Gäbler: Internet funktioniert zunehmend über Filme

Moderation: Holger Hettinger |
Internet-Videoportale wie YouTube werden nach Einschätzung des Medienwissenschaftlers Bernd Gäbler die Mediennutzung nicht grundlegend verändern. Zwar verstehe er die Sorge von Produzenten von Filmen und Fernsehprogrammen, dass sich eine Mediennutzung außerhalb des Fernsehens etabliere könnte. Er sei in dieser Hinsicht aber nicht pessimistisch, sagte der ehemalige Chef des Grimme-Instituts.
Holger Hettinger: YouTube, das Videoportal bietet selbst gedrehte Filme der Nutzer, aber auch Musikvideos und Ausschnitte aus Spielfilmen und Fernsehsendungen: Ist bald jeder Zuschauer sein eigener Programmdirektor, jeder Besitzer eines Videohandys sein eigener Regisseur? Über die Auswirkungen des Erfolges von YouTube auf die Medienlandschaft spreche ich nun mit Bernd Gäbler. Er ist Medienwissenschaftler und war lange Chef des Grimme-Instituts. Schönen guten Morgen, Herr Gäbler.

Bernd Gäbler: Guten Morgen, Herr Hettinger.

Hettinger: Herr Gäbler, wie wirkt sich denn der zunehmende Erfolg von YouTube auf unsere Film- und Fernsehkultur aus?

Gäbler: Ja, es ist zunächst einmal so, dass die Dynamik des Erfolges doch dazu anhält, gründlicher darüber nachzudenken, was da passiert. Und wir haben ja einen Eindruck bekommen, von dem, was da zu sehen ist. Ich glaube, das ist zunächst einmal eine bunte Welt von Witz, von Parodien, von Selbstdarstellungen. Man sieht Tiere, Kinder, Fernseh-Highlights, Kartentricks, aber auch, sagen wir einmal Passagen, insbesondere aus der Tonight Show, die sich kritisch mit Präsident Bush auseinandersetzen. Im Großen und Ganzen eine bunte Welt nach dem Motto, Hauptsache unterhaltsam. Und das ist, glaube ich, diese zweite, sehr entscheidende Sache: Es hat alles etwas von selber gemacht. Es gibt eine neue Nähe, auch wenn so einer wie ich da noch nie etwas reingestellt hat, sondern nur rumschaue, doch eine neue Nähe von Produktion und Konsumption.

Und darin liegt, glaube ich, ein bisschen des Charmes und auch des Erfolges des, ja, nahezu weltweiten, oder zumindest in der entwickelten Welt, Erfolges dieser Seiten. Und dann gibt es natürlich so etwas wie eine Art ständige Tipps und Geheimtipps, die weitergereicht werden - nicht nur über diese Seite, sondern auch über einen Mailverkehr außerhalb. Man schickt sich kleine Clips zu. Man sagt, kuck mal da. So geht es mir auch, also ich habe dort auch Favoriten von Parodien, von Musikstücken bis hin zu witziger Werbung, wo man dann einfach einmal an eine Mail, die meinetwegen geschäftlich ist, anhängt: Mensch, kuck doch mal "Cute Security" an, oder "Cat Massage", oder die Parodie von Torn. Das ist einfach ein bisschen witzig, das ist wie ein Lächeln, das man dann beim Gegenüber erzeugt.

Hettinger: Also so eine Art Community-Building funktioniert da auch, die große Internet-Gemeinschaft die auf diesen Seiten nach Originellem sucht. Das klingt doch eigentlich ja ganz harmlos und ganz kuschelig. Wie kommt es denn, dass viele große Medienunternehmen den Erfolg von YouTube so sehr mit gerunzelter Stirn sehen?

Gäbler: Na ja, zunächst einmal steckt dahinter, dass wir natürlich schauen müssen: Wird das eine Weltbetrachtung, eine Mediennutzung, die möglicherweise prägend in die Zukunft geht. Wir haben sehr deutlich, dass zum Beispiel von Filmen oder auch von bedeutenden Fernsehserien, kleine Häppchen, kleinste Ausschnitte hochgeladen werden und angeschaut werden. Ich nenne mal ein Beispiel, das uns sehr nahe ist. Es gab vor kurzem, auf RTL wurde es ausgestrahlt, den "Deutschen Comedy Preis". Alle die die Sendung gesehen haben sagten, eigentlich lustig sei nur gewesen die Stelle, in der Horst Schlämmer alias Hape Kerkeling, noch einmal auf Anke Engelke alias Ricky, diese Kunstfigur Ricky, trifft.

