Gäste in TV-Talkshows

Mehr Vielfalt bei der Auswahl, bitte!

03:59 Minuten
Norbert Röttgen sitzt im Studio der ARD-Talkshow "Anne Will" in Berlin.
Der CDU-Politiker Norbert Röttgen hatte mehr Auftritte als Gäste aus Afrika, der arabischen Welt und dem Iran zusammen, hat Fabian Goldmann gezählt. © picture alliance / Eventpress Staufenberg
Eine Medienkritik von Fabian Goldmann · 03.02.2020
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Ein Talkshow-Dauergast wie Norbert Röttgen ist typisch für "Anne Will" und Co: Weiß, männlich, westdeutsch, ohne Migrationserfahrung. Der Islamwissenschaftler Fabian Goldmann kritisiert, dass dieses Profil immer noch die Gästelisten der "Laberrunden" prägt.
Siebeneinhalb Monate, 76 Sendungen, knapp 5.000 Sendeminuten und 405 Gäste. So lange mussten Zuschauer und Zuschauerinnen im Jahr 2019 auf den ersten schwarzen Gast in einer öffentlich-rechtlichen Talkshow warten. Und das ist nur eines von vielen Beispielen für die fehlende Vielfalt bei "Anne Will", "hart aber fair", "Maischberger" und "maybrit illner".
Die Themen klischeehaft, die Gästeauswahl diskriminierend, die Inhalte populistisch: Die Talks der Öffentlich-Rechtlichen mussten im vergangenen Jahr viel Kritik über sich ergehen lassen. Ich wollte es genauer wissen und habe in sämtlichen 135 Talkshow-Sendungen des Jahres nach Spuren von Diversität gesucht. Das Ergebnis frustriert.

Typischer Gast: weiß, männlich, westdeutsch

Weiß, männlich, westdeutsch und ohne Migrationserfahrung. So sah auch im Jahr 2019 der Prototyp des Talkshowgastes aus. Gerade einmal jeder 20. deutsche Gast wurde im Ausland geboren. Auf Menschen aus Ländern, die in den letzten Jahren im Fokus der Migrationsdebatte standen, wartete man völlig vergebens.
Das Dilemma lässt sich auch so formulieren: Alle Gäste aus Afrika, der arabischen Welt und dem Iran brachten es gemeinsam auf weniger Auftritte als CDU-Politiker Norbert Röttgen allein. Allein Personen mit dem Namen Peter befanden sich häufiger auf Gästelisten als alle Gäste mit türkischen Wurzeln zusammen.
Es gebe schlicht zu wenig schwarze Klimawissenschaftler oder migrantische Politikerinnen. Dieses Argument der Talkshow-Macherinnen scheitert nicht nur am Vergleich mit ihren niederländischen oder skandinavischen Kollegen, die es mit einem Bruchteil der Bevölkerung schaffen, ein wesentlich diverseres Bild abzugeben.
Es ignoriert auch, dass es häufig erst die Talkshow-Macher selbst sind, die Personen einen Expertenstatus verleihen.

Themen mit stereotypen Vertretern besetzt

Nach dieser Logik müsste es sich bei Talkshow-Dauergästen wie Grünen-Chefin Annalena Baerbock oder "Spiegel"-Reporter Markus Feldenkirchen um Universalgelehrte handeln. Nicht-weiße Gäste gelten hingegen bestenfalls als Experten in eigener Sache: Fast die Hälfte der nicht-weißen Personen im vergangenen Jahr wurde in einer stereotypen Rolle besetzt.
Der Türke kommentiert Erdogan, der Araber Clankriminalität und der Schwarze Rassismus. Nur der weiße Deutsche scheint in der Lage zu sein, zu Themen abseits seiner kulturellen Prägung Stellung zu nehmen.
Wozu also überhaupt noch der ganze Quatsch? Sollte man Talkshows nicht einfach zu "Tutti Frutti" und "Der Internationale Frühschoppen" in den chauvinistischen Giftschrank des deutschen Fernsehens befördern? Haben sich diese staatstragenden Laberrunden mit mehr Empörungs- als Erkenntnispotenzial nicht längst überholt? Ist es im Jahr 2020 nicht an der Zeit, Abschied zu nehmen von Formaten, in denen aus Politik Polarisierung und Populismus gemacht wird?

Talkshows sollten mehr Selbstkritik üben

Mag sein. Aber solange sie existieren, tragen "Anne Will", "hart aber fair", "Maischberger" und "maybrit illner" Verantwortung. Nicht für ein politisch korrektes Format mit quotierten Gästelisten. Aber dafür, ihren eigenen Auftrag ernst zu nehmen: Gesellschaftliche Missstände zu diskutieren, anstatt sie zu reproduzieren.
Dass sie dazu in der Lage sind, haben die Talkshows übrigens auch im letzten Jahr bewiesen. Während Debatten über Kopftücher und kriminelle Flüchtlinge in früheren Jahren noch ganz oben auf der Agenda standen, suchte man im Jahr 2019 fast vergebens nach Sendungen, in denen Migranten und Musliminnen von vornherein zum Problemfall erklärt werden. Und auch Runden, in denen Männer die Probleme der Welt unter sich ausmachten, scheinen der Vergangenheit anzugehören.
Damit sich dieser vorsichtige Trend in diesem Jahr fortsetzt, sollten "Anne Will", "hart aber fair", "Maischberger" und "maybrit illner" das machen, was sie am besten können: Kritik üben. Nicht nur an Groko, Klimapolitik und Brexit. Sondern vor allem an sich selbst.

Fabian Goldmann ist Journalist und Islamwissenschaftler. Für verschiedene Magazine und Zeitungen berichtete er viele Jahre aus dem Nahen Osten. Zurzeit widmet er sich vor allem dem Islam diesseits des Bosporus. Auf seinem Blog schantall-und-scharia.de schreibt er über Islamophobie in Deutschland.*

© Camay Sungu

*Die Biografie des Autoren wurde aktualisiert.
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