Gabriel droht Autoindustrie

Moderation: Jörg Degenhardt |
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat vor einem schnellen Klimawandel gewarnt. Der Automobilindustrie drohte er mit "harten Standards" auf europäischer Ebene. Er habe Zweifel, dass die Ankündigungen der Industrie zu einer Reduzierung des CO2-Ausstoßes eingehalten würden. Zurzeit findet der erste internationale Klimakongress in Deutschland statt. Er wird vom Energieversorger EnBW organisiert.
Degenhardt: Immer mehr Zugvögel überwintern mittlerweile in Brandenburg und fliegen nicht mehr wie sonst üblich nach Spanien oder in andere warme Länder. Als Gründe geben Wissenschaftler die Erderwärmung und die damit verbundenen milderen Winter an. Überhaupt, die zehn wärmsten Jahre, seit es Klimaaufzeichnungen gibt, wurden alle in der Zeit nach 1994 registriert, und die Fachleute können viele andere Fakten ins Feld führen, die uns klarmachen sollen, der weltweite Klimawandel ist längst da und nicht mehr zu leugnen. Was das für uns bedeutet, nicht nur hier in Deutschland, darüber wird derzeit auf dem ersten deutschen Klimakongress diskutiert, interessanterweise organisiert vom Energieversorger EnBW, Energie Baden-Württemberg AG. Am Telefon begrüße ich Sigmar Gabriel, den Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Herr Gabriel, es gibt Experten, zum Beispiel vom Klimazentrum der Uni Manchester, die warnen, das sei alles noch viel schlimmer mit dem Klimawandel, weil die Belastungen durch Flugverkehr und Schifffahrt bisher von den Regierungen nicht mit berücksichtigt worden seien. Ist das unnötige Panikmache oder brauchen wir diese Alarmstimmung, um endlich aufzuwachen?

Gabriel: Also es ist jedenfalls so, dass alle Anzeichen dahin deuten, dass der Klimawandel schneller vorangeht, die Erderwärmung heftiger wird, als wir bisher berechnet haben. Es wird in diesem Jahr den Bericht des internationalen Klima-Panels geben, da deutet es darauf hin, dass wir möglicherweise nicht nur eine Erderwärmung haben bis 2 Grad, sondern vielleicht sogar über 4 Grad. Das heißt natürlich, dass das, was wir jetzt erleben, nur leichte Vorboten dessen wären, was wir zu ertragen hätten, wenn dieser Klimawandel nicht gestoppt wird. Und es bleibt eben nicht beim Abschmelzen der Gletscher, sondern vor allen Dingen in Ländern, die eigentlich gar nichts für den Klimawandel können, wie in Afrika, breiten sich Wüsten aus, kommen Dürren. Es gibt heute schon mehr Flüchtlinge wegen des Klimawandels als durch Krieg und Bürgerkrieg, und das ist das, was uns bevorsteht dann.

Degenhardt: Dass die Wirtschaft sich so engagiert wie jetzt auf diesem Kongress, wie EnBW, das ist ja gut und schön, und dahinter, das darf man nicht vergessen, stecken natürlich auch knallharte wirtschaftliche Interessen, wenn es darum geht, die Probleme des Klimawandels zu meistern. Muss dann aber nicht die Politik letztendlich die Führung übernehmen?

Gabriel: Ich glaube, was wir brauchen, ist, dass wir ein gemeinsames Verständnis davon brauchen in Politik und Wirtschaft. Das ist auf beiden Seiten noch nicht hinreichend ausgeprägt. Wir haben in der Politik oft, beispielsweise Amerika, aber auch in Ländern wie China, Brasilien oder Indien, immer noch Zurückhaltung, was die Fragestellung des Klimawandels angeht, und wir haben natürlich bei weitem nicht das gleiche Verständnis beim Thema Klimawandel in der Wirtschaft, was wir bei EnBW auf diesem Kongress haben feststellen können. Es gibt leider so etwas wie eine Geringschätzung der Zukunft in Politik und Wirtschaft, und wenn sich das nicht ändert, dann werden unsere Kinder und Enkelkinder bitter darunter zu leiden haben.

Degenhardt: Sie setzen auf mehr Effizienz in den Bereichen Wärme- und Stromverbrauch, aber auch bei den Kraftstoffen. Muss man da zum Beispiel nicht auch die Automobilindustrie stärker in die Pflicht nehmen, also reichen da Selbstverpflichtungen der Autobauer aus?

Gabriel: Wenn die Selbstverpflichtungen der Autobauer zur Senkung von CO2, also des wichtigsten Treibhausgases, eingehalten werden, dann brauchen wir keine gesetzlichen Standards, dann ist das der richtige Weg. Wir haben nur inzwischen Zweifel daran, ob diese Selbstverpflichtung geschafft wird, und wenn es nicht geschafft wird, dann hat Günter Verheugen in der Europäischen Kommission Recht, dann müssen wir europaweit harte gesetzliche Standards setzen. Und wir müssen vor allen Dingen dazu kommen, dass wir Schritt für Schritt den Anteil von Biokraftstoffen, den wir beimischen, in den normalen Kraftstoffen erhöhen, denn dadurch senken wir die CO2-Abgase doch ganz erheblich.