Diese kurze Passage, das sind knapp acht Minuten, ist sofort in die Top Ten bei YouTube gekommen, obwohl es ja eigentlich einen Menschen aus Singapur oder Brasilien oder New York oder Los Angeles vermutlich überhaupt nicht interessiert, was da für komische Gestalten herumstehen. Das heißt aber, es hat sich herumgesprochen: Die paar Minuten sind witzig, das war interessant, und sofort wird es sehr häufig angeklickt. Und natürlich gibt es so eine Art Häppchen- und Highlight-Kucken. Und da haben natürlich die großen Produzenten, das klassische Fernsehprogramm - das Wort Programm heißt ja wörtlich übersetzt Vorschrift - Sorgen, denn es wird eine Konsumption außerhalb dieser Vorschrift geben. Man sucht sich bunte, nette Häppchen insbesondere nach dem Unterhaltungswert zusammen.

Ich bin da nicht allzu, wie soll ich sagen, pessimistisch, weil das wird nicht die einzige Form der Mediennutzung bleiben. Daneben wird es natürlich den vertiefenden Film, die interessante Lektüre noch geben. Was man aber sagen muss ist, glaube ich, für das Internet: Am Anfang des Internets gab es die Illusion, Fernsehen sei sozusagen das Bildermedium, was womöglich passiv mache und das Internet sei stärker textorientiert, da müsse man alphabetisiert sein, da würde man näher beim Lesen sein. Ich glaube, das ist vorbei. Es zeigt sich, Internet ist kein Medium, sondern eigentlich eine Infrastruktur und auf dieser Infrastruktur wird auch bevorzugt gekuckt. Das Visuelle dominiert Texte.

Hettinger: Es gibt etliche Unternehmen, die dieses demokratisch aufgebaute Filmportal nutzen und so genanntes virales Marketing verbreiten. Sie produzieren also Filmchen, die sich über solche Plattformen und über diesen Weitersprecheffekt verbreiten sollen. Wird da der demokratische, nutzernahe Gedanke durch die Werbeflut nicht auch ein bisschen erstickt?

Gäbler: Ich glaube, dass beides immer parallel zu sehen ist. Wir haben auf der Oberfläche sehr stark diesen Eindruck des Selbstgemachten, aber dahinter gibt es immer eine zweite Ebene. Auch YouTube hat sich so schnell und so grandios, mit so einer schnellen Dynamik entwickelt: Ab da, wo sozusagen sehr viel Geld hineingesteckt wurde. Es gibt diesen Risikofonds Sequoia, die haben insgesamt wohl etwa elf Millionen Dollar da hineingesteckt. Das heißt, deren Beteiligung - man geht davon aus, dass etwa ein Drittel, vielleicht auch nur ein Viertel Beteiligung dieses Fonds an YouTube besteht - hat sich jetzt schon durch die Übernahme von Google vervierzigfacht. Also dahinter steht schon viel Geld.

Und natürlich ist das Ganze interessant, bei dieser Riesenpopulation der Zugriffe, vor allen Dingen für die Werbeindustrie. Und bisher hat Google es vermieden, so zu agieren, dass die Werbung alles andere erstickt. Man kann davon ausgehen, dass Google klug genug ist, auch hier etwas dezenter vorzugehen, aber natürlich ist das das ökonomische Interesse daran. Es gibt eine Einheit von Selbstgemachtem und großem Geld dahinter, auch in diesem Fall.

Hettinger: Vielen Dank, Bernd Gäbler. Der Medienwissenschaftler war lange Chef des Grimme-Instituts und war hier im Radiofeuilleton im Gespräch zum Thema, der große Erfolg von YouTube. Ich danke Ihnen schön.

Gäbler: Ich danke Ihnen.