Gabriel: USA wollen Klimaschutz torpedieren

Moderation: Jörg Degenhardt |
<strong>Jörg Degenhardt:</strong> Unmittelbar vor dem Gipfel in Heiligendamm kommt Bewegung in den Klimaschutz. Fragt sich nur, in welche Richtung. Die USA haben zentrale Klimaschutzvorhaben der deutschen G8-Präsidentschaft abgelehnt. Zugleich stellte der amerikanische Präsident gestern eine eigene Strategie zur CO2-Reduzierung vor, durch die frühestens Ende 2008 langfristige Ziele zur Eindämmung der Treibhausgase erarbeitet werden sollen. Am Telefon ist der Umweltminister Sigmar Gabriel. Was ist denn aus Ihrer Sicht von dem Vorstoß aus Washington zu halten?
Sigmar Gabriel: Ich glaube, erst muss man sagen, offensichtlich hat der internationale Druck der Öffentlichkeit Bewegung auch in Amerika verursacht, selbst in der sonst ja sehr zurückhaltenden und skeptischen Regierung von George Bush. Von daher ist es natürlich erfreulich, dass dort Bewegung entsteht. Auf der anderen Seite muss man jetzt mal prüfen, was ist eigentlich damit konkret gemeint. Auf gar keinen Fall könnte die Bundesregierung oder könnte Europa etwas zustimmen, bei dem es nicht am Ende zu einem internationalen verbindlichen Vertrag kommt – übrigens immer unter dem Dach der Vereinten Nationen, denn wir brauchen ein weltweites Klimaschutzregime. Und was noch viel wichtiger ist, ist, wir brauchen klare Ziele und wir müssen überprüfen können, ob denn die einzelnen Vertragspartner die Ziele einhalten. Und was wir jetzt lesen, macht bei uns zumindest die Sorge groß, dass hier weder eine Verbindlichkeit herbeigeführt werden soll noch ein Überprüfungsmechanismus.

Und vor allen Dingen sieht es ein bisschen da so aus, als wolle die amerikanische Regierung den gesamten Prozess der Vereinten Nationen im Klimaschutz stoppen und einen Sonderweg gehen. Das wäre allerdings nicht das, was die Bundesregierung will, was Europa will. Von daher wird man die Vorschläge jetzt prüfen müssen. Aber es darf am Ende nicht ein trojanisches Pferd sein, bei dem nur versucht wird, über Heiligendamm hinwegzukommen und bei dem der internationale Klimaschutzprozess im Grunde dann torpediert wird und nicht befördert. Aber das muss man sehen, was jetzt konkret die Administration von George Bush meint.

Degenhardt: Herr Minister, zu einer Veranstaltung, die heute beginnt in Essen, ein Treffen, überschrieben "Umwelt, Innovation und Beschäftigung", dabei sind Umweltminister der EU, aber auch Abgesandte von Nicht-Regierungsorganisationen und der Industrie. Das klingt so, als könnte man mit dem Umweltschutz mittlerweile wirklich gute Geschäfte machen, also sprich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Aber kann der Klimaschutz wirklich zu einer Art zweiten industriellen Revolution werden?

Gabriel: Wir brauchen für den Klimaschutz eine zweite industrielle Revolution, und in der Tat hat gerade Deutschland und Nordeuropa große Chancen dabei, denn wir sind als Hochtechnologieland in der Lage, Energietechnologien zu entwickeln – wir haben sie sogar schon –, bei der wir das Klima nicht zerstören und gleichzeitig neue Jobs schaffen. Es ist eine Chance, Energie einzusparen, das schont das Portemonnaie der Verbraucher genauso wie der Unternehmen. Wir können Dinge neu entwickeln, auch ins Ausland verkaufen. Deutschland ist bereits Exportweltmeister im Bereich der Umwelttechnik. Das ist der Grund, warum wir zu dieser Veranstaltung nach Deutschland eingeladen haben jetzt in Essen. Das ist der Grund, warum wir den Kolleginnen und Kollegen aus den anderen europäischen Ländern zeigen wollen, dass wir Wachstum und Beschäftigung einerseits und Klima- und Umweltschutz andererseits zusammenbringen können.

Degenhardt: Von wegen Beschäftigung, Herr Gabriel: Unlängst hörte ich die Autoindustrie noch klagen, höhere Umweltauflagen etwa beim Kohlendioxidausstoß würden Arbeitsplätze kosten. Da gibt es also noch – ich nenne es mal so – altes Denken mit Blick auf die Umwelttechnik?