Degenhardt: Sie haben ja schon, Herr Gabriel, das Stichwort gegeben, von wegen Europa. Kann oder muss Deutschland sogar auf Grund seiner Lage und seiner Größe so etwas wie eine Vorreiterrolle in Europa bei der Lösung der Klimaprobleme spielen?

Gabriel: Das haben wir in der Vergangenheit gespielt, diese Rolle, also Vorreiter im Klimaschutz, das tun wir auch derzeit, gemeinsam übrigens mit Ländern wie Großbritannien. Ich bin am Wochenende in Frankreich und versuche mit meiner französischen Kollegin zu überlegen, wie kommen wir weiter. Denn es ist so, dass, wenn wir Länder wie China, die in den nächsten Jahren ja ein gewaltiges Wachstum vor sich haben werden, das immer auch zusammenhängt mit einem stärkeren Energieverbrauch und damit mit stärkerer Emission von Treibhausgasen, wenn wir die überzeugen wollen, dass man wirtschaftlichen Wohlstand erreichen und steigern kann, ohne dass man immer mehr Energie verbraucht oder jedenfalls mit einer Form der Energieproduktion, die nicht unser Klima völlig ins Ungleichgewicht bringt, dann müssen wir das selber zuerst zeigen. Diese Entwicklungs- und Schwellenländer fragen uns auch, was macht ihr, wie schafft ihr das, und wenn wir es nicht hinkriegen, das vorzumachen, dann wird diesem Weg niemand folgen, und das kann ich, ehrlich gesagt, auch verstehen. Denn diese Länder sind ja für das, was in der Vergangenheit passiert ist, nicht verantwortlich, sondern deren Probleme liegen in den nächsten Jahrzehnten, und sie wollen nicht, dass wir in den entwickelten Industrienationen wie Deutschland, Amerika, England oder Frankreich unsere Verpflichtungen abwälzen auf die Entwicklungs- und Schwellenländer. Das ist, finde ich, auch ein berechtigter Anspruch. Außerdem können wir das auch erreichen, weil wir Hochtechnologieländer sind. Wir haben alles, was wir dafür brauchen, um neue Technologien zu entwickeln, zum Beispiel für mehr Effizienz oder erneuerbare Energien.

Degenhardt: Es gibt den Vorschlag, den europäischen Emissionshandel auf eine weltweite Koalition der Freiwilligen auszudehnen. Unterstützen Sie diese Idee?

Gabriel: Ganz sicher. Wir sind dabei, dass wir für die Zeit nach der ersten Phase von Kyoto, die endet ja 2012, entscheiden müssen, wie geht es dann weiter, und ich glaube, dass wir nicht sofort es schaffen werden, alle dazu zu bewegen, sich verpflichtend am Emissionshandel zu beteiligen. Aber es gibt die ersten Nachfragen von Staaten, die zurzeit keine verpflichtende Beteiligung haben, ob sie nicht freiwillig mitmachen können, einfach weil sie damit auch eine Chance haben, an neue Technologien zu kommen mit weniger CO2-Emission. Und ich glaube, dass wir solche Wege werden bestreiten müssen, sonst halten wir diesen Wandel nicht auf.

Degenhardt: Auch wir als Bürger und Verbraucher sind natürlich aufgefordert, unser Energieverhalten zu kontrollieren und zu ändern. Heißt das, Herr Gabriel, unser Lebensstandard wird künftig sinken?

Gabriel: Nein, das glaube ich gerade nicht. Ich meine, wenn wir das als Maßstab machen würden und das unsere weltweite Empfehlung wäre, Senkung des Lebensstandards, wie soll das jemand in Afrika oder in China, Indien, Brasilien, Mexiko, wie soll das jemand akzeptieren, deren Lebensstandard ist ganz, ganz niedrig, da gibt es keine Chance, das zu senken, sondern die werden ihren Lebensstandard kontinuierlich verbessern, und das ist auch in Ordnung. Die Frage ist, mit welchen Methoden machen wir das. Und wir können in Deutschland den gleichen und einen besseren Lebensstandard haben, aber mit weniger Energieverbrauch. Wenn Sie nur mal daran denken, dass wir in den strombetriebenen Anlagen der deutschen Industrie, in zwei Drittel dieser Anlagen nicht mal eine Drehstromregelung haben. Oder wenn Sie überlegen, das ist eins der populärsten Beispiele, was auch stimmt, dass wir mit dem Standby-Verbrauch unserer ganzen Elektrogeräte dazu beitragen, dass wir natürlich unglaublich viel Energie verschwenden, ohne dass sie genutzt wird. Wenn Sie überlegen, was wir jetzt vernünftigerweise tun bei der Wärmedämmung von Häusern – neue Fenster, neue Dämmung an den Wänden –, das unterstützt die Bundesregierung mit 1,4 Milliarden Euro Zuschüssen jedes Jahr. Ich glaube, das ist der richtige Weg, und das heißt nicht weniger Lebensstandard, sondern den gleichen, vielleicht sogar einen höheren Lebensstandard, aber mit einem geringeren Energieverbrauch.

Degenhardt: Vielen Dank für das Gespräch!