefste Musik und höchste Töne – Klavierwerke zu Giorgio de Chirico
Max Reger
"Träume am Kamin" op. 143 Nr. 1
"Träume am Kamin" op. 143 Nr. 1
Alberto Savinio
"Les chants de la mi-mort"
"Les chants de la mi-mort"
Erik Satie
Deux Nocturnes
Deux Nocturnes
Arthur Honegger
"Scenic Railway"
"Scenic Railway"
Gian Francesco Malipiero
"Preludi autunnali" Nr. 3
Alfredo Casella
"A notte alta". Poema musicale op. 30
"Preludi autunnali" Nr. 3
Alfredo Casella
"A notte alta". Poema musicale op. 30
sowie Texte von Guillaume Apollinaire, Giorgio de Chirico und Alberto Savinio
Sebastian Röhrle, Sprecher
Steffen Schleiermacher, Klavier und Moderation
Steffen Schleiermacher, Klavier und Moderation