Gabriel: Ja, das wird sich aber hoffentlich verändern. Ich meine, die Autoindustrie in Deutschland erlebt gerade bitter, was es bedeutet, wenn man im Bereich des Umweltschutzes nichts tut, denn die Menschen, die sehr gut informiert sind über die Probleme des Klimawandels, kaufen zurzeit deshalb keine deutschen Autos, weil keine benzinsparenden, dieselsparenden Fahrzeuge, die wenig CO2 emittieren, bei uns verfügbar sind. Andere sind schneller, wieder mal die Japaner, und beispielsweise in China ein Riesenmarkt auch für die deutsche Automobilindustrie, müssen wir Angst haben, dass wir vom Markt verdrängt werden, weil die Japaner und Koreaner mit spritsparenden Autos, mit Hybridfahrzeugen selbst in der Oberklasse auftauchen und wir nichts zu bieten haben. Deswegen ist es hohe Zeit, und ich glaube, das werden die deutschen Automobilhersteller auch begriffen haben, hier die Aufholjagd aufzunehmen. Wir können nicht solche Märkte anderen Ländern überlassen. Wir haben die besseren Technologien, wir müssen nur bereit sein, sie auch einzusetzen.

Degenhardt: Bevor die Umwelttechnik zur Leitindustrie werden kann, kostet sie natürlich erst mal Geld. Von welchen Größenordnungen bei den Investitionen muss man denn da ausgehen?

Gabriel: Wir wissen, dass wir im Klimaschutz in den kommenden Jahren, zur Mitte des nächsten Jahrzehnts, vermutlich am Ende drei Milliarden Euro pro Jahr ausgeben müssen. Wir wissen allerdings auch schon, dass wir bereits jetzt beispielsweise die Hälfte davon im Bundeshaushalt bereitgestellt haben für die bessere Dämmung von Gebäuden. Sehr, sehr viele Wohneinheiten in Deutschland verschwenden noch viel Energie, weil sie schlecht gedämmt sind und viel Wärme nutzlos an die Umgebung abgegeben wird. Das heißt, wir haben auch schon eine ganze Menge im Haushalt bereitgestellt, aber wir werden das in den nächsten Jahren noch stärker tun müssen.

Degenhardt: Gehören denn zu einer neuen ökologisch ausgerichteten Industriepolitik in Deutschland auch neue Kohlekraftwerke?

Gabriel: Mit Sicherheit brauchen wir in Deutschland in den kommenden Jahren auch neue Kohlekraftwerke, damit wir alte schließen können. Wir werden bis 2012 in Deutschland neun größere Kohlekraftwerke neu bauen, sechs Steinkohlekraftwerke und drei Braunkohlekraftwerke, und sie sollen alte, ineffiziente Kohlekraftwerke, die sehr, sehr viel CO2 emittieren, ersetzen. Wir gehen davon aus, dass wir bis zu 42 Millionen Tonnen CO2 dadurch einsparen können. Deswegen werden wir auf Sicht die Kohle nutzen, aber wir brauchen bessere Kohlekraftwerke und – was RWE und beispielsweise Vattenfall tut – zu investieren in CO2-freie Kohletechnik, ist genau der richtige Schritt. Ohne diese neuen Techniken allerdings wird es keine Kohlekraftwerke geben, die noch wirtschaftlich zu fahren sind, denn CO2-Preise für die Tonne CO2 werden deutlich ansteigen, das ist auch richtig so. Von daher, entweder es gibt diese neue Kohletechnik, oder die Kohle wird in Deutschland nach 2012/2013 sicher in große Schwierigkeiten geraten.

Degenhardt: Herr Gabriel, wird eigentlich auch außerhalb Europas dieser enge Zusammenhang zwischen Umwelt, Innovation und Beschäftigung gesehen?

Gabriel: Ich glaube, dass das Bewusstsein darüber wächst. Wir hatten innerhalb einer Woche zwei große amerikanische Delegationen, die genau zu diesem Thema zu uns gekommen sind. Sie sagen, wie macht ihr das eigentlich, dass ihr bei euch 1,5 Millionen Menschen im Bereich der Umwelttechnik beschäftigt, alleine im Bereich der erneuerbaren Energien in Deutschland sind in den letzten Jahren mehr als 200.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Wir schaffen jetzt 5000 zusätzliche Ausbildungsplätze in dem Bereich. Das heißt, das Interesse daran ist massiv gewachsen. Und es gibt ja eine ganz gute Untersuchung, die davon ausgeht, dass das weltweite Volumen an Umsätzen für Umwelttechniken sich verdoppeln wird in wenigen Jahren, weil natürlich selbst in China inzwischen die Flüsse so zerstört und verseucht sind, dass es nicht mehr genug Trinkwasser gibt. Weil die Menschen krank sind von der katastrophalen Luft und nicht zur Arbeit kommen, wird es auch in solchen Ländern in den nächsten Jahren massiv zum Einsatz von Umwelttechnik kommen. Da sind wir Deutschen und Europäer gut beraten, wenn wir diejenigen sind, die bei uns auch dadurch Arbeitsplätze sichern und schaffen, indem wir solche Produkte entwickeln und exportieren.